Das Heilige heilig halten

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Von der tiefen Sehnsucht der Seele, die mehr wünscht als die Banalität des Alltags: Die Lange Nacht der Kirchen ist auch ein Ansporn, nach dem Heiligen zu suchen.

Nach dem versuchten Attentat eines Amokläufers auf die niederländische Königin Beatrix und ihre Familie am "Koniginnedag", am 30. April dieses Jahres, gab es in Apeldoorn, dem Tatort, ein Gedenken. Sechs Menschen waren bei diesem Angriff gestorben. Es gab Dutzende von Verletzten. Viele Menschen waren tief betroffen.

Der evangelische Pfarrer von Apeldoorn hatte die Kirche geöffnet. Gar nicht so wenige Menschen haben den Weg dorthin gefunden, dort eine Kerze angezündet oder ein anderes Zeichen der Anteilnahme gesetzt. Wichtig war dort auch das Gespräch dieser erschrockenen Menschen miteinander.

Eine Woche später fand dann noch in Anwesenheit der Königin und des Kronprinzen eine offizielle Gedenkfeier statt, eine merkwürdig säkularisierte. Ort dieses Gedenkens war das Stadttheater in Apeldoorn, das architektonisch den Reiz eines größeren Kinosaals hat. Kein Kirchengebäude wurde gewählt, kein Bibelwort wurde gelesen, keine Kirche sprach ein Gebet und Worte des Trostes und des ewigen Lebens. Das einzige "Liturgische" an der ganzen Feier waren sechs Kerzen, die zur Erinnerung an die sechs Verstorbenen dort brannten. Es war eine recht dürftige Feier. Es fehlte die Heiligkeit des Raumes und des Geschehens. Es fehlte das Heilige.

Wenn der Mensch das Heilige sucht

In den Höhepunkten und den Tiefpunkten seines Lebens sucht der Mensch das Heilige. Das Heilige ist ihm in einer solchen Situation Schutz, Trost, Geborgenheit. Allerdings sind wir in den letzten Jahrzehnten mit dem Begriff "Heiligkeit" sehr schlampig umgegangen. In den sechziger, siebziger Jahren war das Wort "heilig" in unserer Sprache ein verpöntes Wort. Räume, auch Kirchenräume durften nicht heilig sein. Mehrzweckräume waren gewünscht. In Schiedam, einer niederländischen Kleinstadt in der Nähe von Rotterdam, wurde eine Kirche nach dem Modell einer Fabrikshalle gebaut, in der Annahme, dass die dort in Fabrikshallen arbeitenden Menschen sich in einer solchen Kirche wohl besonders zu Hause fühlen würden. Was dann nicht der Fall war.

Auch im damaligen studentischen Milieu gab es solche Trends. Der berechtigte Ruf nach Gleichheit - der Rassen zum Beispiel - schlug in ein Verlangen nach einer allgemeinen Banalität um. Ja, nicht heilig durfte der Gottesdienst sein. Nur politisch. Heilig habe keine politische Aussagekraft. "Was suchen Sie hier in diesem wallenden Gewand?", so fragte man einen verdatterten Studentenseelsorger am Anfang der Messe. In irgendeiner österreichischen Studentenkapelle verwendete eine Besucherin systematisch den Tabernakel, um ihren Mantel abzulegen. Auf ihre Art wollte sie wohl andeuten, dass es für sie keine heiligen Orte und Gegenstände, keinen Unterschied zwischen einer Garderobe und einem Gebetsraum gäbe. Nur fernöstliche Heiligkeit wurde geduldet. Für einen tibetanischen Gebetsteppich beanspruchte man schon jene Unberührbarkeit, die man für eine Kapelle nicht gelten ließ.

Ein verändertes Lebensgefühl

Wie sehr sich das Lebensgefühl verändert hat! Bei der Vorbereitung einer kirchlichen Trauung sagte mir die Braut: "Ich möchte, dass das ganze Geschehen heilig wird." So wurde es dann auch. Die Hauptperson in Peter Handkes "Der Chinese des Schmerzes" hört in der Kirche die Fürbitte eines jungen Mannes: "Dass wir heilig sein werden." Unsere Sehnsucht sucht das Heilige. Auch viel Jugend sucht das fallweise. In Amsterdam zum Beispiel gab es eine Riesenkirche. Für die schrumpfende Gemeinde war die Kirche viel zu groß und nicht mehr finanzierbar. So entschied man sich, die Kirche zu verkaufen. An dem Ort, wo die Kirche gestanden hatte, wurde ein großer Wohnkomplex gebaut. In diesem Wohnblock wurde auch eine kleine moderne Kapelle eingebaut für die Restkatholiken dort in der Gegend. Nun, den alten Leuten dort, lebenslänglich gewöhnt, sonntags in die Kirche zu gehen, blieb nichts anderes übrig als diese Kapelle im Wohnzimmerformat. Die Jugend von Amsterdam, so weit sie in die Kirche geht (und das ist weniger als in Österreich), suchte sich eher eine Kirche wie die Nikolauskirche beim Zentralbahnhof. Das ist eine Kirche, die deutlich ein heiliger Ort ist, wo jeden Sonntag eine mönchische Liturgie gefeiert wird. Hier hat man das Gefühl, dass an diesem heiligen Ort die Gebete schneller erhört werden.

Auf meinem Weg ins Gymnasium kam ich immer bei der Franziskanerkirche vorbei. Es war eine backsteinerne Herz-Jesu-Kirche und war, was in den Niederlanden nicht üblich ist, am Tag geöffnet. So konnte man dort auch als Schüler in die Mystik dieses Ortes untertauchen. Nun ist auch diese Kirche verkauft. In die Kirche ist ein Studentenwohnheim eingebaut. Einmal habe ich diesen Ort besucht. Von der Heiligkeit dieses Ortes war nichts mehr zu finden. Ich hatte das Gefühl, dass man meine Jugend verkauft habe. Und die Gebete der Menschen damals, wo hat man die hingebracht?

Eine fantasievolle Veranstaltung

Nun feiern wir zum fünften Mal die Lange Nacht der Kirchen, eine Initiative, die sofort von vielen angenommen und im Laufe der Jahre sehr erweitert wurde. Viele Kirchengemeinden lassen sich dabei etwas einfallen. Es ist eine fantasievolle Veranstaltung, die von der Basis der Diözese getragen wird. Viele Leute besuchen in dieser Nacht heilige Orte, von der Bernardikapelle im Heiligenkreuzerhof bis zur modernen Kapelle von Otto Uhl in der Katholischen Hochschulgemeinde. So entspricht die Nacht einer tiefen Sehnsucht unserer Seele, die mehr wünscht als die Banalität des Alltags: das andere, das Heilige.

Im Buch der Weisheit liest man den Satz: "Wer das Heilige heilig hält, wird geheiligt." (Weish 6,10). Dieses jüngste Buch aus dem Alten Testament wurde von einem griechisch gebildeten Juden aus Alexandrien verfasst, einem Menschen auf der Grenze zweier Welten. Er ist durch die Straße einer Stadt gegangen, hat geschaut und gemeint: Das Heilige ist heilig zu halten. Wir werden durch die Nachtstraßen der Stadt gehen und diesen Satz dieses gescheiten Menschen aus Alexandrien auch für uns gelten lassen.

* Der Autor, gebürtiger Niederländer, war von 1970-86 Hochschulseelsorger in Wien, danach bis 2006 Rektor der Ruprechtskirche. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt "Wie die Worte das Fliegen lernten" (Otto Müller Verlag, Salzburg 2006)

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