"Das ist besser als Urlaub in Griechenland"

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Ein - nach eigenen Angaben - "bunt gemischter Kreis aus der Mitte der Kirche" lud für 31. Juli/1. August zur Österreich-Wallfahrt auf den Sonntagberg ein. 2.000 Pilger kamen - nicht zuletzt um für eine Heimkehr Österreichs in die Kirche zu beten: Impressionen von einem Sonntag auf dem Sonntagberg.

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Ein - nach eigenen Angaben - "bunt gemischter Kreis aus der Mitte der Kirche" lud für 31. Juli/1. August zur Österreich-Wallfahrt auf den Sonntagberg ein. 2.000 Pilger kamen - nicht zuletzt um für eine Heimkehr Österreichs in die Kirche zu beten: Impressionen von einem Sonntag auf dem Sonntagberg.

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A-a-ve, A-a-ve" tönt es blechern aus den Lautsprechern. "A-a-ve, A-a-ve" singt die Menge, und schiebt sich Schritt für Schritt den Berg hinauf. Über den Köpfen, allen voran, das Gnadenbild der Dreifaltigkeit. Unten, an den Handgelenken, die Rosenkränze. Fast alle hier haben einen. Und ein Medaillon der Gottesmutter von Medjugorje oder ein Kreuz um den Hals. Oder beides.

Über 700 Meter hoch ist der Sonntagberg im niederösterreichischen Mostviertel, und die Wallfahrer werden angesichts der Steigung ein wenig kurzatmig. Nicht so Bettina: Bettina in ihrem blauweiß karierten Kleid mit den Puffärmeln geht leichtfüßig voran - gleich hinter der Dreifaltigkeit. Und das trotz des Holzkreuzes, das sie auf ihren Schultern mit sich schleppt und auf dem steht: Christus ist unser Weg. "Ich will Jesus nahe sein", sagt sie mit einem scheuen Blick. "Ich habe dann das Gefühl, daß ich es ein bißchen mehr wert bin, von Christus geliebt zu werden".

Bettina möchte jetzt aber nichts mehr sagen. Sie möchte jetzt singen: "Vater, Vater" - dieselbe Melodie, ein neuer Text. Irgend jemand versucht eine hohe Oberstimme dazu. "Wir haben kein ,prominentes' Zugpferd", hat Aglae Hagg vom Vorbereitungskreis der "Österreich-Wallfahrt" im Vorfeld versichert. "Das einzige Zugpferd, das wir haben, ist der Vater. Und der zieht!" Tatsächlich gesellen sich zu den anfangs noch mageren hundert Männern, Frauen und Kindern an jeder Gabelung mehr dazu. Dirndl sieht man viele, Dirndl und Trachtenjanker.

Jesus: vorn oder Mitte?

Gleich nach der Dreifaltigkeit und Bettina mit ihrem Kreuz geht unter einem bunten Schirm ernst und bedächtig der Abt von Heiligenkreuz, Gregor Henckel-Donnersmarck, einher. Er begleitet die Teilnehmer der Österreich-Wallfahrt. Bei der ersten Statio mahnt er, sich auf das Wesentliche des Glaubens zu konzentrieren: Auf die Heilige Schrift und auf den Katechismus, in dem stehe, was die Kirche glaubt. Bei der zweiten Statio geht es um den Heiligen Geist, den Geist der Hoffnung. Diese Erde, so die Rede des Abtes, sei Gottes Schöpfung und daher gut. Überhaupt gäbe es überall viel Gutes, auch in der Kirche.

"Oh, mein Jesus, verzeih uns unsere Sünden, bewahre uns vor dem Feuer der Hölle", erklingt Rosenkranzbeten, und die Hände schließen sich fester um die Perlen. "Ich möchte wissen, wo Jesus jetzt ist", sagt eine Dame und lächelt ihrer Nachbarin zu. "Ich glaube, er ist vorne". Ihre Genossin ist nicht einverstanden. "Nein, er ist mehr in der Mitte." Schließlich einigt man sich: Jesus ist überall. Und betet weiter.

Die Sonne brennt heiß. Bettinas Schritt wird langsamer. Ab und zu, wenn das Ave Maria kurz abbricht, hört man die Grillen summen, das leise Keuchen der Weggefährten und das Trappeln hunderter Füße. Aber die Stille währt nicht lange. Wieder ertönt das Lied: "Vater, Vater". Dann aus dem Lautsprecher die Römerbrief-Stelle: "Denn ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater!"

Zweihundert Meter weiter ist Gott ein anderer. "Vor dem Feuer der Hölle, verschone uns, o Herr", murmeln die Pilger. "Vor verdienten Strafen, verschone uns!" "Wieso verdiente Strafen, Mama?" wispert eine 14jährige, doch die Frage geht im nächsten "Gegrüßet seist du, Maria" unter. Ihrer Mutter bleibt die Antwort erspart, denn der Weg macht eine scharfe Biegung, und da sind sie: Die weiß-rose-farbenen Türme der Dreifaltigkeitsbasilika recken ihre schwarzen Kuppeln mit den goldenen Kreuzen in den blauen Sommerhimmel.

Auch wenn es schon um 1440 eine Kapelle gab - ihre Blütezeit hatte die Wallfahrt auf den Sonntagberg im Barock: Jährlich kamen mehr als 50.000 Pilger. Zehn bis zwölf ständige Seelsorger waren vor Ort im Einsatz, am Wochenende noch mehr, denn zu den Hochfesten kamen bis zu 4.000 Wallfahrer. Um die Pilger aufnehmen zu können, wurde 1706 der berühmte Jakob Prandtauer beauftragt, eine größere Kirche zu bauen. 1729, also vor genau 270 Jahren, wurde sie geweiht.

Kirche ohne Atemluft?

Noch eine Statio über die Gottesmutter als Patronin der Liebe, und die Wallfahrer stehen vor der Basilika. Es ist fast ein Uhr, die Sonne brennt gnadenlos vom Himmel. Bettina transportiert ihr Holzkreuz in die Kirche und hat kurz Zeit für ein paar Fragen. Sie ist 22 Jahre alt und kommt aus der Nähe von Steyr. Im normalen Leben ist sie Pflegehelferin. Mindestens einmal im Jahr geht sie wallfahren. "Das ist für mich besser als Griechenland. Das ist Urlaub für die Seele", sagt sie. "Man ist endlich den Streß des Alltags los. Alle lachen und freuen sich, alle sind sich einig." Aber jetzt muß Bettina weg. Schließlich will sie noch einen Platz in der Basilika bekommen. Gleich wird dort der Pallotinerpater Hans Buob über das Leiden des Vaters sprechen. Buob hat Bettina gestern - am ersten Tag der Wallfahrt - schon viel gegeben, erzählt sie.

Auch heute steht der magere charismatische Priester vor einer begeisterten Zuhörerschaft und fragt mit wehenden Haaren und erhobenem Zeigefinger: "Was soll Gott denn noch alles tun, damit wir glauben, daß er uns liebt?" Und er erzählt von Jesuiten, die unversehrt in ihrem Kloster die Atombombe von Hiroshima überlebt hätten und von den Klosterschwestern bei Tschernobyl, die unverstrahlt geblieben seien. Der Schmerz des Vaters seit der Ursünde des Menschen bringe das Heilswerk hervor. "Wenn die Liebe so einen Weg wählt, sollten wir nicht dumm daran herumdeuten", predigt Buob und ruft: "Wer sagt: Ich taug' nichts, ich kann nichts, ich bin nichts, der kriegt den Hintern voll von mir!" Den Pilgern gefällt's. Sie strahlen.

Mittlerweile ist kein Platz mehr in der Basilika. An die 2.000 Pilger sind jetzt da, vermuten die Veranstalter und freuen sich. Man hört steirisch und kärntnerisch, Burgenländer und Wiener. Alle warten auf den Höhepunkt, die Messe mit Wiens Erzbischof Christoph Schönborn und dem St. Pöltner Bischof Kurt Krenn. Endlich - der Kardinal kommt! Er bringt die Grüße des Heiligen Vaters und predigt von seiner erzbischöflichen Sehnsucht: der Heimkehr Österreichs in die Kirche. "Wir laden ganz Österreich ein: Kommt zurück ins Vaterhaus!" ruft er.

Solche Aufrufe haben durchaus Tradition auf dem Sonntagberg: Schon in der Zeit der Gegenreformation ging vom Sonntagberg eine Restaurationsbewegung aus, die das Gnadenbild der Dreifaltigkeit vom Sonntagberg in ganz Österreich zum Vorbild aller Dreifaltigkeitsdarstellungen werden ließ. Die Zeit der Restauration läßt sich allerdings kaum wiederholen. Das weiß auch Schönborn: "Der Lebensraum der Kirche wird enger, so daß sie kaum mehr atmen kann", predigt er.

Momentan allerdings wird eher der Raum und damit die Luft in der Kirche knapp. Doch was soll's? Die Wallfahrer ficht das nicht an. Sie singen weiter unverdrossen und strahlen. Wie hat Bettina gesagt? "Alle lachen und freuen sich, alle sind sich einig."

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