7062287-1991_41_10.jpg
Digital In Arbeit

Eine Reise von Wien nach Linz

Werbung
Werbung
Werbung

O Gott! Schau und hilf deinen Dienern, denn viel heißer als es jetzt ist, kann es wohl auch in der Hölle nicht sein. Die Sonne brennt, dieser verdammte Kutscher schläft, die Pferde gehen langsamer als Esel, und trotzdem wirbelt der Staub, den ihre Hufe aufwerfen bis hierher in den Wagen, und bald werden wir ersticken im Staub wie heuer im Februar Bruno in Rom im Rauch des brennenden Holzstoßes erstickte, arm undak und verkannt und acht Jahre jünger als ich, was vielleicht das Einzige ist, was uns im Augenblick unterscheidet. Der jüngere der zwei Männer im Wagen lacht, aber es ist ein leises, kraftloses Lachen, auch ihm scheint die Hitze am Lebensnerv zu nagen, der Straßenstaub bringt ihn zum Husten, und Minuten vergehen, bevor er wieder zu Atem kommt, um zu antworten. Der Eckstein, nein, mehr noch die Stützmauer unserer österreichischen Gesellschaft vergleicht sich mit dem davongelaufenen Dominikanermönch Giordano, den das Schicksal ereilt hat, das er verdient? Den sie aus Paris warfen, weil er sich weigerte, dem heiligen Meßopfer beizuwohnen? Der unserem Erzfeind Luther in ganz Europa das Loblied sang? Der in Venedig Schwarze Magie lehrte, bis sie ihn packten und nach Rom brachten, wo ihm sein Lohn zuteil wurde?

Gott ist das Universum und es ist Gott in seiner Sichtbarkeit, weil es sein Kleid ist. Bloß innerhalb desselben gibt es Entwicklung, und immer wieder löst sich Gegensätzliches in der Harmonie des Weltalls auf. Viel mehr hat Bruno nicht gesagt und unser Herr möge ihm gnädig sein und unserem Papst Clemens dazu, falls Bruno zu Unrecht gebrannt hat. O Gott! Aussteigen können aus dieser Kutsche und ein kühles Bad. Das wäre Himmelslohn, aber da wir unnütze Knechte sind und keinen Lohn erwarten dürfen, bleiben wir sitzen und werden in irgendeinem Wirtshaus übernachten müssen, denn niemals können wir bei dieser Reisegeschwindigkeit heute Melk erreichen, und die Nacht in diesem merkwürdigen Bau-emdorf Sankt Pölten, das so gerne eine Stadt wäre und doch bloß ein langweiliger Anger ist, liegt mir noch immer in den Knochen. Jawohl. Ärgerlich bin ich und mit Recht.

Den alten Rektor des Jesuitenkollegs in Wien und ehemaligen Hofprediger zum Ende seines Lebens nach Linz zu senden, um den Krämern und Schustern und Schneidern dort, die ohnehin halbe Heiden sind und Luther bloß folgen wollen, weil es bequemer scheint als alles andere, den rechten katholischen Glauben wieder beizubringend Das soll Gerechtigkeit sein? Ein Mahnmal für Ordnung, Anstand, Buße und ein neues Leben aus dem Evangelium war ich in Wien, und jeder will den unbequemen Mann möglichst weit weg haben, Linz wird genügen, meint man. Zu gut, habe ich ihnen gesagt, wie die Dinge laufen und wie sie sein sollten. Weg mit ihm, haben schon die Juden beim Prozeß gegen Jesus gesagt. Bei mir haben sie keinen Prozeß gebraucht. Weg mit ihm nach Linz. Aber verdient habe ich das nicht, mein junger Freund und Mitbruder. Verdient habe ich das nicht.

Nein. Das nicht, sagte der jüngere der beiden. Verdient habt Ihrdas nicht. Aber Ihr wißt selbst. Immer seid Ihr ein strenger und unduldsamer Mensch gewesen. Immer hat man Euch im Kolleg mehr gefürchtet als geliebt. Ihr seid bescheiden und demütig, was Eure Person betrifft, Ihr seid ein großer Beter und führt ein vorbildliches Leben der Askese im Glauben unseres Herrn. Aber immer seid Ihr strenger gewesen gegen andere, als es zumeist nötig war. Ihr entschuldigt das offene Wort eines jüngeren Bruders. Aber wozu rede ich. Ihr wißt ohnehin alles.

Keine Antwort. Bloß ein tiefes Brummen. Gähnen. Ein tiefer Atemzug. Der Jüngere blickt erstaunt auf. Schaut hinüber. Der Alte scheint zu schlafen. Oder er will bloß nicht mehr reden? Aber der einstige Hofprediger und Rektor des Kollegs der Jesuiten zu Wien, Georg Scherer SJ, ist tatsächlich eingeschlafen. Der andere weiß nicht, daß der einstige Rektor im Traum bereits mit Pater Magister Ignatius in Rom im Haus der Gesellschaft sitzt und bloß diesen hört, und so spricht er weiter zu seinem Nachbarn. Ihr wißt es doch selbst, daß man Euch im katholischen Wien nicht mehr braucht, daß man nach den Mühen der ersten Zeit, in der Eure Starrheit, Eure Strenge wahrscheinlich angebracht waren, jetzt im Gegensatz zur Zeit davor ein wenig Wohlleben auch bei den Jesuiten haben will, nicht bloß Glaubensstrenge und Askese, auch ein wenig Freude will man, Opern, Musik, und selbst Fürsten komponieren heutzutage, ins Theater will man, zu Festen bei Hof, wie in Prag so in Wien ist Kaiser und König Karl ein lebenslustiger Mann, und hier will man vor Prag auf keinen Fall zurückstehen, seht Ihr, daß man Euch weghaben wollte, die alte Zeit des Kämpfens, der unnachgiebigen Gerechtigkeit ist vorbei, für Wien zumindest vorbei. Also auf nach Linz und ich an Eurer Seite, auch in Linz werdet Ihres schaffen, werdet katholische Ordnung ins Leben bringen, werdet predigen, unterrichten, Bücher schreiben wie je zuvor.

A ber Pater Georg Scherer schläft /% jetzt tief und fest, seine sechzig J. -*V Jahre und die Hitze des Mittags, der langsame Gang der Pferde, das Schnarchen des Kutschers am Bock vorne, auch das leise, gleichmäßige Reden des anderen haben Schuld daran. Er träumt auch nicht mehr wie eben zuvor, und es mag ein gütiger Engel sein, der ihn schlafen läßt, um nicht die wahrscheinlich sogar richtige Meinung seines jüngeren Bruders hören zu müssen in der Kutsche zwischen Sankt Pölten und Melk, in der das enge Nebeneinander die sonst übliche Distanz zwischen ihnen aufhebt, für Stunden familiär sein läßt, und wo plötzlich ganz ungewohnte Seelenträume aufbrechen und sonst sehr Verborgenes an den Tag kommt, sei es die Zuneigung des Älteren dem vor ein paar Monaten in Rom als Ketzer verbrannten Giordano Bruno gegenüber, oder die Meinung des Jüngeren über die Zukunft der noch recht jungen Gesellschaft Jesu in Wien, heuer im Jahr des Herrn 1600, und wahrscheinlich auch später.

Ein Kapitel aus den demnächst erscheinenden Erzählungen: FÜR GOTT UND DIE WELT. Jesuiten zwischen den Fronten. Von Peter Ebner. Andreas Schnider Verlags-Atelier, Graz/ Budapest 1991.96 Seiten, öS 208,-.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung