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Fühlmethoden und Malkastenspiele

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Es kracht längst nicht mehr im Gebälk. Der ganze Dachstuhl ist mittlerweile eingefallen. Wir haben ihn schon, the day öfter, sind in der „nachkatastrophalen Ära“. So diagnostizierte der Frankfurter Sozialforscher und Theologe Norbert Copray auf der diesjährigen Pastoraltagung das Verhältnis der Jungen zur Kirche (vergleiche Beitrag in FURCHE Nr. 1/Seite 6).

Nicht nur der Kirche ist die Jugend entglitten, wie eine Multi-Media-Show des Osterreichischen Instituts für Jugendforschung deutlich machte. Teens von heute bewegen sich in Megatrends. Und zwar in ihrer beliebtesten Freizeitbeschäftigung, der Musik, zwischen rave und chül-out, ambient und füp-hop. Oder auf der Suche nach sich selbst zwischen self-ca-sting und ego-placement. Alles klar? Sie ist nicht nur sprachlich entglitten, die young generation, sondern in nahezu jeder Hinsicht, gesamtgesellschaftlich, politisch und religiös.

Was geht die Kirche von heute und morgen damit um? Die Pastoraltagung präsentierte sich in der Ambivalenz von treffsicherer Diagnose und fragwürdigen Perspektiven. Nur noch 9,5 Prozent der jungen Menschen sind von einem christlichen Gottesbild überzeugt, präsentierte Norbert Copray ernüchternde Zahlen. Einer, der Hauptreferenten, Martin Lechner, Leiter des Instituts für Jugendpastoral in Benediktbeuern, referierte über das vom Zweiten Vatikanischen Konzil entworfene Konzept von Jugendpastoral. Die Kirche stehe „im Dienst der Subjektwerdung junger Menschen“. In diesem Sinne setze Jugendarbeit nicht beim Apo-stolatsauftrag der Kirche an, sondern bei einer Situationsanalyse und bei den „Zeichen der Zeit“. Die Kirche, so Lechner, habe zu fragen, wie es den Menschen gehe, nicht, ob diese glauben. Hauptziel der Kirche dürfe nicht sein, die Jugendlichen „an das Haus zu binden, wie es beispielsweise Banken tun“.

Nicht nur letztere Bemerkung macht stutzig. Ist also das der Unterschied zwischen kirchlichem und weltlichem Handeln, fragt sich der naive Laie: daß Banken sehr wohl klare Ziele haben und keineswegs ihre Identität preisgeben, wohingegen sich die Kirche über ihre Ziele längst nicht mehr im klaren zu sein scheint? Ist das hehre Ziel der „Subjektwerdung junger Menschen“ nicht auch jenes von manchen esoterischen Gruppen oder Sekten? Was macht pa-storales Handeln also aus?

Offenbar ist etwas Wesentliches an den Rand gerückt worden: das Ermöglichen einer Begegnung mit Christus und seinem Wort, die Verkündigung. Ob diese in der Disco oder auf dem Highway, auf einer Rave-Party oder im Night-Club geschieht, ist unwesentlich. Nirgendwo steht geschrieben, daß sie dort nicht geschehen soll. Der französische Rockerpriester Guy Gilbert geht in schwarzer Lederkluft und mit unzähligen Ohrringen behängt zu den Jugendlichen und begeistert sie. Nicht für irgendetwas, sondern für Christus. Fehlt diese Prämisse, so werden die besten Pastoralkonzepte fragwürdig.

Denjenigen Jugendlichen, die nicht sonderlich an einer Kirche interessiert sind, die mit Fühlmethoden und Malkastenspielen eine Art von Selbstfindung inszenieren will und ständig um den heißen Brei herumredet, ist kein Vorwurf zu machen. Einer Kirche, die ihre Sendung vergißt, hingegen sehr wohl.

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