Gott als Ausbilder seiner Propheten

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Der Autor des "Alchimist" schrieb eine faszinierende Geschichte über den Propheten Elias.

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Der Autor des "Alchimist" schrieb eine faszinierende Geschichte über den Propheten Elias.

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Paulo Coelho hat einen neuen Roman geschrieben: "Der Fünfte Berg". Er macht darin aus der Figur des Propheten Elia einen Menschen. Er füllt den Freiraum, den ihm die biblische Erzählung läßt, mit Leben. Er läßt, völlig ahistorisch, den Propheten auf der Flucht vor der phönizischen Prinzessin Isebel, die die Israeliten zwingen will, den Glauben ihres Volkes anzunehmen und die jüdischen Propheten töten läßt, in die phönizische Stadt Zarpat fliehen, "die ihre Bewohner Akbar nannten", wo er eine Witwe kennen und lieben lernt, die bei der Zerstörung Akbars durch die Assyrer ums Leben kommt. Gemeinsam mit ihrem Sohn baut er Akbar wieder auf, bevor er nach Israel heimkehrt und den Wettstreit mit den Anbetern Baals veranstaltet, der mit der Annahme des Opfers durch den Gott Israels und dem seit vier Jahren herbeigesehnten Regen endet.

Coelho schält vorsichtig das Aktuelle, heutige Menschen bekannt Anmutende aus der historischen Situation heraus. Da läßt er etwa die politischen und militärischen Führer Akbars tatenlos zusehen, wie das assyrische Heer vor ihren Mauern kampiert und immer mehr verstärkt wird. Sie wissen, daß die Assyrer angreifen werden, können sich aber weder zu Verhandlungen noch zum rechtzeitigen Präventivschlag entschließen und machen den verhängnisvollen Fehler, einen assyrischen Parlamentär zu steinigen. Das Resultat mutet bekannt an. Die Stadt wird zerstört. Jedoch: "Was in jener Nacht ... das Ende einer Stadt bedeutet hatte, bedeutete jetzt die Chance eines Neubeginns, einer Verschönerung. Die Wiederaufbauarbeiten schlossen eine Verbreiterung der Straßen mit ein ..." Auch dies mutet bekannt an.

Akbar hat mit seiner Politik jahrhundertelang Erfolg gehabt: Es ließ die anderen kämpfen, konnte dank einem günstigen Friedensabkommen seine Flotte modernisieren und verfolgte seine Interessen durch Handel. Eine überaus moderne Strategie. Aber auch die selbstmörderische Politik gegenüber den Assyrern aus ideologischer Verblendung mutet bekannt an. Der Priester verheimlicht die Motive seines Konfrontationskurses. Er will, daß Phönizien untergeht - und mit ihm dessen größte Innovation, nämlich die Buchstabenschrift, die der breiten Masse den Zugang zum Wissen öffnet und auf lange Sicht das Heilige zu profanieren und die Stellung der Priester zu untergraben droht.

Immer wieder läßt Coelho im Hirn des Lesers Gegenwarts-Assoziationen aufblitzen, läßt dabei aber seine Phantasie nicht vom Zügel, läßt seine Einfälle niemals durchgehen. Vor allem vermeidet er den größten Fehler, den viele Autoren historischer Romane machen: Die Breite. Auch "Der Fünfte Berg" ist, wie schon "Der Alchimist", knapp und klar erzählt und ein dünnes Buch. Die Absicht des Autors, dem Leser Lebensweisheiten zu vermitteln, Sätze, wie sie sich zum Beispiel im "Kleinen Prinzen" von Saint-Exupery finden, ist unverkennbar, doch sie sind diskret untergebracht, schön und zu bejahen. Zum Beispiel: "Wenn Ihr eine Vergangenheit habt, die Euch nicht befriedigt, dann vergeßt sie jetzt ... Erfindet eine neue Geschichte für Euer Leben und glaubt daran. Konzentriert Euch nur auf die Augenblicke, in denen Ihr erreicht habt, was Ihr wolltet - und dann wird diese Kraft Euch helfen, zu erreichen, was Ihr Euch wünscht." Oder: ",Kann ein Mensch den Schmerz eines Verlustes aus dem Herzen tilgen?' ,Nein. Doch er kann sich über einen Gewinn freuen.'" Manches kann man freilich auch hinterfragen. Zum Beispiel: "Der Herr verlangt von jedem nur das Mögliche." Hat er sich daran auch im Zwanzigsten Jahrhundert immer gehalten?

Der Name des Brasilianers Paulo Coelho steht für den Welterfolg einer gegen den Trend geschriebenen, alle als erfolgversprechend gehandelten Rezepte mißachtenden Literatur. Als er den Roman "Der Alchimist" schrieb, hatten weder "Sofies Welt" von Jostein Gaarder noch "Geh, wohin dein Herz dich trägt" von Susanna Tamaro ihren Siegeszug geschafft. Zu dritt bewiesen sie, daß Güte, Bescheidenheit, die Bemühung um das rechte Maß und das Streben nach Weisheit noch eine Chance haben - jedenfalls, solange sie nur in Büchern vorkommen. "Der Alchimist" - die Geschichte eines Mannes, der einen Goldschatz sucht und dabei ganz andere Schätze findet - wurde innerhalb weniger Jahre zum Kultbuch und erreichte ohne werbliches Trommelfeuer eine Weltauflage von mehreren Millionen.

Auch "Der Fünfte Berg" ist ein Bekenntnis zu Güte und Menschlichkeit, wobei Coelho aber darauf verzichtet, heutige Maßstäbe auf die Antike zu projizieren und die Dinge zu schönen: Am Ende läßt der nach Israel heimgekehrte Elia die Propheten, die den Herrn verraten haben, hinrichten. Auch in diesem Buch ist Coelhos Sprache vom ersten Satz an einfach, schön und kraftvoll, und auch hier ist wieder, wie es das Thema fordert, noch stärker, das Übernatürliche, das Wunder, in die Handlung integriert: Das Gespräch mit dem Raben, der Elia in der Wüste ernährt, das mehrmalige Erscheinen des Engels des Herrn.

Dabei hat Coelho alles andere als ein Erbauungsbuch, er hat, obwohl er Elia - gegen den Rat des Engels! - durch Zögern die körperliche Erfüllung seiner Liebe verpassen läßt, kein Traktätchen geschrieben. Sein Elia ist halt leider einer, dem es leichter fällt, von der Liebe Gottes zu sprechen, als einer Frau zu sagen, daß er sie liebt, und der - außer, wenn die Befehle von oben eintreffen - ein bißchen verantwortungsscheu ist: "Wenn der Pfeil ihn traf, war er tot. Wenn ihn jedoch die Liebe träfe, müßte er die Folgen tragen." Auch kein ganz unbekannter Fall.

Am Ende läßt die Kraft der Erfindung etwas nach, was wohl unvermeidlich ist, da die Erzählung hier in die überlieferte Geschichte des Propheten Elia einmündet. "Der Fünfte Berg" mag nicht ganz die Originalität des "Alchimist" haben, doch in einer schöneren Sprache, gründlicher durchdacht, erfindungsreicher wurde biblischer Stoff in den letzten Jahren selten von einem Dichter erzählt. Dabei hat Coelho seinen Roman, mit sehr viel Einfühlung in die Antike, durchaus nicht aus christlichem, sondern aus alttestamentarischem Geist geschrieben. Elias Rechten mit einem den Menschen noch sehr nahen Gott, sein Hin und Her von Gehorsam und Zuwendung, die Abwendung von einem Gott, der die Assyrer Akbar vernichten ließ, die Kampfansage an ihn, indem er die Stadt wieder aufbaut, die Ungewißheit, ob Gott den Kampf annehmen wird, ist dem Christen recht fremd.

Wie Coelho das auf den Punkt bringt, das ist biblisch gedacht, aber ganz modern formuliert. Der Engel teilt Elia mit, Gott habe seinen Kampf angenommen. Er habe aber noch einen Zweifel, meint Elia, ob es nicht Sünde sei, dies zu tun? "Da sagte der Engel: ,Wenn ein Krieger mit seinem Ausbilder kämpft, ist dieser dann gekränkt?' ,Nein. Es ist die einzige Möglichkeit, wie er sich die richtige Technik aneignen kann.' ,Dann fahre fort, bis der Herr dich zurück nach Israel ruft ... Erhebe dich und beweise weiterhin, daß dein Kampf einen Sinn hat, weil du die Strömung des Unabwendbaren zu durchqueren wußtest.'"

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