Gott als Frage offen halten

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"Stadtmission" - wie in Wien - ist dann sinnvoll, wenn sie eine "urbane Spiritualität" fördert.

Die Stadt ist der bevorzugte Ort der Säkularisierung: Solch Diagnose legt nicht nur der Zeitgeist nahe. Hier ist die Erosion institutioneller Religion mit Händen zu greifen, auch die Statistiken sind klar. In Wien etwa, der Hauptstadt des "katholischen" Österreich, ist schon vor der jüngsten Jahrtausendwende die Katholikenzahl auf unter 50 Prozent gesunken.

Es ist Zeit, meint nicht nur Wiens Kardinal Christoph Schönborn, die christliche Botschaft mit neuem Wind in die Stadt zu tragen. Auch die Diagnosen von Religionssoziologen, die einen Trend zur "Respiritualisierung" orten, stützen dies: In den nächsten Tagen wird die "Stadtmission" mit vielen großen und kleinen Events rund um den Stephansdom und in vielen Wiener Pfarren ihren Höhepunkt und Abschluss erreichen.

"Stadtmission" war in Wien schon mehrmals angesagt. Etwa im 16. Jahrhundert, als die Stadt protestantisch war und die Wiener durch Jesuiten und andere "rekatholisiert" wurden (evangelische Christen weisen im Gespräch immer wieder darauf hin, dass aus dieser Zeit konfessionelle Wunden geblieben sind). Oder auch nach den Napoleonkriegen im 19. Jahrhundert, als religiöse Erneuerer wie Klemens Maria Hofbauer ins spirituelle Vakuum vorstießen.

Wieweit die Fragen von heute mit jenen vergangener Missionszeiten vergleichbar sind, wäre ausführlicher zu diskutieren. Unbestreitbar bleibt, dass den Christen in der Stadt neue Impulse und kräftiger Schwung anstünden.

Auf den Punkt gebracht: Urbane Spiritualität gilt es neu zu entdecken. Denn die Stadt an sich stellt für Christen keineswegs eine Glaubenswüste dar. Im Gegenteil: Zum einen ist das Christentum von seinen Ursprüngen her eine Stadt-Religion (vgl. Seite 4 dieser Furche). Und zum anderen geht auch die profane Weltentwicklung (Landflucht...) in Richtung Stadt: Vom "Global Village" zu reden ist irreführend, "Global City" entspräche mehr den Realitäten und Lebensgefühlen. Solche Tatsachen legen nahe, dass die Stadt ein privilegiertes Betätigungsfeld für Christen wäre; die Krise institutionellen Christentums stellt in der säkularisierten Stadt eine Herausforderung ersten Ranges dar.

Eckpunkte der Spiritualität

Vieles und Vielgestaltiges scheint nötig, das Christentum neu und - über altehrwürdige Kirchenbauten hinaus - in der Stadt sichtbar zu beheimaten. Eine Spiritualität der Stadt fußt aber auf Eckpunkten, ohne die eine neue Verankerung des Christlichen in der Stadt kaum möglich wird. Einige Beispiele dafür seien genannt:

* Urbanes Christentum muss sich im Gespräch mit der Welt - von der Politik bis zu unermüdlicher Anwaltschaft für Gerechtigkeit - bewähren. Nicht Weltfremdheit, sondern Weltvertrautheit ist die Grundlage, auf der Christen in der Stadt ernst zu nehmen sind.

* Glaube und Vernunft müssen glaubhaft vereinbar bleiben, Religion ist keine Beleidigung des Intellekts. Auch das ist klar, seit sich die Christen in der hellenistisch-römischen Stadtkultur behaupteten - und gilt umso mehr, als das Christentum einen Gegenentwurf zu anti-intellektuellen, pseudo-mystischen Strömungen, wie sie als Esoterikwellen auch in der Postmoderne grassieren, darstellt.

* Auch die Auseinandersetzung mit anderen, die die Welt deuten, ist eine notwendige Voraussetzung - zuvorderst das Gespräch mit der (zeitgenössischen) Kunst. Ohne solchen Diskurs bliebe christliche Weltauslegung unbefruchtet.

* Stadt-Spiritualität verlangt Experimentierfelder des Glaubens. "Aggiornamento", die Inkulturation des Christentums in moderne Gesellschaften, bedarf großer Experimentierfreude - in Verkündigung, Liturgie, Formen gelebten Glaubens. Dies meint alles andere als ängstliches Festschreiben und Dogmatisieren: In einer offenen Spiritualität - das ist durchaus als genuin christliche Hoffnung zu verstehen - werden sich jener Glaube und jene Formen durchsetzen, die tragen.

* Schließlich muss sich die traditionelle Kirche mit ihren Strukturen in Frage stellen lassen. Wenn sich die Institution dieser Auseinandersetzung verweigert, werden die Christen in der urbanen Welt nicht reüssieren - etwa wenn es um die Spannung zwischen demokratischen profanen und autokratisch-hierarchischen kirchlichen Strukturen geht oder um die bedrängenden Fragen nach neuen und lebbaren Formen der Gemeindeleitung (Stichwort: Priestermangel).

* Letztlich können geschilderte Eckpunkte urbaner Spiritualität zusammengefasst werden als Versuche, gerade in der Stadt nach Gott zu fragen. Zu fragen, nicht: vorschnelle Antworten zu finden.

Unabdingbare Ökumene

In den hier angedeuteten Überlegungen war von "Christen", nicht von "Katholiken" die Rede. Auch dies wäre ein Eckpunkt der Spiritualität: Christen sollten den Herausforderungen der Stadt nicht mehr in konfessioneller Unterscheidung, sondern - in allem Respekt vor den unterschiedlichen Traditionen - als gemeinsam Bewegte auf die Menschen zugehen. In wenigen Tagen wird in Berlin ein gemeinsamer Kirchentag von Protestanten und Katholiken stattfinden: ein wichtiges Zeichen für solch unabdingbare Zukunftsvision des Christlichen in Europa. Im Programm der Hauptveranstaltungen zur Wiener Stadtmission tritt diese ökumenische Dimension hingegen nicht zu Tage. Auch dieses Zeichen spricht für sich.

otto.friedrich@furche.at

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