Heilige Familie: Kein Abstecher zu den Pyramiden
Seit das Thema Flucht die Berichterstattung prägt, hört man in Predigten immer wieder, dass die Heilige Familie schon ganz am Anfang Opfer einer politischen Verfolgung geworden sei und in Ägypten Asyl gefunden habe. Doch das trifft nicht zu. Eine Analyse.
Seit das Thema Flucht die Berichterstattung prägt, hört man in Predigten immer wieder, dass die Heilige Familie schon ganz am Anfang Opfer einer politischen Verfolgung geworden sei und in Ägypten Asyl gefunden habe. Doch das trifft nicht zu. Eine Analyse.
Im zweiten Kapitel des Matthäusevangeliums findet sich die berühmte Episode vom Kindermord zu Betlehem. Ausgelöst wird dieser, weil Ortsfremde sich beim König Herodes nach dem „neugeborenen König der Juden“ erkundigen. Über die Namen und die Anzahl der Ankömmlinge lässt der Evangelist seine Leserschaft im Dunkeln. Er erwähnt lediglich drei Geschenke, die sie mitführen, nämlich Gold, Weihrauch und Myrrhe. Im Gegensatz zu einer allgemein verbreiteten Vorstellung werden die Fremden nicht als Könige bezeichnet. Im griechischen Originaltext ist von magoi die Rede, also von Traumdeutern, Wahrsagern, Gelehrten oder Magiern – dem Begriff eignen viele unterschiedliche Bedeutungen. Dass sie in manchen Übersetzungen als Sternkundige präsentiert werden, hängt mit dem Kometen zusammen, dem sie folgen.
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Fundamentalistisch ausgerichtete Bibelleser und -leserinnen halten diese Episode schon deshalb für historisch, weil unter Astrologen unbestritten ist, dass zur Zeit um Christi Geburt tatsächlich ein Komet erschien, der für längere Zeit sichtbar war. Wahrscheinlich indessen ist vielmehr, dass dieses Phänomen sich auf die legendäre Ausgestaltung der Kindheitsgeschichte Jesu auswirkte.
Widersprechende Geschichten
Von den vier Evangelisten berichten lediglich Matthäus und Lukas ein paar Details über die Geburt und die Kindheit des Mannes aus Nazaret. Wobei die von ihnen überlieferten Geschichten einander offensichtlich widersprechen. So berichtet Lukas, dass Jesu Eltern vierzig Tage nach der Niederkunft Marias das von der mosaischen Weisung vorgeschriebene Opfer darbrachten und anschließend vom Jerusalemer Tempel sogleich nach Nazaret zurückkehrten.
Matthäus zufolge sieht Josef sich hingegen nach dem Besuch der Magier wegen der Nachstellungen des Herodes genötigt, mit seiner Frau und dem Kind nach Ägypten zu fliehen. Bei dieser Schilderung ließ sich der Verfasser offensichtlich von der Mose-Geschichte inspirieren. Im alttestamentlichen Buch Exodus nämlich wird berichtet, dass der Pharao in Ägypten alle männlichen Neugeborenen der Israeliten umbringen lässt; nur Mose entgeht dem Massaker, nachdem er in einem Binsenkörbchen ausgesetzt worden ist. Ähnlich verhält es sich im Matthäusevangelium mit Jesus. Dort befiehlt König Herodes, alle männlichen Neugeborenen zu töten. Einzig das Krippenkind kommt mit dem Leben davon, dank eines Traumgesichts, das Josef von einem „Engel des Herrn“ zuteil wird.
Als Mose das Volk Israel ins Gelobte Land führt, stößt er auf den Magier Bileam aus dem Osten, welcher im Auftrag eines Königs mit seinen Künsten die Israeliten auf ihrem Weg aufhalten sollte. Aber statt Mose zu verfluchen, segnet er ihn. Und erklärt: „Ein Stern geht in Jakob auf, ein Zepter erhebt sich in Israel.“ Ursprünglich bezog man dieses Orakel auf den König David, später dann auf den erwarteten Messias. Im Matthäusevangelium folgen die Weisen aus dem Osten einem Stern, der sie zur Krippe hinführt. Aus Ägypten gelangen die Israeliten ins Land Israel. Nach dem Tod des Herodes kehren auch Jesus und seine Eltern aus Ägypten in ihre Heimat zurück.
Die Parallelen zur Mose-Geschichte sind derart frappierend, dass kein Studium in Exegese vonnöten ist, um zu erkennen, dass der Evangelist sich bei seiner Darstellung nicht von historischen, sondern von katechetischen Interessen leiten ließ. Tatsächlich gestaltet er seine Erzählung über den Versuch des Herodes, das Kind zu töten, über das Massaker an den männlichen Kleinkindern und über die Rückkehr der Heiligen Familie aus Ägypten unverkennbar nach dem Vorbild der Mose-Geschichte. Dazu kommt, dass Matthäus sein Evangelium für Judenchristen verfasste, die diese Parallelen sofort erkannten.
Wer sich bei der Lektüre der Evangelien ausschließlich auf das Historische fixiert, übersieht, was deren Verfasser eigentlich sagen wollen. Tatsächlich beinhaltet die Legende vom Besuch der Magier in Betlehem, vom Kindermord und der anschließenden Flucht nach Ägypten keine geschichtliche, sondern eine theologische Aussage: Jesus ist der neue Mose; er ist der Retter Israels. Und nicht nur Israels! Denn wie Bileam ein Nichtisraelit war, sind auch die Magier, die dem Kind huldigen, nichtjüdischen Glaubens. Wiederum ist die Botschaft offenkundig: Der von Israel erwartete Messias ist der Erlöser der gesamten Menschheit.
Der Autor ist Angehöriger des Minoritenordens, Fundamentaltheologe und Buchautor.
Die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten im Krippenspiel
In den seit dem Spätmittelalter üblichen Krippenspielen wurde auch die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten in Szene gesetzt. Dabei fehlte es nicht an komischen Einlagen – man konnte die Zuschauenden ja nicht nur mit lauter frommen Versen bei Laune halten. So berichtet ein gewisser Benedict Edelpöck in seiner 1536 entstandenen Comedie von der freudenreichen Geburt Jesu Christi, dass es zwischen Maria und Josef schon während der Reisevorbereitungen bezüglich der Verpflegung zu einem lebhaften Disput kam. Maria befiehlt Josef, nur das Allernötigste einzupacken. Worauf dieser ziemlich verärgert reagiert:
Bhüet Got! Lass das flaschl nit dahindn
und sollt ich gleich noch so schwer tragen.
Ei, mein Maria, thue das nit sagn!
Bin nun ain alter schwacher mann,
und sollt ich mich nit z’laben han
mit einem kleinen drünkel wein?
Will eh was andres hinden lassn,
ich muess wein han auf der strassn!
Derhalben füll mir das flaschl ganz wol.
Der wein macht fröhlich alte leut,
ist ser gsund, ain sterk auch geit (gibt)
wann man ihn zimlich trinkt mit mass.
Unterwegs ermuntert Josef Maria, mit ihm anzustossen. Die aber wehrt entsetzt ab; für eine Frau gehöre es sich nicht,
dass sie sich mit wein beschwer; es ist all erbarkeit auch auss
wann ein weib vol kumbt haim zu haus.
(Josef Imbach)
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