Von allen guten Geistern verlassen

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Sie kennen wahrscheinlich alle das Motiv: der junge Mann mit den lockigen Haaren, langem wallenden Gewand und weißen Flügeln, der seine Hände schützend über zwei Kinder hält, die über eine Brücke gehen. In den Schlafzimmern meiner Kindheit hing es als Bild. Kitschig und bunt. Im letzten Sommer habe ich es wiederentdeckt, in Maria Luggau, als Schneekugel und habe es gekauft; ich sammle nämlich religiösen Kitsch.

Es hat etwas Rührendes. Die Kinder und der Engel. Seltsamerweise wich für mich als Kind die Angst, wenn ich an diese Szene dachte. Heute rangiert diese Darstellung in der Abteilung religiöser Kitsch. Aber bei dieser Einteilung geht es eher eher um die Inszenierung als um die Sache: Denn daß da jemand ist, der außer mir selbst auf mich schaut, ist für mich eine Hoffnung, die mich bewegt. Aus der Gewißheit solchem Geborgenseins sind wir dann selbst schwierigen Situationen gewachsen. Allerdings haben dieses christliche Prinzip heute sehr viele Menschen längst vergessen. Ich bedauere das.

Deswegen scheint es manchmal, als ob wir von allen guten Geistern verlassen wären. Als ob wir mutterseelenallein über die gefährliche Brücke über dem noch gefährlicheren Abgrund gehen müßten.

Dann greift die Angst um sich, bemächtigt sich unser, läßt uns Dinge tun, die uns unter normalen Umständen nie in den Sinn gekommen wären. Es ist die Angst abzustürzen, übersehen zu werden, zu kurz zu kommen. Aus solcher Angst entstehen die seltsamsten Situationen.

Offensichtlich macht diese Angst vor niemandem Halt. Nicht einmal vor politischen Parteien. Aber was hilft dagegen? Wut? Protest? Niedergeschlagenes Schulterzucken? Kopf in den Sand stecken? - Ich weiß schon, es klingt naiv, was ich da sage. Keine und keiner der an der Spitze steht, der an der Macht ist oder bleiben möchte würde zugeben, daß Angst sein Beweggrund ist. Die Angst hat viele Namen. Manchmal zum Beispiel nennt sie sich Verantwortung und manchmal verkleidet sie sich als Notwendigkeit. Aber Angst bleibt Angst.

Ob man dagegen einfach Maria Luggauer Schneekugeln verschenken sollte?

Luise Müller ist Superintendentin der evangelischen Diözese Salzburg und Tirol.

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