"Wie viele Ziegel für zwei Meter?“

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Vor 50 Jahren besiegelten die Sozialpartner die Gastarbeiter-Anwerbung. Klaus Lukas wurde eigens dafür in die Türkei geschickt. In der FURCHE erinnert er sich.

Er war der erste Österreicher, der im Ausland mit der Anwerbung von Gastarbeitern betraut war. Nach Abschluss des Raab-Olah-Abkommens zum Jahreswechsel 1961/62 (siehe unten) wurde Klaus Lukas als 23-Jähriger von der Bundeswirtschaftskammer nach Istanbul geschickt.

Die Furche: Als 23-Jähriger in Istanbul - wie kam es dazu?

Klaus Lukas: Eigentlich sollte ich in die Handelsdelegation nach Beirut versetzt werden. Dann wurde ich gefragt, ob ich auf dem Weg dort hin ein paar Monate in Istanbul die Anwerbung von türkischen Arbeitern übernehmen will. Das kam sehr überraschend und war etwas völlig Neues für mich, aber ich habe die Aufgabe mit Freude angenommen. Ich hatte drei Wochen Vorbereitungszeit. Als Ein-Mann-Büro war ich in der Außenhandelsstelle angesiedelt und hatte nur eine Dolmetscherin. Erst in Istanbul wurde mir bewusst, dass die Aufgabe große Auswirkungen haben könnte. Und wie schwierig sie war.

Die Furche: Inwiefern?

Lukas: Ich war ein junger Mann, hatte keine Erfahrung mit großer Armut. Einerseits war es positiv, dass ich Hunderten mit einer vorübergehenden Arbeit in Österreich helfen konnte. Andererseits war es emotional sehr belastend für mich, weil es noch Hunderttausende andere gab, wo das nicht möglich war. Die Menschen waren bitterarm. Manche hatten nichts Warmes zum Anziehen, froren schon in Istanbul und fuhren dann in den österreichischen Winter. Da habe ich mich dann bemüht, Pullover für sie aufzutreiben.

Die Furche: Wie hat die Rekrutierung der Arbeiter funktioniert?

Lukas: Ich habe aus Österreich konkrete Aufträge bekommen, eine bestimmte Anzahl Bauarbeiter oder Wäscherinnen zu schicken. Die meisten wurden mir vom türkischen Arbeitsvermittlungsbüro geschickt, die Zusammenarbeit funktionierte sehr gut. Viele mussten jahrelang warten, bis sie drangekommen sind. Es hat sich aber mit der Zeit herumgesprochen, dass es mich gibt. Dann sind Menschen, die unbedingt nach Österreich wollten, direkt zu mir gekommen. Manchen habe ich meine Visitenkarte gegeben, damit sie am Arbeitsvermittlungsbüro vorgereiht werden. Ich bekam dann aber bald einen Anruf, dass zu viele Männer mit meiner Karte kommen. Offenbar haben sie unmittelbar nach dem Vorstellungsgespräch im Warteraum meine Visitenkarte verkauft. Die letzte Entscheidung, wer nach Österreich kommt, lag immer bei mir.

Die Furche: Nach welchen Kriterien haben Sie entschieden?

Lukas: Es war schwierig für mich, die Qualifikation einzuschätzen. Als studierter Jurist hatte ich da keine Vorerfahrung. Ich habe mich aber schlau gemacht, wie man effiziente Vorstellungsgespräche führt. Bei einem Maurer war die Frage zum Beispiel: "Wie viele Ziegel brauchst du auf zwei Meter?“ Ich habe jedenfalls nie Beschwerden aus Österreich bekommen.

Die Furche: Wie kamen die Arbeiter nach Österreich?

Lukas: Für den Transport war ich zuständig. Gleich der erste ging schief. Ich habe dreißig Männern über Griechenland geschickt. Zwei Tage kam dann ein Telegramm aus Wien: "TT1 nicht angekommen.“ Der "Türkentransport“ war verspätet, weil die Männer den Anschlusszug in Thessaloniki versäumt haben. Am nächsten Tag waren sie dann aber am Südbahnhof. Während meiner Zeit in Istanbul habe ich selbst jeden Gastarbeiter am Bahnhof auf Österreich vorbereitet, mit Reiseproviant versorgt und verabschiedet.

Die Furche: Wie viele Arbeiter haben sie denn insgesamt vermittelt?

Lukas: Mehrere Hundert, fast alle waren Männer. Einmal habe ich eine Anfrage nach Wäscherinnern bekommen, das war schwierig. Ich konnte dann tatsächlich eine Frauengruppe zusammenstellen. Später habe ich ein Telegramm bekommen: Ich soll den Arzt anhalten, in Zukunft Schwangerschaftstest zu machen. Angeblich war die Hälfte von ihnen schwanger. Sie haben aber trotzdem gut gearbeitet, und die Arbeitsverträge waren nur auf ein paar Monate befristet. Das war damals bei allen so.

Die Furche: Kehrten alle zurück?

Lukas: Ja, aber viele sind danach wieder nach Österreich gekommen. Wenn ich jetzt manchmal in der U-Bahn fahre und türkischstämmige Kinder sehe, habe ich das Gefühl, das sind die Enkel meiner Schützlinge von damals.

Die Furche: Wie bewerten Sie die Zuwanderer-Diskussion heute?

Lukas: Die Stimmung in Österreich war den Gastarbeitern gegenüber damals sehr positiv, die Firmen haben die Arbeiter ja dringend gebraucht. Ich selbst habe 25 Jahre im Ausland gelebt und gearbeitet. Auch aufgrund meiner Erfahrung in der Türkei habe ich überhaupt kein Verständnis für eine ablehnende Haltung Migranten gegenüber. Schon damals hatte ich den Eindruck, dass ich am Beginn einer Aufgabe stehe, die für Österreich wichtig und gut ist. Das sehe ich noch heute so.

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