Das ganze Jahr lang ohne Heizung

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Häuser, die ohne Heizung auskommen - und das in unseren Breitegraden? Ein Bericht über Erfahrungen mit dem Bau von "Passivhäusern" in Vorarlberg.

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Häuser, die ohne Heizung auskommen - und das in unseren Breitegraden? Ein Bericht über Erfahrungen mit dem Bau von "Passivhäusern" in Vorarlberg.

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Angenehme Wärme und Bequemlichkeit zu erschwinglichen Preisen scheinen mit einem ökologisch vertretbaren Lebensstil schwer verbindbar zu sein. Noch immer hat Wohnkomfort das Stigma von Luxus. Daß Energiesparen ihn aber keineswegs ausschließen muß, demonstriert das Konzept des Passivhauses. Die Idee dafür ist nicht ganz neu. Schon vor fünf Jahren bewies der deutsche Techniker Wolfgang Feist mit einer Reihenhausanlage in Darmstadt, daß man im kühlen Europa den Heimwärmebedarf auf ein Minimum reduzieren kann.

Die ersten österreichischen Beispiele sind bei den sparsamen Vorarlbergern zu besichtigen. Das Haus "Caldo" steht in einem Bergdorf in der Nähe von Frastanz auf etwa 700 Meter Höhe. Das Ortsbild ist bestimmt von Bauernhöfen und Einfamilienhäusern in alpinen "Lederhosenstil". Das schlichte graue Caldo-Haus, geplant und errichtet von Baumeister Richard Caldonazzi aus Frastanz, wirkt mit seinem einfachen Pultdach innerhalb dieser Folklore-Umgebung angenehm nüchtern. Diese Schachtel mit komplett verglaster Südfront hat etwas von der Schönheit einfacher, klar strukturierter Gebäude. Das Ziel ist, daß durch kompakte Bauweise möglichst wenig Energie entweichen kann.

Das Erdgeschoß wird als Büro genützt, alle Wohnräume befinden sich im Obergeschoß. Das Ganze wirkt sehr praktisch und trotzdem freundlich. Der Blick durch die raumhohen Glasfenster verschafft Zugang zur Natur und vermittelt ein Gefühl von Weite. Auf großen Tischen stehen Monitore, die Wände sind mit Drucken und Bildern geschmückt. Die Innenwände bestehen aus leicht versetzbaren Fachwerkriegeln. Auf diese Weise kann das Bauwerk später ohne Schwierigkeit an geänderte Anforderungen angepaßt werden.

Kork zur Dämmung Das Beeindruckendste sind jedoch die Energiesparleistungen des Gebäudes. Der Heizenergiebedarf des Hauses mit 180 Quadratmeter Wohnfläche betrug im ersten Jahr 1700 Kilowattstunden. Das sind umgerechnet 170 Liter Heizöl in einer Heizperiode.

Ein halbwegs gedämmtes normales gleicher Größe Haus verpulvert locker die zehnfache Menge. Obwohl das Passivhaus im Prinzip nur bekannte und bewährte Technologie verwendet, geht es von einem revolutionären Ansatz aus: Man verzichtet auf eine Heizung. Daher muß der Wärmeverlust des Gebäudes möglichst gering gehalten werden.

Das erreicht man einerseits durch kompakte Bauweise und starke Dämmung, im konkreten Fall eine 35 Zentimeter dicke Korkschicht. Der nächste heikle Punkt beim Wärmeverlust sind die Fenster. Es werden jedoch mittlerweile Fenster angeboten, deren Wärmeverluste vernachlässigbar gering sind. Wegen der guten Dämmung und der undurchlässigen Fenster verliert ein solches Gebäude kaum Luft.

Dieser Effekt ist aber nicht nur positiv. Ein gewisser Austausch zwischen verbrauchter Innen- und frischer Außenluft ist für die Bewohner nämlich erforderlich. Er erfolgt bei gewöhnlichen Häusern über die Durchlässigkeit der Fenster. Beim Passivhaus ist eine gesteuerte Entlüftung des Gebäudes erforderlich. Jeder Raum wird über eine Verrohrung in den Wänden be- und entlüftet.

Diese Lüftungssystem ist zugleich die Heizung. Die über die Belüftungsanlage angesaugte kalte Frischluft wird vorgewärmt. Das geschieht über eine Wärmepumpe und einen Wärmetauscher, welcher der entweichenden, verbrauchten Abluft des Hauses die Wärme entnimmt. Die auf diese Weise erwärmte Frischluft wird über die Verrohrung in die Räume geleitet, wo sie die Temperatur auf die erforderliche Höhe bringt.

Trotz dieses geschlossenen Systems hat das Haus einen - allerdings sehr geringen - Wärmeverlust. Der wird hier durch die Passivsolarerträge der großen Fenster und die angebrachten Sonnenkollektoren ausgeglichen. Reicht das nicht aus, weil wochenlang die Sonne nicht scheint, kann die Raumluft über eine gering dimensionierte Zusatzheizung erwärmt werden. Ein störungsfreier Betrieb ist gewährleistet, weil nur bewährte "Low-tech-Geräte" verwendet werden. Dieses zukunftsorientierte Konzept ist von der Regelungstechnik sehr einfach aufgebaut.

Der Besitzer des Caldo-Hauses war zuerst mißtrauisch: "Ich gebe zu, daß ich skeptisch war. Zwei lange Winter haben mich aber überzeugt. Auch im Dezember und Jänner war die Wohnqualität hervorragend." Der 30jährige Vorarlberger betreibt mit seiner Frau eine Agentur für Werbegrafik. Die meiste Arbeit wird zu Hause erledigt. Ein eingefleischter Umweltschützer ist der Hausherr nicht. "Mir ging es um die Funktionalität und die Wohnqualität. Der Aspekt des Energiesparens war nicht vorrangig."

Auch wenn gewährleistet ist, daß dieses System funktioniert, bleibt die Frage der Kosten für die zusätzlichen Maßnahmen. Sie sind nicht unbeträchtlich. Im Gegenzug erspart man sich aber alle Aufwendungen für ein Heizsystem. Beide Summen halten sich etwas die Waage. Ein Passivhaus kostet also ungefähr gleich viel wie ein architektonisch ähnliches, aber konventionelles Gebäude. Der Passivhausbesitzer hat jedoch über die gesamte Lebensdauer des Hauses den enormen Vorteil der winzigen Energiekosten.

Daß das Passivhauskonzept keine Spielwiese für ein paar Exoten ist, beweist das Interesse, mit dem man im energiesparbewußten Vorarlberg diesen Weg beobachtet. Dort sind sparsamer Umgang mit Ressourcen und Nachhaltigkeit nicht nur Lippenbekenntnisse und Aufputz für Sonntagsreden. Eine Vorreiterrolle hat dabei das Energieinstitut in Dornbirn.

Diese selbständige Organisation entwickelt die Konzepte für neue energiesparende Maßnahmen, auf die dann die Landesregierung bei der Gestaltung der Wohnbauförderung zurückgreift. Schon vor einigen Jahren ist man in Vorarlberg dazu übergegangen, die Förderhöhe beim Wohnbau an Kriterien der Ökologie und des Energiesparens zu binden. Dies hat sich sowohl auf den Energieverbrauch als auch auf die architektonische Qualität der errichteten Häuser positiv ausgewirkt.

Wenig Sonne genügt Die Konzepte werden bereits in die Tat umgesetzt. Eine Reihenhausanlage in Hörbranz, die auf diesen Ideen basiert, steht vor der Fertigstellung. Auch andere Projekte setzen diesen radikalen Energiespargedanken in die Tat um. Das Konzept des Passivhauses funktioniert aber nicht nur in sonnenbegünstigten Gebieten. In Klösterle, eingezwängt vom Arlbergmassiv, scheint im Winter kaum Sonne. Aber auch dort funktioniert das Passivhaus zufriedenstellend.

Es gibt nun erste Versuche, Passivhäuser in Ostösterreich zu errichten. Einer der Pioniere ist der Wiener Architekt Fritz Waclawek. Er war an der Errichtung der Sun City im 22. Wiener Bezirk als Planer beteiligt. Sein erster Passivhausbau ist bereits fertig geplant, mit der Errichtung wird im Herbst begonnen. An den Schwierigkeiten, mit denen er konfrontiert war, läßt sich der Unterschied zwischen Vorarlberg und Wien ermessen. "Hier fehlt einmal das Wissen über die vorhandenen energietechnischen Sparmöglichkeiten. Was im genossenschaftlichen Wohnbau gebaut wird, entspricht meist überhaupt nicht den heute leicht erreichbaren Standards. Es wird aber von den Anbietern nichts geändert, weil die Käufer mangels besseren Wissens mit dem Vorhandenen zufrieden sind."

Der nächste Punkt, den Waclawek kritisiert, sind die rigiden Bauvorschriften, die jedes Detail festlegen. Die führt manchmal in den Bereich des Absurden. Für das von Waclawek geplante Passivhaus in Hütteldorf mußte beispielsweise gemäß Bauordnung ein Kamin vorgesehen werden, obwohl das Haus keine Heizung hat. Eine unnötige Investition von 100.000 Schilling und obendrein eine Schwachstelle in der Wärmedämmung.

Für einen Architekten bedeutet die Planung eines Passivhauses eine Umstellung, weil bekannte Erfahrungsbereiche hier nicht mehr stimmen. "Planungsarbeiten für ein solches Haus sind beim ersten Mal mühsam und erfordern eine wesentlich größere Sorgfalt. Das macht sich besonders beim großvolumigen Wohnbau bemerkbar. Hier muß man anders konzipieren und anders anordnen. Auf Standardlösungen kann man dabei aber nicht zurückgreifen."

Entscheidend ist bei solchen Projekten auch, daß man über kompetente Partner verfügt. Laut Waclawek sieht es damit in Ostösterreich noch dürftig aus. "Das Umfeld ist ein anderes. Die Stadt Wien kann nicht einfach zum Generalunternehmer gehen, 500 Wohnungen in Auftrag geben, und alle wissen, was sie zu tun haben. So geht es dann nicht mehr."

Trotz der Hindernisse sieht Waclawek im Passivhauskonzept wegen seiner Einfachheit und Effizienz die Zukunft. "Dazu muß dieses Gedankengut aber erst einmal von den Planern entdeckt werden. Die Kunden werden nachziehen, wenn sie die Leistungen in der Praxis überprüfen können und sehen, daß man mit weniger Energie ein Mehr an Wohnqualität erreichen kann."

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