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Stolz auf Markenzeichen

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10. Internationale Messe in Brünn, i Für echte Jubiläumsstimmung sorgen die sowjetischen Truppen, die in 1 den Wäldern auf den Hügeln rund um die mährische Hauptstadt Stel- Jungen bezogen haben. i

In das Stadtgebiet von Brünn ver- ' irrt sich hin und wieder ein sowjeti- 1 sches Militärfahrzeug, das dann in 1 den engen Gassen der Innenstadt ; Verkehrsstauungen verursacht. Die ' Brütaner machen sich über die ver- 1 staubten, schmutzigen Soldaten ' lustig, die bei unfreundlichem Wet- -1 ter im Wald kampieren müssen.

In den Straßen von Brünn ist von j Wirtschaftskrise nur wenig zu mer- . ken. Die Geschäfte sind mit Waren ; aller Art sehr gut bestückt; Obst, . auch Südfrüchte, hochwertige Le- , bensmittel, amerikanische Zigaretten, ' Schuhe und Bekleidung nach dem letzten Schrei der Mode sind, so versichern die Brünner, bereits seit Monaten und nicht erst seit Beginn der Messe reichlich zu bekommen. Es ist erstaunlich, was die tschechoslowakische Wirtschaft in deta wenigen Monaten der praktizierten Wirtschaftsreform bereits leisten konnte. Während der Großteil der angebotenen Waren früher von westlichen Touristen zwar als billig, aber als „Ramsch“ angesehen wurde, überwiegen jetzt qualitativ hochwertige und auch etwas teurere Waren. Reisetaschen aus echtem Leder, Glaswaren in modernen, geometrischen Formen, hochwertige Lebensrnittel, Damenschuhe, die auch einschlägige Geschäfte im Westen stolz in ihre Auslagen stellen könnten. In der. tschechoslowakischen Wirtschaft stecken gewaltige Reserved.

'Das zeigt auch ein Rundgang durch die Brünner Messe. Hier fällt vor allem das breite Produktionsprogramm auf. Die tschechoslowakische Firma Tesla erzeugt seit kurzem Computer, die nach einer Lizenz der französischen Machine Bull hergestellt werden. Die Firma Omnipol maschmen und Radaranlagen auf ihrem Programm. Skoda stellt auf der Brünner Messe neue Diesellokomotiven, hochmoderne Präzisionswerkzeugmaschinen mit vollautomatischer Steuerung und komplette Industrieausrüstungen aus. Auf dem Sektor Textilmaschinen überraschte die tschechoslowakische Industrie mit neu entwickeltet! vollautomatischen Webstühlen, die im westlichen Ausland Aufsehen erregten.

Konkurrenz in Sozialismus

Die tschechoslowakische Industrie ist nach der Phase der Deckung des Nachholbedarfes, in der ohne große Rücksicht auf Qualität drauflosproduziert wurde, offenbar zur Erzeugung von Qualitätswaren und zur eigenen Entwicklung von Maschinen übengegangen. Der Großteil der ausgestellten Waren kann einem Vergleich mit entsprechenden Produkten der westlichen Industrie durchaus standhalten.

Über das weitere Schicksal der Wirtschaftsreform äußern sich tschechoslowakische wie auch westliche Wirtschaftsfachleute meist optimistisch. Der tschechoslowakische Außenhandelsminister Vales erklärte, die Reform werde unbedingt weitergehen; Ota Šik, der im Westen als Vater der Reformgedanken angesehen wird, sei nur einer von vielen Vätern gewesen, sein Ausscheiden aus der Regierung habe also im Zusammenhang mit der Weiterführung der Reform nicht sehr viel zu bedeuten. Als nächste Ziele der Reform nannte Vales die Einführung des Konkurrenzprinzips in der tschechoslowakischen Wirtschaft; dabei werde auch die Konkurrenz des westlichen Auslandes eine große Rolle spielen. Solcherart werde aber die tschechoslowakische Wirtschaft auch gezwungen, weltmarktfähige Produkte zu erzeugen. Erst wenn sie damit aufwarten kann, werde man auch daran denken können, die Währung konvertierbar

zu machen, denn eine konvertible Währung kann es nur auf der Basis kctavertifoler Produkte geben.

Für den Optimismus der westeuropäischen Industrie spricht auch die überaus starke Messebeteiligung des Auslandes in Brünn. Nicht nur der Ostblock ist vollzählig mit einem reichhaltigen Angebot vertreten. Auch die prominenten westeuropäischen Unternehmen benützen Brünn immer mehr als Sprungbrett in die Ostblockwirtschaft. So stellen in Brünn alle namhaften Produzenten von Computern aus (ih Wien war kein einziger zu sehen); alle prominenten westlichen Autofirmen sind in Brünn mit ihren letzten Modellen vertreten; VW hat sogar die Weltpremiere seines neuen Modells 411 nach Brünn verlegt. Österreich ist mit 107 Ausstellern in der Rangliste

der Auslandsvertretungen auf dem guten Platz 4. Die österreichischen Firmen haben bereits an den ersteh Messetagen sehr gute Abschlüsse gemeldet.

Schwejk am Werk

Die Brünner Messe ist mehr Wirtschaftsmesse als etwa die Wiener Messe; sie hat das Ziel, ein Ostblockgegenstück zur Hannover-Messe zu werden, sicher erreicht. Naturgemäß stand die Brünner Messe heuer auch unter einem politischen Stern; die zahlreichen Stände jener Ostblockstaaten, deren Armeen in der Tchechoslowakei einmarschiert sind, waren nur sehr mäßig frequentiert. Aber: Die Sowjetunion, Polen, Bulgarien, Ungarn und die DDR brauchen die Brünner Messe als den einzigen wirklich repräsentativen Kon

taktplatz mit der Industrie des Westens. Darum sind sie auch alle nach Brünn gekommen, obwohl sie von der tschechoslowakischen Bevölkerung nicht sehr gut aufgenommen worden sind. Manche Ausstellerfirmen dieser fünf Staaten klagten darüber, daß sie kaum Arbeitskräfte für die notwendigen Adaptierungsarbeiten bekommeta konnten. Im Pavillon der DDR funktionierte lange weder Telephon noch Wasser. Im sowjetischen Pavillon gab es ebenfalls laufend „Gebrechen“ an den Telephon- Gas-, Wasser- und Lichtleitungen Als am dritten Tag der Messe während eines Empfanges der sowjetischen Delegation plötzlich wieder das Licht ausfiel, sollen die Sowjets danr mit massiven Interventionen gedroht haben. Das Gegenstück zu diesen passiven Widerstand sind zahlreiche Plakate ünd Aufschriften auf tschechoslowakischen Messeständen, ir denen Solidarität für die Prager Reformer bekundet wird. Besonders symptomatisch eine Aufschrift: „Wil sind stolz auf die Marke ,Made ir CSSR'.“

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