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Schaufenster für zwei Wochen

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Brünn, einst gewissermaßen Schwesternstadt Wiens, ist für zwei Wochen wieder Messestadt. Schaufenster der tschechoslowakischen Wirtschaft soll die Brünner Messe sein, die heuer von 872 Ausstellern aus 39 Ländern beschickt wurde: Belgien, Birma, Brasilien, Bulgarien, Dänemark, Ost- und Westdeutschland, Finnland, Frankreich, Ghana, Griechenland, Großbritannien und Nordirland, Holland, Indonesien, Italien, Japan, Jugoslawien, Kuba, Libanon, Liechtenstein, Luxemburg, Marokko, Mexiko, Norwegen, Österreich, Pakistan, Polen, Rumänien, Schweden, Schweiz, Sudan, Türkei, UdSSR, Ungarn, Uruguay, USA, Venezuela. Die Spezialisierung der Brünner Messe als Maschinenbaumesse hat ihr einen Ruf eingetragen, den es zu wahren gilt: Zum Unterschied von manchen anderen Messen handelt es sich in Brünn nicht darum, möglichst viele Firmen aus möglichst vielen Branchen und Ländern zur Ausstellung zu veranlassen, sondern um die Zusammenfassung von Spitzenleistungen des. Maschinenbaues und um eine zweckmäßige Gliederung des Angebotes in Branchen, die für die rasche technische Entwicklung des Maschinenbaues im Weltmaßstab von entscheidender Bedeutung sind. Nicht ohne Stolz verweist man in Brünn darauf, eines der schönsten Messegelände Europas zu haben, dessen gedeckte Ausstellungsfläche 72.000 Quadratmeter beträgt, während die ungedeckte Ausstellungsfläche 65.000 Quadratmeter beträgt.

Das Moped als Schlager

Österreich selbst ist in Brünn mit verschiedenen Großfirmen aus dem Bereich der Verstaatlichten Industrie und mit einer Kollektivschau im Pavillon der Nationen vertreten, deren Anziehungspunkt nicht sosehr die Erzeugnisse der Wintersportindustrie oder die Wachauer Weine waren: „Schlager“ war vielmehr ein Moped, von dem aus unerfindlichen Gründen das Gerücht erzählt wurde, es würde am Ende der Ausstellung verlost werden ...

Die Stadt Brünn steht für zwei Wochen ganz im Zeichen der Messe. Das Stadtbild blitzt geradezu vor Sauberkeit, ununterbrochen werden die Straßen gespritzt. Hotelbetten dagegen sind selten und längst im voraus bestellt. Nicht einmal die Errichtung großzügiger, doch gesichtsloser Neubauten im Herzen der Stadt konnte abhelfen. So wurde eben alles, was irgendwie den

Namen „Hotel“ trägt, rasch und improvisiert betriebsbereit gemacht.

Das alte i-< „österreichische“ —i Brünn von einst besteht noch, wenn auch aus der mährischen Hauptstadt heute eine Kreishauptstadt geworden ist. Im Stadtzentrum, dort, wo es ganz still ist, wo keines der ohnehin nicht häufigen Autos hinkommt, dort lebt noch das Brünn von gestern, mit seinen ländlichen Barockkirchen und alten Bürgerhäusern, von denen der Regen zweier Jahrzehnte die Tünche abgewaschen hat, so daß da und dort die alten Namen — eines Valentin Palkensteiner etwa — wieder durchkommen.

„Man spricht deutsch“

Man spricht wieder deutsch in Brünn — vielleicht nur zur Messezeit, doch immerhin empfehlen sich manche Geschäfte in der „Ceska“ — der „Kärntner Straße“ Brünns — schon wieder mit ihren Deutschkenntnissen, wenn auch im Hintergrund Walter Ulbrichts Zirkelwappen auf Schwarzrotgold deutlich genug zu merken ist. Die Jahre sind allerdings vorbei, in denen der Gast, wollte er deutschsprachige Auskunft erhalten, sich an ein durch ein verschämtes „Man-spricht-Switz“-Taferl legitimiertes Geschäft wenden mußte...

Zwei „dehnbare“ Stunden

Soweit also fühlt sich der Wiener Besucher ganz heimisch, sind es doch nur knapp zwei Autostunden von der Wiener Ringstraße bis ins Herz Brünns. Zwei Autostunden nur, die sich freilich gewaltig dehnen können: Am Grenzübergang Drasenhofen, den die meisten der

Wiener Brünn-Besucher frequentieren, ist man offenbar auf einen Massemansturm kaum vorbereitet. Immerhin, charmante Töchter Li-bussas in der grauen Uniform der tschechischen Finanzwache besänftigen allzu empörte Ausbrüche der Wartenden mit reizvollen Deutsch-fehlern: Sie alle — so versichern sie — lernten fleißig die Sprache des Nachbarn, denn dies gehöre zum Dienst.

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