Anschlag Terror - © Foto: Pixabay

Wie man (nicht) mit Terror umgehen soll

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Europa fürchtet sich vor dem Terror. Wir sollten uns aber überlegen, ob wir mit unserer Angst und der Einschränkung der Freiheit nicht dem Terror einen Gefallen tun.

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Europa fürchtet sich vor dem Terror. Wir sollten uns aber überlegen, ob wir mit unserer Angst und der Einschränkung der Freiheit nicht dem Terror einen Gefallen tun.

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Die Franzosen haben ihre eigene Version des tschechischen "dummen Honza", Toto mit Namen. Dieser Toto beschließt eines Tages, dass er Papierkanten nicht mehr mag. Dass er einfach nur ein rein weißes Blatt ohne Rand haben will. Also nimmt er eine Schere und schneidet die Ränder des Papiers ab. Als er damit fertig ist, bemerkt er, dass das Papier immer noch Ränder hat, aber dass es nun kleiner geworden ist. Also beginnt er erneut die Ränder abzuschneiden, und er macht das so lange, bis das Papier in lauter Schnipsel zerschnitten vor ihm liegt.

Beschnittene Freiheiten

Wir stehen, was den Terror betrifft, vor einem gar nicht unähnlichen Szenario wie Toto. Es gibt zwei langfristige Optionen. Entweder wir akzeptieren, dass der Terrorismus ein trauriger und dunkler Aspekt einer fortschrittlichen, offenen und freien Zivilisation ist (so wie auch unsere uns angenehmen Transportmittel mit dem Risiko eines Unfalls verbunden sind). Oder wir akzeptieren das nicht und errichten ein dichtes Kontrollnetz. Der Staat würde demnach nicht nur unsere Telefongespräche mithören, er würde überhaupt eine Supermacht werden, die uns und unsere Freiheiten beschneidet. Wir müssen uns dann dieser Macht unterwerfen, in der Hoffnung dass sich die Sicherheitslage bessert.

In dieser zweiten Variante behandeln wir den Terror nicht im Nachhinein, sondern wir behandeln und beurteilen ihn quasi im Vorhinein, je nach Gefahrenlage. Diese Methode ist jene, bei dem die Terroristen ihr Ziel erreichen, denn die gesetzten Maßnahmen sind ja auch ein Teil des terroristischen Konzeptes. Im Englischen sagt man, "es braucht zwei, um einen Tango zu tanzen", oder wie wir auch sagen, "eine Hand allein kann nicht klatschen". Will also der Terror sicherstellen, dass sein Konzept funktioniert, muss er die andere beteiligte Partei in besondere Angst versetzen können. So agiert der Terror, aber seine Methode ist eigentlich die eines "Schwächlings". Denn im Kampf wird stets ein schwächerer Gegner bekämpft, der automatisch auch als "Schwächling" eingestuft wird.

Wenn wir noch so viele Telefongespräche belauschen, noch so viele Kontrollen in den Flughäfen einführen, oder an Straßenbahnhaltestellen, in Restaurants oder Clubs, sie werden doch nur von bescheidenem Nutzen sein. Kurz gesagt hat jede Macht ihre Schwächen. Und wie wir am Dienstag in Brüssel gesehen haben, sprengen die Terroristen dann eben nicht die Flugzeuge in die Luft, sondern die Menschen in der Wartehalle, oder das Ziel sind ganz generell Menschenansammlungen. So gesehen könnten wir auch noch Kontrollen weit vor den Flughäfen haben, wir würden damit das Problem nicht lösen. Selbst Checkpoints zehn Kilometer vor dem Flughafen oder am Eingang jeder U-Bahnstation helfen nicht, solange sich an diesen Checkpoints Menschen stauen, und es Terroristen gibt, die sich genau dort in die Luft sprengen. Das gleiche gilt übrigens für die Schließung von Grenzen und selbst wenn diese Grenzen luftdicht verschlossen wären, wir könnten keinen Fall Breivik in Norwegen verhindern und eben keinen Terror von Belgiern in Belgien.

Die Angst der anderen

Solange wir nicht die Gedanken der Verbrecher lesen können wie in Minority Report, oder Superman und Batman haben, müssen wir die Tatsache akzeptieren, dass jede Gesellschaft auch Verwerfliches produziert. Nicht nur biologisches, sondern auch unlogisches und menschlich Verwerfliches. Unsere vier Grundfreiheiten, auf denen die Europäische Union ruht, haben nur einen einzigen Sinn und eine einzige Wirkung: nämlich Freiheit, die uns derzeit zweitrangig erscheint. Es sind die Terroristen, die Angst vor ihr haben: vor der Freiheit der Frauen, der Freiheit der Medien, des Glaubens. Ein Akt der Gewalt ist immer ein Zeichen der Schwäche oder der Inkompetenz. Und um sicherzugehen: selbst wenn wir alles und jeden kontrollierten, oder selbst alle Muslime wären, die korrekt mehrmals am Tag beteten und selbst wenn wir die Scharia praktizieren würden. Wenn wir also genau das tun würden, was die Terroristen verlangen, würde die Gewalt trotzdem nicht aufhören. Denn was passiert denn in jenen Ländern, in denen die Scharia praktiziert wird? Es ist dort kein Raum von Harmonie, Frieden und Liebe. Im Gegenteil.

Der Kampf gegen Monster

Es geht darum, sich dem zu widersetzen, aber nicht sich dabei zu ändern. "Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein", sagt Friedrich Nietzsche. Über Dämonen die Oberhand zu behalten, das schafft nur jemand, der sich nicht vor ihnen fürchtet. Der die Stärke dieser Dämonen einschätzen kann, aber sie auch nicht überbewertet.

Diese Ideologie könnte Europa niemals überrennen, sie ist vielmehr Ausdruck einer Ideologie, die sich in einer tiefen Krise befindet, aus der sie vergeblich einen Ausweg sucht. Der islamische Terrorismus sucht islamische Staaten viel mehr heim als nichtislamische. Deshalb ist er für diese Länder ein noch viel größeres Problem und auch eine größere Verantwortung als für uns.

Insofern ist es am allerwichtigsten, islamische Denker wie Maajid Nawaz zu unterstützen, die für den Dialog und die Gewaltlosigkeit werben und für Gedankenfreiheit, wie das in Nawaz' Buch "Islam and the Future of Tolerance" beschrieben wird. Moskau oder New York, Russland und die USA, haben nicht viel mit der EU gemein. Aber auch sie sind mehrfach Ziel des Terrors geworden und versuchen Vergeltungsschläge gegen die Welt des Bösen zu führen. Aber trotz ihrer immensen Größe und militärischen Stärke und ihrer genau kontrollierten Grenzen (welche die EU nicht hat und nicht haben will) sind sie daran gescheitert, den Terror auszurotten.

Weder alle Bomben der Welt noch Superman oder Hundert Meter dicke Mauern werden die Welt von bösen Menschen befreien. Noch ein letzter Gedanke, ein schöner und alter Gedanke, der schon bei Sokrates und Jesus zu finden ist, und der vom tschechischen Denker Orko Vácha auf die Erinnerung an den Holocaust angewendet wurde: Der wirkliche Horror liegt in Wahrheit nicht auf der Seite der Opfer, sondern auf der Seite des Gewalttäters.

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