Instensivstation Krankenhaus - © Foto: APA/OÖG

Corona: Schrecken der Triage

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Dramatische Engpässe in der Gesundheitsversorgung: Österreich ist selbstverschuldet in eine katastrophale Situation geschlittert. Wie konnte es so weit kommen? Ein Gastkommentar.

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Dramatische Engpässe in der Gesundheitsversorgung: Österreich ist selbstverschuldet in eine katastrophale Situation geschlittert. Wie konnte es so weit kommen? Ein Gastkommentar.

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Schon zu Beginn der Coronakrise hat mich als Arzt das Thema ­„Triage“ (französisch: Sortieren, Auslesen) besonders nachdenklich gemacht. Die Notwendigkeit einer Triage ergibt sich unbewusst in vielen Momenten unseres täglichen Lebens, wenn wir entscheiden müssen, in welcher Reihenfolge gewisse Dinge zu erledigen beziehungsweise auch zu unterlassen sind. In der Medizin versteht man unter einer Triage die Entscheidung, was bei einem Patienten, zum Beispiel einem Unfallopfer mit zahlreichen Verletzungen, zuerst unternommen werden muss – und was man zu einem späteren Zeitpunkt in Angriff nehmen kann. Blutungen müssen sofort gestillt werden, aber die Einrichtung einer Fraktur des Knöchels hat bis zum nächsten Tag Zeit.

Im Fall der Behandlung von Patienten mit schweren Formen von Covid-19 ergab sich im Jahr 2020 in Norditalien und in New York City, damals zwei Hotspots der Pandemie mit ungenügenden medizinischen Einrichtungen, die Frage, welchen der in die überfüllten Krankenhäuser eingelieferten Patienten mit einem der viel zu wenigen Beatmungsgeräte geholfen werden sollte. Den bei den seltenen Fernsehinterviews in Tränen ausbrechenden Ärzten wurde also zugemutet, unter diesen unmenschlichen Zuständen durch eine Triage über Leben und Tod zu entscheiden. Dabei kam immer auch der Faktor Alter zur Sprache und damit die Frage, ob das voraussichtlich längere Leben eines jungen Menschen erhaltenswerter sei als das Leben eines Alten mit begrenzter Lebenserwartung.

Primat des Rechts

Abgesehen davon, dass es ungerecht und unmoralisch ist, einem Arzt oder einer Krankenschwester diese Art einer ­Triage aufzubürden, wären hier die Philosophen gefordert gewesen, ihre Stimme zu erheben. Sie hätten öffentlich dafür eintreten müssen, dass man in diesem Fall auf einer nicht-utilitaristischen Begründung der Entscheidung bestehen muss. Für die Gesellschaft sind zwei Menschenleben nicht wertvoller als eines, und das eines Jungen nicht wertvoller als das eines Alten. In den Rechtswissenschaften ist es seit jeher Usus, sich in solchen Fragen – in diesem Fall also des gesundheitspolitischen Verteilungsgeschehens – nicht auf den Nutzen oder den Wert der Sache zu stützen, sondern nur auf den Primat des Rechts. Dann wäre den ­italienischen und amerikanischen Ärzten erspart geblieben, die maximale Zahl der Überlebenden kategorisch durch die maximalen Jahre geretteten Lebens zu ersetzen.

Es darf also nur darum gehen, welcher Patient die bessere Überlebenschance hat, und andere Kriterien, wie zum Beispiel das Alter, dürfen bei diesen Überlegungen keine Rolle spielen. Ob ein solches Konzept brauchbar ist oder nicht, kann letztendlich aber nur von Leuten entschieden werden, die es im praktischen Leben und Denken selbst benützen (Ernst von Glasersfeld). Diese Probe aufs Exempel mussten wir in Österreich damals noch nicht antreten. Grund waren die zu Beginn der Pandemie frühzeitig getroffenen Schutzmaßnahmen, die erstaunliche Zustimmung und Disziplin der Bevölkerung sowie das gut finanzierte und ausgerüstete Gesundheitssystem.

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