Geben und nehmen
FOKUSJäger und Sammler: Fremde Welt ohne „Danke“
Die Feldforschung bei Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften zeigt: Eine wirklich gleichberechtigte Gesellschaft basiert nicht auf dem Geben, sondern auf dem Nehmen.
Die Feldforschung bei Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften zeigt: Eine wirklich gleichberechtigte Gesellschaft basiert nicht auf dem Geben, sondern auf dem Nehmen.
Geben ist seliger denn Nehmen, sagt der Volksmund. Während die Seele dem Gewissen gewichen ist, hat sich das Geben zur alltäglichen Hochkultur des Schenkens entwickelt. Wir schenken an Geburtstagen Gutscheine, afrikanischen Kindern ein Augenlicht, einem Bettler ein paar Münzen, einem Fremden ein Lächeln. Man erwartet sich dafür eigentlich nichts. Na ja, zumindest Dankbarkeit, was das Geben letztlich immer an ein Nehmen knüpft und die scheinbare Selbstlosigkeit in Wirklichkeit zu einem Tausch macht – ein kleiner Makel, der uns nicht davon abhält, uns dabei gut zu fühlen. Mögen Kapitalismus, Ökonomie und Banken nehmen, uns bleibt immer noch das Geben als Ausdruck universaler Menschlichkeit.
Mit Blasrohr und Giftpfeilen
Aber 95 Prozent unserer Menschheitsgeschichte haben wir als Jäger und Sammler zugebracht, und diese Menschen geben nicht, sie nehmen. Bevor ich mit einem Kollegen der Uni Wien vor vielen Jahren aufbrach, um eine solche noch existierende Gesellschaft in Südostasien zu erforschen, war uns klar, dass das Tauschprinzip in der einen oder anderen Form in allen Gesellschaften grundlegend ist. Allerdings war uns nicht bewusst, wie unterschiedlich die Ausprägung dieses Prinzips in der Praxis sein kann. Aber welche Dinge kann man mit solch einer Gesellschaft tauschen?
Diese Menschen leben seit zehntausenden Jahren völlig unabhängig im Regenwald und haben wohl nicht auf zwei Forscher aus dem Westen und ihre dort unbrauchbaren Waren gewartet. Nahrungsmittel und Technologie waren somit ausgeschlossen. Es gab nur eine Sache, die sie von den umliegenden Bauern im Tausch gegen Waldhonig und andere Waldprodukte bezogen: Zigaretten. Für ihre Gesundheit wohl abträglich, war es für uns ein Glück, denn damit hatten wir im Tausch gegen Verpflegung und Unterkunft etwas anzubieten.
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