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Als Ziel - der Fachidiot ?

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In der derzeitigen Sprachverwirrung scheint es notwendig, das häufig gehörte Schlagwort von der Bildungsexplosion einmal näher zu untersuchen. Eine Explosion ist das plötzliche Freiwerden und zerstörende Vordringen starker Kräfte. Unter Bildung verstand man nicht nur Wissensvermittlung, sondern vor allem Wissensverständnis auf breiter, koordinierender Basis, auf der eine Weltanschauung aufgebaut werden konnte. Das scheint heute im Begriff Bildung nicht mehr „drinnen zu sein“. Die Bildungsexplosion hat ganz offensichtlich das Ziel, in möglichst kurzer Zeit (explosiv), einer möglichst großen Zahl (Masse) von Menschen möglichst viel Wissen zu raschem beruflichen Fortkommen (Spezialwissen) zu vermitteln.

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In der derzeitigen Sprachverwirrung scheint es notwendig, das häufig gehörte Schlagwort von der Bildungsexplosion einmal näher zu untersuchen. Eine Explosion ist das plötzliche Freiwerden und zerstörende Vordringen starker Kräfte. Unter Bildung verstand man nicht nur Wissensvermittlung, sondern vor allem Wissensverständnis auf breiter, koordinierender Basis, auf der eine Weltanschauung aufgebaut werden konnte. Das scheint heute im Begriff Bildung nicht mehr „drinnen zu sein“. Die Bildungsexplosion hat ganz offensichtlich das Ziel, in möglichst kurzer Zeit (explosiv), einer möglichst großen Zahl (Masse) von Menschen möglichst viel Wissen zu raschem beruflichen Fortkommen (Spezialwissen) zu vermitteln.

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Die Jugend will beim Laden und beim Zünden der Bildungsexplosion mitreden und mitbestimmen. Sie fordert — gemäß dem Bestreben der Zivilisation, der Menschheit das Leben möglichst leicht und angenehm zu gestalten — eine interessante und fesselnde Wissensvermittlung auf leichtestem Wege, auf dem Wege der mechanischen Lernhilfen. Sie fordert ferner die Wissensvermittlung für die der jeweiligen Begabung entsprechenden Berufe auf dem schnellsten Wege — durch die Einführung von Leistungs- statt von Altersklassen. Dabei ist immer nur vom Lehren und Lernen die Rede, also von der Wissensvermittlung. Das Kernstück der Bildung, die Erziehung zum disziplinierten, wertenden, vernünftigen Denken läßt man links liegen.

Diskussionen in Rundfunk und Fernsehen, die sich in jüngster Zeit mit dem Thema „Bildungsexplosion“ befaßten, waren stellenweise geistreich, aber nicht immer vernünftig. Die Jugend ging nämlich — unwidersprochen — von der unserer Natur keineswegs gemäßen Voraussetzung aus, daß alle Menschen „gleich“, gleich begabt und bildungsfähig, seien.

Daher machte sich auch niemand Gedanken darüber, woher man die Menge von Unterrichtergenies nehmen soll, die imstande sind, in allen Fächern, allen Schülern und allzeit den Unterricht wunschgemäß leicht und fesselnd zu gestalten. Niemand machte sich ferner Gedanken darüber, daß die geforderte gleiche Chance für alle, für den Hochbegabten wie für den „Unterbelichteten“, das Wissen, geschweige denn das Bildungsniveau derart drückt, daß der eine die ihm gezeigten Chancen doch nicht zu nützen vermag, dem andern aber der Weg zum Aufstieg wesentlich erschwert wird.

Niemand befaßte sich vernünftig mit dem Problem des Durchschnittsschülers. Man nahm einfach den Hochbegabten und Fleißigen zur Richtschnur und Norm. Auch „Wunderkinder“ sind Ausnahmen, insbesonders jene, bei denen die Entwicklung der meist einseitigen Begabung nicht nach der Pubertät stecken bleibt.

Damit möglichst vielen, damit einer Masse von Schülern irgend eine besondere Begabung in irgend einem Lehrfach bestätigt und so die Bildungsexplosion gezündet werden kann, sprengt man die erzieherisch wichtigen Klassengemeinschaften der Gleichaltrigen. Der Unterricht gerät in Gefahr, ins Unpersönliche, Mechanische abzugleiten. Das Unterrichtsziel ist nicht der gebildete Mensch, sondern der Fachidiot. Echte Bildung aber ist nun einmal keine Massenware. Wissen kann es werden. Bildung wird stets einer Minderheit, einer Elite vorbehalten bleiben. Nur verhältnismäßig wenige haben von Natur aus die durch nichts ersetzbare Chance, wirklich gebildete Menschen zu werden. Man muß jedem, der sich dafür zu eignen scheint, die Möglichkeit geben, ein „Gebildeter“ zu werden, man darf diese aber nicht zur Norm machen und damit dem Begabten das Bleigewicht des Durchschnittes ans Bein hängen. Man kann nicht den Durchschnitt künstlich zu Gebildeten aufziehen.

Für die Bildung ist nicht die Quantität des Wissens maßgebend, wie viele Beispiele solcher Männer lehren, die ohne Spezialwissen aus ihrem Erleben und ihrer Erfährung heraus lernten und zu kultivierten und wahrhaft gebildeten Männern und Frauen wurden. Der Unterrichtserfolg einer Klasse hängt bekanntlich von ihren schwächsten Teilnehmern ab. Das führt das Begehren nach Konzentration und Beschleunigung des Unterrichts ad absurdum. Es wird in solchen Klassen nicht einmal der Durchschnitt mitkommen und das Wissensniveau, vor allem das Niveau an verdautem Wissen, bedrohlich absinken.

Bildung muß man sich erwerben, erarbeiten; Bildung kann man nicht „manipulieren“, geschweige denn im Schnellsdederkurs erzielen. Bildung braucht Zeit, um sich entwickeln, entfalten zu können; Bildung ist ein Reifungsprozeß. Der aber hat sich bei der Jugend mit der sexuellen Akzeleration bekanntlich verzögert, die (männliche) Jugend kommt (nach Birkmayer) erst mit 25 Jahren zum vollen Gebrauch der Vernunft. Früher war man mit 21 volljährig, nämlich geistig-seelisch ausgereift. Das wieder heißt, daß die Schule nur den Grundstock der Bildung legen kann und nicht eine Talmi- oder Pseudobildung zusammenzuschustern hat.Es ist Pseudobildung, wenn man lediglich auf materiellem Wissen und bestenfalls auf kalter Logik auf-baut.Wissen ist duch die stürmische Entwicklung der Wissenschaften einem sehr raschen Verschleiß und Wandel unterworfen. Wissen veraltet rasch, ist bald überholt und wertlos. Wer nur mit Wissen — und sei es auch mit Fachwissen — ausgestattet in das Leben hinaustritt, mit Wissen, das er brauchen, das heißt: in bare Münze umsetzen kann, der wird über kurz oder etwas länger unmodern, rückständig und schließlich für die Wirtschaft unbrauchbar werden. Es gibt also keine Bildungsexplosion. Was man fälschlich so bezeichnet, ist der sich rasch ausweitende Bedarf der Wirtschaft an qualifizierten Kräften. Das erfordert Fachschulen, die möglichst rasch, möglichst viele Fachkräfte auszubilden vermögen. Bildung wirkt sich dabei nur hemmend aus, denn sie ist keine Massenwäre und braucht Zeit, für die Wirtschaft kostbare Zeit, um reifen zu können.

So geht eine vertikale Trennungslinie, ein Riß mitten durch die Schulen, auch die Hochschulen: hie materialistische Fachschule, dort geistige Bildungsstätte; hie Massenproduktion, dort Elitenbildung. Das ist schwer zu überbrücken, weil die individualistische Bildung im Mas-senfoetrieb verkümmert, wie auch die Bildung der Vernunft und der beseelten Persönlichkeit im Massenbetrieb untergeht.

Man wird bei der Schul- und Hochschulreform auf diese Tatsachen Rücksicht nehmen müssen.

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