Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Neuntes Pfliditsdiuljahr — ja oder nein?
Seit etwa zwei Jahren beansprucht die Frage des neunten Schuljahres das öffentliche Interesse, ohne daß bisher ein endgültiger Entscheid der öffentlichen Meinung oder der gesetzgebenden Gewalt gefallen wäre. Betroffen und beteiligt sind an dem Problem eines neunten Schuljahres zunächst die Jugendlichen, dann die Eltern, dann die gesamte Wirtschaft — Arbeiterschaft und Unternehmer —, schließlich auch der Steuerzahler, also das gesamte Volk. Gesetzlich wurde als einstweilige Lösung die Möglichkeit eines freiwilligen Unterrichtsjahres geboten, ohne daß damit ein endgültiger Bescheid gegeben sein sollte. Die Jugendorganisationen setzen sich in ihrer Mehrheit für ein berufsvorbereitendes Pflicht Schuljahr nach der vierten Hauptschulklasse ein und fordern eine diesbezügliche gesetzliche Entschließung.
Nun sind in der letzten Zeit mehrere gutgemeinte Gesetze beschlossen worden, die in der Ausführung auf viele überraschende sachliche Schwierigkeiten stoßen und so den Eindruck eines etwas vorschnellen Beschlusses machen. (So zum Beispiel das Jugendeinstellungsgesetz.) Das mahnt zu einiger Vorsicht vor zu schnellem Entscheid. Man könnte diese Gesetze mit einem neükonstruierten Autotyp vergleichen, der bei der praktischen Erprobung „Kinderkrankheiten“ aufweist. Gründliche Erprobung vor dem Auswerfen der Serie macht sielt bezahlt. Die Argumente, die für oder gegen die Einführung eines neunten Pflichtschuljahres geführt werden, sind etwa folgende (wir bringen sie in einer Zusammenstellung nach redigierter, dem Inhalt nach aber als Aeußerungen aus der Praxis existenten Diskussionsform):
Die Ausbildung der Jugendlichen
Berufsschullehrer A.: „Die Vorkenntnisse, die zahlreiche Berufsschüler aus der Hauptschule mitbringen, sind bisweilen recht dürftig. Insbesondere machen Mathematik und Deutsch Schwierigkeiten. Ich würde also ein neuntes Schuljahr für günstig erachten.“
Berufsschullehrer B.: „Burschen mit guten Lernerfolgen in der Hauptschule bringen die nötigen Voraussetzungen für die Berufsschule und auch für spätere Werkmeister- und Meisterkurse mit. Einzelne Mängel lassen sich durch bereits existierende Zusatzkurse, zum Beispiel Rechtschreibkurse für Schriftsetzerlehrlinge, ausbessern. Aehn- lich sind Mängel an Allgemeinbildung aufzuholen. Daß so viele Vierzehnjährige ihr Schulziel nicht oder schlecht erreichen, belastet freilich die Berufsschulen, rechtfertigt aber meines Erachtens nicht eine Maßnahme, die auch die guten Schüler zu einem neunten Schuljahr verpflichten würde. Hier wäre eher eine Revision der Schulmethoden an den Pflichtschulen am Platze. Ich würde somit für ein neuntes Pflichtschuljahr plädieren mit der Einschränkung: Nur für die, die kein positives Abgangszeugnis der vierten Hauptschulklasse haben, aber doch in eine Lehre gehen wollen, oder für die positiv abgeschlossenen Ausgeschulten, die, ohne einen Posten finden zu können, herumvagieren.“
Schlossermeister C.: „Das neunte Schuljahr sollte an sich ein berufsvorbereitendes Jahr sein. Ich würde es begrüßen, wenn ich Lehrlinge in meinen Betrieb aufnehmen könnte, die bereits in den Grundtätigkeiten des Berufes (Feilen . . .) einigermaßen unterrichtet sind. Ich müßte dann nicht mehr mit der Ausbildung bei Adam und Eva beginnen, die Lehrlingshaltung würde wirtschaftlich rentabler sein und ich könnte mehr Lehrlinge als bisher einstellen. Aus diesem Grunde scheint mir ein neuntes Schuljahr mit einem Lehrplan, der ein annäherndes Gleichgewicht von theoretischen Fächern und Werkstätten- ausbildung aufweist, ähnlich wie ihn die technischen Mittelschulen öder Fachschulen haben, günstig. Wenn allerdings für derart Vorgeschulte die Lehrlingsentschädigung erhöht und die Lehrzeit verkürzt würde, fällt dieser Vorteil weg."
Innungsmeister D.: „Ein einjähriger Lehrkurs vor Beginn der Lehre wäre sicher unseren Meistern willkommen. Ob das allerdings den zwangsweisen Bestich eines einjährigen Vorkurses rechtfertigt, ist die Frage. Zu bedenken wäre auch, daß die Berufswahl vor diesem Kurs erfolgen müßte, da ein berufsvorbereitendes Jahr für eisenbearbeitende Berufe einen wesentlich anderen Ausbildungsplan haben müßte als für holzbearbeitende, graphische, kaufmännische oder andere Berufe. In der Großstadt lassen sich solche Kurse leichter durchführen, in der Provinz nur sehr schwer.“
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!