Autor hadert mit sich selbst

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Ein teilweiser Einspruch gegen Gösta Maiers Selbstkritik.

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Ein teilweiser Einspruch gegen Gösta Maiers Selbstkritik.

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Außenseiter unter den Autoren haben's schwer, und machen es leicht auch dem Leser schwer. Es muß etwas Besonderes hinzukommen, damit er ein neues Buch eines solchen Autors nicht gleich zur Seite legt, oder besser: überhaupt kauft.

Gösta Maier, geboren 1926 in Oberösterreich, jetzt lebend in Kärnten, ist so ein besondrer Außenseiter. Seit 30 Jahren schreibt er in kleinen Auflagen für seine "dreizehn Leser". In seinem jüngsten Buch "Die Kleine Belladonna oder Die Beherrscher der Wartesäle" findet sich, wie eine Lebenssumme, aller Glanz und alles Elend dieses Außenseiters. Diese Mischung ist das Besondere.

Gösta Maier bekennt in seinem Buch offen dessen Schwächen und wartet natürlich auf Widerspruch. Tatsächlich muß man oft widersprechen. Es sei kein Handlungsroman, sondern ein "sagender", klagt er. Stimmt nicht. Der Clown Aldo als Hauptperson laviert sich höchst ereignisreich 18 Jahre lang durch sein Akrobatenleben, versucht es als Literat, Zeitungsschreiber, Ehemann, Heiratsschwindler, Handlanger der Mafia und vor allem als Freund zahlreicher Freundinnen. Er redet sich wie ein Schwejk aus allen Klemmen heraus, erlebt Tode und Auferstehungen, an spannender Handlung fehlt es nicht.

Widerspruch auch gegen die Klage, es fehle der rote Faden. Die großen Themen sind klar durchgängig, das größte davon LIEBE. Liebe als "Annäherung an die Seele", in allen Tiefen, "im Rausch, in der Lüge, im Ernst, im Scherz, in der Phantasie und in der Trostlosigkeit". Liebe ausgekostet, durchlitten, verwünscht, herbeigesehnt. Als Frauensüchtiger findet er in allen nur "DIE EINE", sie alle heißen ihm Maria. Anders als Don Juan verführt er nie, der Liebenswürdige läßt sich verführen von der Droge Belladonna. Der derart Liebende bleibt ewig jung: Die Rückkehr im Alter zu seiner Jugendliebe ist so zärtlich wie die erste Liebe.

Ein andrer roter Faden ist schon ein ganzes Stück vom Teppich: die Parabel vom Wartesaal, die im Roman fast eine selbständige Novelle bildet. Aldo gerät in einen surrealen Wartesaal, die Pest bricht aus, er wird in Quarantäne festgehalten, die Szene wird zum Lazarett, schließlich zum Tribunal mit Todesurteil. Der Wartesaal als beklemmende Metapher für Leben, Warten auf Godot immer noch.

Widerspruch auch gegen den Vorwurf, der Roman sei vernunftwidrig aufgebaut. Es treten auf: Der Clown selbst, dazu "der Zweite" als sein Über-Ich, als dritter sein ewiger Nebenbuhler bei den Belladonnen, und schließlich "der Autor" als das Schöpfer-Ich im Quartett. Alle vier sind Aufspaltungen EINER Person. Verwirrend, aber im einzelnen doch klar, bevölkern sie die Szene, es kommt zu gleitenden Übergängen, der eine kann der andere sein. So wird die Wirklichkeit eines Lebenslaufs im psychopathologischen Modell der "multiplen Personen" aufgefächert. Gleiches geschieht bei den Belladonnen auf der Frauenseite. Ist das nicht eine glänzende Romanidee?

Verständlich ist auch die Auflehnung des Geschöpfs gegen seinen Schöpfer. Der Clown, vom Autor-Ich ins Buch hineingegängelt, revoltiert, will "nach draußen in die Zeit", zu einer Frau eigner Wahl. Der Ausbruch gelingt ihm dramatisch durch ein Attentat auf die Geliebte, er erreicht sie nur, indem er sie zerstören will. Das Froschkönigmotiv, Erlösung braucht letzte Entschlossenheit.

Soweit der Glanz. Das Elend spürt der Leser dann, wenn er merkt, daß diesen konstruktiven Absichten ständig etwas in die Quere kommt, als wäre auch noch ein Fünfter im Spiel, der ohne Hemmung dreinredet und stört. Viele Gedankengänge sind wie von einem Virus infiziert, der sie auf halbem Weg abdrängt ins Weiche. Das Bild von Dalis "weicher Uhr" taucht auf, wo die Präzision teilweise, und damit ganz, zerrinnt. So viele der geschliffensten Passagen werden plötzlich unscharf, münden besserenfalls ins Paradox, zerfließen aber häufig ins Alberne, in den Kalauer oder tropfen ganz ins Leere. Der Autor merkt das natürlich auch, hadert mit sich selber: "Hirnmischmasch ... konfus ... da kennt sich ja keine Sau aus. Ich bügle wohl das Ärgste zurecht, hinterher ... Ich literarischer Versager!" Aber er ist hilflos gegen seinen inneren Wortetreiber, wie der Vielredner, der sich zwar ständig entschuldigt, aber dann doch weiterredet.

Gösta Maier hat kunstvolle Gedichte geschrieben, perfekte Aphorismen, glänzende kleine Stücke, auch einen zärtlichen Roman ("Der elektrifizierte k. u. k. Hofoptiker"). Dort, in der kleineren Form, wird rechtzeitig der Punkt gesetzt vor dem Zerfließen. Das große Stück aber leidet unter dem auflaufenden Zuviel, das Buch wird überlang. Der Leser, wenn er durchhält, kann es mit einem der unzähligen schönen Apercus halten: "Wieviel Sand siebt man, um ein Goldkorn zu finden, und freut sich des Siebens mehr als des Goldes."

Man möchte diesem Buch einen weiteren Multiplen hinzuwünschen, einen, der am Sieben seine Freude hat und das Buch vielleicht auf die Hälfte kürzt.

So aber wird der Leser "Belladonna" ins Außenseiterregal zu den Drogen stellen: In kleiner Dosis äußerst anregend, in zu hoher jedoch schwer bekömmlich.

DIE KLEINE BELLADONNA oder DIE BEHERRSCHER DER WARTESÄLE Roman von Gösta Maier Verlag Hermagoras, Klagenfurt 1998 403 Seiten, brosch., öS 350,

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