Biedermanns Rückkehr

19451960198020002020

Warum sich die dreißiger Jahre in Mode und Musik wieder größter Beliebtheit erfreuen.

19451960198020002020

Warum sich die dreißiger Jahre in Mode und Musik wieder größter Beliebtheit erfreuen.

Werbung
Werbung
Werbung

Sei es die Frisur, die einst die Bergmann trug, oder der elegante Dreiteiler plus Borsalino der Ganovenfilme der dreißiger Jahre. In der Modewelt finden sich Saison für Saison Erinnerungen an die Kreationen jener wirren Zwischenkriegsjahre. Auch das Wohndesign entdeckt die alten Corpusmöbel der Büros und Salons wieder. Mehr noch verbirgt sich aber im Wiederaufleben der alten Schlager. Wenn Tonfilmklassiker, wie "Die Drei von der Tankstelle" als Musical Neuauflage das Publikum von heute begeistern stellt sich die Frage: Was ist dran am Comeback der dreißiger Jahre?

Trends der Lebenskultur bilden sich auch in unserer Zeit der medial verordneten Trendsetter allmählich heraus. Und offenbar geht es bei dieser auf leisen Pfoten erfolgenden Rückkehr der Ohrwürmer von einst nicht nur um die Ankurbelung der Unterhaltungsindustrie. "Die Menschen haben Angst vor der Globalisierung," bekommt man zu hören. Was US-Soziologen als "Sich Einspinnen" (Cocooning) bezeichnen, hieß vor 150 Jahren Biedermeier. Man zog sich in die eigenen vier Wände zurück, nicht zuletzt, um seine Ruhe zu haben und sich nicht mit der unliebsamen Politik befassen zu müssen. In den dreißiger Jahren ließ sich das Phänomen der Abschottung neuerlich in unserer Gesellschaft nieder. Wien und Berlin waren hin- und hergerissen zwischen den noch rauschenden Festen der goldenen Zwanziger und der allmählichen Dämmerung über der Freiheit der Kunst.

Die Erfolge von "Max Raabe und seinem Palastorchester" in Deutschland und dem Berliner "Hans Daffke mit seinem Salonorchester Alhambra" in Wien sprechen für sich. Hans Daffke erklärt sich diese Entwicklung so: "Die aktuelle deutsche Schlagermusik gibt textlich nicht viel her. Zudem finden sich gewisse Parallelen im Zeitgefühl, wenn auch unter völlig anderen politischen Vorzeichen." Die Lieder über die Beine von Dolores, dem schönen Sigismund und so weiter sind Ausdruck einer Lebensfreude, nach der große Nachfrage besteht. Die aufbrausenden achtziger Jahre sind verklungen. Nach den Umbrüchen in unserem Jahrzehnt wächst offenbar wieder die Sehnsucht nach dem Daheim, nach dem Kleinen.

Stil ist wieder gefragt "Coolness" scheint für manche Teenies und Twens schon Geschichte geworden. Stil ist wieder gefragt. Wenn einer in der Runde, den Ohrwurm von Max Raabe "Kein Schwein ruft mich an" anstimmt, trällern viele begeistert mit. Soll das Mobiltelefon nur dazwischen klingeln. Den Text beherrschen sie so gut wie ein altes Kinderlied. Handelt es sich bloß um eine Marotte, die in Deutschland ihren Ausgang genommen hat und in Österreich kopiert wird? "Es ist ein zeitgleiches Phänomen, das im deutschen Sprachraum allgemein zu beobachten ist," sagt Bela Koreny. Er hat 1984 die Piano Bar "Broadway" als Geheimtreff der Künstler am Wiener Bauernmarkt gegründet. Seit Anbeginn pflegen hier die "Schüler" von Karl Farkas und Helmut Qualtinger Kabarett und musikalischen Wortwitz.

"Eigentlich schließt man an eine Tradition an, die mit dem Regisseur Max Reinhardt in Berlin und dem Komödianten Armin Berg in Wien ihre Blüte erlebte," erzählt Koreny, der dieser Tage das Kabarett dieses Jahrhunderts Revue passieren läßt. Der gebürtige Ungar hat für sich schon vor zehn Jahren festgestellt, wie ein Marlene Dietrich Chanson "Johnny, wenn Du Geburtstag hast" auf die Besucher wirkt. Die heutigen Liebeslieder sind auch laut Koreny eher dünn gewebt, während die damaligen Texte oftmals als geflügelte Worte in Liebeserklärungen wieder auftauchten. Tatsache ist weiters, daß ein Lied in der Muttersprache gesungen leichter nachvollziehbar ist. "Trällern Sie in der Badewanne den Titelsong der Titanic oder doch lieber: In der Badewanne bin ich Kapitän?" lautet die rhetorische Frage.

Der Erfolg des Films "Comedian Harmonists" reiht sich in die wachsende CD-Produktion der Schlager einer versunkenen Welt. Die Tiroler Swarovski Werke expandieren mit ihrer Straßprodukion. Denn die Modedesigner von Chanel bis Vivienne Westwood setzen ebenfalls auf glitzernden Glamour im Textil. "Der Wunsch sich zu schmücken war stets da, doch muß er auch erschwinglich sein," sagt Swarovski-Sprecherin Gertraud Oberzaucher über den Erfolg der Kunstkristalle, die an die Kleider der Dietrich und Garbo erinnern. Man liegt im Trend einer glitzernden Zeit.

Der Lebensstil der Großeltern findet jugendliche Anhänger. Und die neuen Musiker der alten Schellacks sehen sich nicht als klingende Museumswärter einer neueingeläuteten Nostalgie-Renaissance. Sie vertonen vielmehr den Zeitgeist eines "deja-vu". Auch wenn die politischen und wirtschaftlichen Umstände 1999 gar nichts mit der Aussichtslosigkeit von 1933 gemein haben. Ängste vor dem, was da kommen mag, bewegen die Menschen dennoch. Und darauf reagieren Künstler und Modeschöpfer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung