Der Sinnstifter der Nation

Werbung
Werbung
Werbung

Krise der Religion hin oder her: Hans Dichand verschaffte der – traditionellen – Religiosität im Land gebührend Gehör.

„Am Anfang war das Wort. Die Aufgabe der Kirche, der Priester und Theologen war und ist es, dafür zu sorgen, dass dieses Wort die Menschen erreicht. Fast zwei Jahrtausende lang haben wortmächtige große Prediger die frohe Botschaft des Evangeliums den Gläubigen nahegebracht. Die Kirche hat sich nie gescheut, die jeweils modernen Medien der Massenkommunikation für die Glaubensverkündigung zu nutzen. Und weil sich eine satte Wohlstandsgesellschaft mehr und mehr von der Religion entfernt, muss die Kirche zu den Menschen gehen, hinaus auf die Straße, mitten hinein in unseren bewegten Alltag, um ihre ewigen Werte an den Mann und die Frau und das Kind zu bringen.“

Das Ohr am Zeitgeist

Solch fromme Worte entsprangen nicht dem Mund respektive der Feder eines Pfarrers oder Theologen – also eines Zeitgenossen, der landläufig als Berufener gilt, derartiges zu äußern. Nein, Hans Dichand selbst ist hier unter die Sinnstifter gegangen und schrieb obige Zeilen am 2. September 2001 in der Krone.

Der Anlass: Ab diesem Zeitpunkt durfte sich das reichweitenstärkste Printmedium im Lande mit dem wöchentlichen Evangelienkommentar des Wiener Kardinals Christoph Schönborn schmücken. Jeden Sonntag gibt es seither im bunten Mantel der Kronen Zeitung eine ganze Seite Religion zu lesen, gefüllt mit den Worten des obersten Repräsentanten der katholischen Kirche.

Auch Kritiker haben dem Krone-Patriarchen immer wieder beschieden, ein besonderes Sensorium für die Entwicklungen der Zeit zu haben, ein Ohr am Zeitgeist sozusagen. Auch das Datum der zitierten Zeilen besticht – sie wurden wenige Tage vor 9/11, dem die Welt prägendsten Ereignis des neuen Jahrtausends, verfasst.

Mit den Anschlägen des 9. September betrat bekanntlich in Gestalt des gewalttätigen Islamismus eine politisierte Religion die Weltbühne. Dass Religion in der Identitätsstiftung auch des Westens wieder wichtig wird, hatte Dichand zweifelsohne früh erkannt: „Denn das Wort, das die Evangelisten aufgezeichnet haben, gilt für alle, für fromme Christen wie für die vielen, die die Kirchen nur von außen sehen oder höchstens bei Taufen, Hochzeiten und ähnlichen Anlässen. Die Botschaft hat nichts von ihrer Aktualität verloren, sie ist heutig, gehört zum Tag, zum Leben. Sie soll uns leben lehren und leben helfen. Sie ist eine Antwort auf die ständig wachsende Ratlosigkeit der Menschen, die in der weltweiten Informationsflut zu ertrinken drohen.“

So endeten die frommen Ausführungen des Krone-Herausgebers an jenem 2. September 2001.

Das Leiden einer Gesellschaft, die durch Unübersichtlichkeit, Inhomogenität und Fragmentierung gekennzeichnet ist, durch den Rückgriff auf traditionelle Säulen zu lindern: So kann auch der Dichand’sche Zugang zur Religion charakterisiert werden. In dieses Bild passt, dass die eher spärlich bekleidete Krone-Schöne, die täglich im Blatt zu finden ist, zu den „heiligen“ Zeiten (Karwoche, Papstbeusch …) in deutlich mehr Tuch gehüllt erscheint.

Medien als Religionsersatz

„Die Menschen suchen Orientierung … Sie suchen daher verlässliche, überpersönliche Werte. Die Bibel vermittelt solche Werte. Deshalb ist unsere Berichterstattung so erfolgreich.“ So formulierte einige Jahre später Kai Diekmann, Chefredakteur der deutschen Bild-Zeitung das nämliche Anliegen, dem Hans Dichand in der Krone längst zum Durchbruch verholfen hatte: Religion ist nicht länger mehr das Monopol einer Kirche oder vergleichbarer Religionsinstitution, sondern: Das Medium geriert sich als Sinnstifter der Nation und der Medienmacher als deren Übervater.

Solche Sicht ist keine Übertreibung. Am Tag nach Hans Dichands Tod etwa dichtete Krone-Hauspoet Wolf Martin im Blatt: „Ein Vater jedem Mitarbeiter / ein Vater für das ganze Land, / in unsern Herzen lebt er weiter, / uns einend durch der Treue Band. / Er wird uns stets als Vorbild gelten, / als Halt im Wechsellauf der Zeit …“ (Otto Friedrich)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung