Johannes Paul II: Ein Papst der Superlative

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Johannes Paul II. hat mehr Heiligsprechungen vorgenommen oder Reisen gemacht als alle Vorgänger zusammen: Bilanz eines Pontifikats.

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Johannes Paul II. hat mehr Heiligsprechungen vorgenommen oder Reisen gemacht als alle Vorgänger zusammen: Bilanz eines Pontifikats.

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Das Ereignis dürfte allen, die es miterlebten, unvergesslich bleiben: Als am 16. Oktober 1978 der neue Papst auf der Mittelloggia von St. Peter erscheint, bedeutet das eine mittlere Sensation. Die meisten Menschen auf dem Platz haben gerade zum ersten Mal seinen Namen gehört, rätseln noch über seine Herkunft, da verblüfft er, dessen Muttersprache polnisch ist, sie mit einer Rede in fast akzentfreiem Italienisch: "Geliebte Brüder und Schwestern, wir alle sind noch traurig über den plötzlichen Tod des geliebten Papstes Johannes Paul I. Und nun haben die ehrwürdigen Kardinäle einen neuen Bischof von Rom gewählt. Sie haben ihn aus einem fernen Land gerufen, fern, aber der Gemeinschaft im christlichen Glauben und in der Tradition doch so nahe."

Der Mann "aus einem fernen Land", mit 58 Jahren noch relativ jung für einen Papst, heißt Karol Wojtyla und ist der bisherige Erzbischof von Krakau. Erstmals seit 455 Jahren kommt der Bischof von Rom nicht aus Italien. Bei der Amtseinführung am 22. Oktober ruft er: "Habt keine Angst, die Tore weit für Christus zu öffnen, fürchtet euch nicht!" Er wollte sich zuerst Stanislaus nennen, doch dann nahm er Rücksicht auf jene, die dem kurzen Auftritt seines Vorgängers, des lächelnden Luciani-Papstes Johannes Paul I., noch eine Art Fortsetzung wünschten.

Auch Johannes Paul II. hat ein gewinnendes Lächeln und eine charismatische Ausstrahlung. Seine öffentlichen Auftritte, seine Gesten bis zum geradezu sein Markenzeichen darstellenden Bodenkuss nach Flugreisen werden zum Fressen für die Medien, gegenüber denen er kaum Berührungsängste zeigt. Der üblichen katholischen Scheu vor der Öffentlichkeit stellt er eine Vision der Kirche als "Haus aus Glas" gegenüber, die sich freilich nie durchsetzen konnte, da im Falle unangenehmer kirchlicher Affären die Luken nach wie vor sehr schnell dicht gemacht werden.

NS- und KP-Herrschaft

Karol Wojtyla wurde am 18. Mai 1920 in Wadowice bei Krakau geboren. Mit neun Jahren hat er seine Mutter, mit 21 Jahren alle anderen engen Verwandten verloren. Geprägt vom polnischen Katholizismus, von einer tiefen marianischen Frömmigkeit und einer Ader für Theater und Literatur, die in seinen jungen Jahren sein Leben fast in eine andere Richtung geführt hätte, wurde er kurz nach dem Krieg Priester. Er erlebte eine Kirche im Kampf mit religionsfeindlichen Systemen - dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus. Allem, was ihm marxistisch vorkam, und dazu zählten auch Ansätze der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung, blieb er abgeneigt. Seine Heimat Polen erbebte durch seine Wahl und durch den Papstbesuch im Juni 1979. Dass zehn Jahre später der Kommunismus in Osteuropa wie ein Kartenhaus zusammenbrach, war kein Zufall.

Aber auch am Kapitalismus und am Konsumdenken des Westens hat Johannes Paul II. zunehmend Kritik geübt. In seinen Texten finden sich immer wieder Hinweise auf soziale Ungerechtigkeiten, Bedrohungen der Menschenwürde und dafür verantwortliche "Strukturen der Sünde", auf eine negative "Kultur des Todes". Nicht nur Abtreibung und Euthanasie, auch Todesstrafe und moderne Reproduktionstechniken lehnt dieser Papst entschieden ab, und in letzter Konsequenz tritt er auch jenen entgegen, die meinen Konflikte mit Waffengewalt und durch "gerechte Kriege" lösen zu können - so auch im Irak-Konflikt 2003 den bekennenden Christen George Bush, Tony Blair und José Maria Aznar.

Weit offen, streng konservativ

Dass er ein Schussattentat des türkischen Terroristen Ali Agca am 13. Mai 1981 auf dem Petersplatz knapp überlebte, festigte seine Verehrung für Maria, die an einem 13. Mai in Fatima (Portugal) Hirtenkindern erschienen sein soll. Das Attentat, aber auch seine in den letzten Jahren zunehmenden gesundheitlichen Probleme haben viele Menschen mit tiefer Anteilnahme verfolgt und die Haltung des Papstes aufrichtig bewundert.

Neben großer persönlicher Wertschätzung für seine Person hat Johannes Paul II. aber auch erleben müssen, dass die Kirche in den Industrieländern ständig an politischem Gewicht und moralischer Autorität verloren hat. Umso mehr scheint der Papst bemüht, wenigstens die Katholiken mit allen Mitteln bei der Stange zu halten. So faszinierend die Bemühungen Johannes Pauls II. um Dialog mit anderen christlichen Konfessionen und anderen Weltreligionen sind - sie gipfelten in den Friedensgebeten von Assisi 1986 und 2002, in der gemeinsamen Erklärung von katholischer und lutherischer Kirche zur Rechtfertigungslehre 1999, in der Vergebungsbitte und der Israel-Reise im Jahr 2000 -, so gering wirkt sein Verständnis für Pluralismus in der eigenen Kirche.

Mit vielen Dokumenten und Treueeiden wurde die bestehende Lehre eingeschärft. In Fragen der Sexualmoral (Empfängnisverhütung, wiederverheiratete Geschiedene) und des Amtsverständnisses (kein Priestertum für Frauen oder ohne Zölibat) gab der Pontifex in all seinen Schreiben, Ansprachen und Maßnahmen eine klare Linie vor. Für das Bischofsamt bevorzugte der Papst Männer, die absoluten Gehorsam gegenüber dem Lehramt betonten. Etliche Theologen und Bischöfe wurden von Rom, und zwar zweifellos mit dem Wissen, wenn nicht sogar im Auftrag des Papstes, gemaßregelt.

Unermüdlich bis heute

Zugleich förderte er Bewegungen, die ihm besondere Treue signalisierten, etwa das Opus Dei, das er zur Personalprälatur erhob. Die rasche Selig- und Heiligsprechung des Opus-Dei-Gründers Josemaría Escrivá y Balaguer war ebenso umstritten wie die Seligsprechung von Papst Pius IX. Dass Johannes Paul II. mehr Menschen zur Ehre der Altäre erhob als alle Päpste zuvor zusammen, erweist ihn wie sein Reisepensum - 102 Auslandsreisen - als einen Papst der Superlative, dessen Rekorde kaum mehr zu überbieten sind. Unter keinem Papst sind so viele wesentliche Texte und Dokumente erschienen, ob Enzykliken wie "Laborem exercens", ob der Text zur Neuordung der Papstwahl "Universi Dominici Gregis", ob Codex Iuris Canonici oder Weltkatechismus. Mit Sicherheit hatte kein Papst bisher mit so vielen Menschen Kontakt - via Medien, aber auch persönlich bei Audienzen oder Großveranstaltungen in Rom oder an seinen Reisezielen. Allein 2000, im Heiligen Jahr, kamen über acht Millionen Pilger nach Rom. Natürlich hat es auch in keinem anderen Pontifikat so viele Bischofs- und Kardinalsernennungen gegeben.

Rein quantitativ hat sicher kaum ein Papst mehr geleistet als Johannes Paul II., der auch gebrechlich unermüdlich geblieben ist. Sein Pontifikat ist jetzt schon - nach jenem von Pius IX. (1846-1878) und Leo XIII. (1878-1903) - das drittlängste der Kirchengeschichte. Ein wichtiger Platz in den Geschichtsbüchern ist ihm sicher. Seine ganze Größe beruht aber nicht auf seinem Arbeitsumfang, sondern auf seiner auch von seinen Kritikern nie bestrittenen untadeligen persönlichen Lebensführung. Seine stärkste Ausstrahlung hat dieser tiefgläubig wirkende Papst im Umgang mit Kindern sowie mit Alten und Kranken, auch jetzt noch, da er selbst alt und krank geworden ist und im Leiden noch mehr mit seinem Herrn und Erlöser verbunden wirkt.

Es gehört auch zur Größe dieses Papstes, dass er in seinem Werk "Römisches Triptychon" vom Frühjahr 2003 das bisherige Tabuthema Sterben des Papstes dichterisch behandelt hat. Mit der auf 21. Oktober vorgezogenen Kreierung neuer Kardinäle hat er selbst den Diskussionen über seinen Gesundheitszustand und seine Nachfolge Nahrung gegeben. Und zum Jubiläum will er sichtlich nicht allein im Mittelpunkt stehen, sondern lässt sich von Mutter Teresa, die am 19. Oktober selig gesprochen werden soll, gerne die Show stehlen.

BUCHTIPP: DER NÄCHSTE PAPST

Die geheimnisvolle Welt des Konklaves

Von Heiner Boberski

Otto Müller Verlag, Salzburg 2001

312 Seiten, geb., e 21,50

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