Gehn's einmal ins Theater

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Nein, es war gar nicht knapp, es war gar nicht Kopf an Kopf, es war ein klarer Entscheid der Wähler. Der neue deutsche Bundeskanzler heißt Gerhard Schröder. Sohn einer Putzfrau, der Genosse der Bosse, seit 1945 der dritte Sozialdemokrat nach Willi Brandt und Helmut Schmidt auf diesem Posten. Das ist interessant und wird überall herumdiskutiert, aber mich interessiert und beeindruckt ganz etwas anderes.

Als Schröder den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac besuchte, führte ihn dessen Ministerpräsident Lionel Jospin ins Rodin-Museum. Vielleicht um ihm den "Penseur", den Denker, zu zeigen. Ganz nebenbei wurde erwähnt, daß Rodins Sekretär und Freund ein gewisser Rainer Maria Rilke war - und nun geschah Wundersames. Der Politmensch und Ellenbogenpolitiker, der Sohn der Witwe, sagte ohne Emotion, ohne Pathos, ganz schlicht und einfach, eines der berührendsten Gedichte Rilkes auf: "Herr, es ist Zeit, der Sommer war sehr groß ..." Sie kennen das Gedicht: "Herbst".

Für mich war das ein großer Moment, der mir einen Menschen wie in einer Blitzlichtaufnahme von einer ganz unerwarteten Seite zeigte. Ich war fast so erstaunt wie damals, als ich Alois Mock einen Absatz aus dem "Cyrano" in französischer Sprache vortragen hörte. Schau, schau, dachte ich, damals und heute, das ist aber erfreulich. Viele unserer Damen und Herren, die so viel über Kultur und Kunst reden und oft so wenig davon verstehen, könnten sich da ein paar Scheiberln abschneiden. Ja, ich weiß, bei Festspielen zeigen sie sich, aber haben Sie die Erwähnten schon einmal - zum Beispiel so einen Haider - im Zuschauerraum eines Theaters in Wien gesehen? Wo sind die Rudasse und deren Antipoden? Keine Zeit, keine Lust, Termine. Gut, aber dann redet auch nicht von Sachen, die ihr aus persönlicher Ansicht gar nicht kennt.

Bruno Kreisky hat hat auch ein paar Gedichte auswendig gekonnt und war belesen wie selten jemand. Gerhard Schröder scheint mir, was sein Wollen anlangt, aus ähnlichem Holz geschnitzt zu sein. Gib ihm noch viele, viele südlichere Tage und dränge ihn zur Vollendung hin. Ein Wunsch, nach Rilkes Versen geformt. Und an unsere Politiker die Aufforderung: Gehn's doch wieder einmal ins Theater. Und versuchen Sie bis dahin, nicht darüber zu reden.

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