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Das fatale Datum
Wird Kardinal König doch noch ln diesem August nach Polen reisen? Die Einladung Kardinal Wyszynskis — ausgesprochen bei seinem Besuch in Mariazell und inzwischen mehr-’ mals erneuert — liegt vor. Die Bereitschaft des Wiener Oberhirten zu dieser Reise ist gegeben, aber das Visum läßt auf sich warten. Anfang Juli wurden die Pässe des Kardinals und seiner Begleitung bei der polnischen Botschaft eingereicht. Seither herrscht Stille. Kein „Ja” aber auch kein „Nein”. Keine offizielle Antwort.
Bei seinem letzten Besuch in Polen waren die polnischen Behörden Kardinal König gegenüber durchaus korrekt, ja ausgesprochen höflich. Es ist also nicht anzunehmen, daß der Wiener Erzbischof plötzlich persona ingrata geworden ist. Was mag also sonst wohl der Grund für das peinliche, ja verletzende Schweigen sein?
Da ist zunächst einmal das nach wie vor äußerst labile Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Polen. Mehr als einmal hat Kardinal Wyszynski in den letzten Monaten Reden gehalten, die ihm bei den Mächtigen in Partei und Staat nicht gerade „Gutpunkte” eingetragen haben. Will man sich nun an dem Kardinal rächen, daß man dem von ihm erwarteten Besuch verhindert? Das wäre eine Möglichkeit der Deutung. Es gibt aber noch eine andere, für den Kenner der Verhältnisse eher wahrscheinliche.
Sie dürfte im Datum der Kardinalreise zu finden sein. Der August bereitet den Regenten der Volksrepublik einige Kopfschmerzen. Insbesonders der 15. Tag jenes Monats, das Fest Maria Himmelfahrt. Vor diesem Feiertag ziehen Kolonnen von zehntausenden Katholiken über die polnischen Landstraßen. Aus allen Himmelsrichtungen streben sie nach Tschenstochau, um der schwarzen Madonna, der Kralowa polska, der Königin von Polen, zu huldigen. Es ist ein Ausbruch tiefster Volksfrömmigkeit, für die wir in. unserer Geschichte weit zurückgehen müssen. Die Regierung in Warschau’Verbietet dieseh Zug der Hunderttausend nicht, verfolgt ihn jeaötffi mit recht scheelen Augen. Doppelt ungemütlich wird ihr bei dem Gedanken an den Nachbarn im Osten. Man muß nämlich wissen, daß es ein 15. August war, an dem das Heer der jungen Republik 1920 die sowjetischen Truppen vor Warschau zurückschlug. Die Erinnerung und das Gedenken an jenes „Wunder an der Weichsel” schwingt noch, wenn auch unausgesprochen, bei der großen Wallfahrt nach Tschenstochau mit. Und das alles überhöht durch die Anwesenheit eines Kardinals aus dem Westen? Da wird der große Bruder aber böse sein... Also spielt man lieber Mäuschen, duckt sich und weiß von nichts, bis das für das Regime fatale Datum vorüber ist.
Ob man in Warschau dafür auch noch den in der österreichischen Presse schon erhobenen berechtigten Vorwurf grober Unhöflichkeit auf sich sitzen läßt, werden die nächsten Tage zeigen.
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