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Das Goldene Vlies

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Zu den chimäris<hen(Projekten, denen die Führung des Dritten Reiches nachträumte, gehörte die Schaffung eines großen burgundischen, aus Frankreich und Belgien herausgeschnittenen Pufferstaates, dessen Germanisierung in zehn Jahresabschnitten hätte erfolgen sollen. Ein Stäb von deutschen Gelehrten war im „Kriegseinsatz der Wissenschaftler“ für die pseudowissenschaftlichen Vorarbeiten dieses Projekts eingesetzt. Himmlers Leibarzt, Finne Kersten, hat darüber in der Schweizer Presse berichtet. Man tat, als schriebe man 843 und lebe im lotharingischen Zwischenreich oder im Dijon Philipps des Guten. Es ist merkwürdig, daß die Erinnerung an den „Herbst des Mittelalters“, der nirgendwo farbenfroher und todesnaher zugleich leuchtete als im unvollendeten Reich der Burgunderherzoge, in den Köpfen politischer Phantasten des zwanzigsten Jahrhunderts so lebhaft weiterwirkte.

Jedenfalls mündeten die beiden herrschenden Dynastien dieses historisch so bedeutsamen Raumes, Lothringen und Burgund, in der mächtigen Casa d'Austria und aus dieser. Erbschaft gelangten künstlerisch und kulturell wertvollste Schätze an die Habsburger und dadurch nach Wien.

Daran erinnert die Nachricht, daß die belgische Presse im Zeitalter der Forderungen „aller gegen alle“ von Österreich die Rückgabe der Insignien und Kleinodien des burgundischen Ordens vom Goldenen Vlies verlangt. Diese unschätzbaren Kostbarkeiten, Glanzstücke der weltlichen Schatzkammer, waren im Jahre 1794 vor den französischen Revolutionsarmeen nach Wien gebracht worden, kraft der Tatsache, daß die habs-burgischen Kaiser Großmeister des Ordens vom Goldenen Vlies waren. Nach dem ersten Weltkrieg erhob Belgien auf Grund des Vertrages von St.-Germain Ansprüche auf den Ordensschatz. Aber drei von einem internationalen Schiedsgerichte bestellte Rechtssachverständige fanden die Forderung unbegründet. Denn ihrer Ansicht nach war das „Toison d'Or“ nicht als ein nationaler, sondern als dynastischer Orden des Hauses Habsburg anzusehen, an welches er im Erbgang nach Maria von Burgund, der Gemahlin Maximilians L, gekommen war. Das Haus Habsburg behielt sich auch, als es 1797 im Frieden von Campo Formio die österreichischen Niederlande aufgeben mußte, alle Rechte aus diesem Orden vor. Das erwähnte

Rechtsgutachten rettete den Wiener Sammlungen einige ihrer erlesensten Schätze, doch scheint der Streitfall den Veranstaltern der Ausstellung österreichischer Kunstwerke nicht bekannt gewesen zu sein, die heuer im Frühjahr in Brüssel gezeigt wurde und die auch Kleinodien des Goldenen Vlieses zur Schau stellte. Die europäische Kulturgemeinschaft aber ist augenscheinlich, wie die Forderung der belgischen Presse andeutet, noch nicht auf allen Gebieten wiederhergestellt.

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