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Der Geßlerhut

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Die Geschichte der Schweiz beginnt in der Dichtung mit dem Streit um einen Hut — den Geßlerhut, Zeichen fremder Herrschaft und ausländischen Einflusses. Zur Zeit ist in Stadt und Kanton Zürich wiederum ein großes Streitgespräch um einen Hut entbrannt. Gegenstand der lebhaften Gespräche, die in den blau-weißen Tramwagen der Stadt am Zürchersee begannen, sich in den heimeligen Zunfthäusern am Limmatkai fortsetzten und auch in der Presse ihren Niederschlag fanden, war nichts mehr, aber auch nichts weniger als — die Kappe der Zürcher Straßenbahner. Die Stadtväter hatten nämlich vor kurzem den Bediensteten ihrer Straßenbahn eine neue Uniform beschert. Mit ihr sollte auch das charakteristische Schwyzer Kübelkäppi von einer flachen Tellermütze verdrängt werden. Für nicht lange, denn alsobald erhob sich ein großer Proteststurm. Die Kampagne gegen die Tellermützen der Straßenbahner wurde von den Straßenbahnkontrolloren eröffnet, ihre Opposition gegen das Auftauchen der landfremden Kopfbedeckung wurde bald eine allgemeine. Die Mehrzahl der Fahrgäste nahm in einer für die Schweizer Mentalität seltenen Heftigkeit gegen die Neuerung Stellung. „Müend mir dann alles de Schwabe u de Russe nachmachen?“, das ist der Schlachtruf, der heute am Strand des Züri- sees allenthalben zu hören ist. Das Ende vom Liede, aber auch von den neuen Tellermützen ist eine Urabstimmung, die in kurzer Zeit die Landesverweisung des Eindringlings mit Sicherheit fordern wird. Der Geßlerhut Nr. 2 ist damit ebenfalls von der Stange geschlagen.

Nicht ohne Heiterkeit und etwas überlegen verfolgt der Österreicher diesen Strebt um des Straßenbahners Kappe, diesen „Kappenkrieg“ der Eidgenossen. Wir haben aber eigentlich wenig Grund dazu. Vor nicht langer Zeit hat es nämlich die Sicherheit der Republik anscheinend erforderlich gemacht, die 1945 in einem plötzlichen Überschwang von Traditionsgefühl ausgegebenen österreichischen Feldmützen der Gendarmerie durch Tcllerkappen russisch-preußischer Abstammung zu ersetzen. Seither gibt es auch in Österreich so etwas Ähnliches wie einen Kappen- und Mützenkrieg, der allerdings mit einem Waffenstillstand bester österreichischer Tradition, mit einem stillschweigenden Übereinkommen beendet wurde. Erscheint zum Beispiel der Vertreter der Tellerkappenpartei zu einer Inspektion oder Parade, so wird diesem stramm unter der von ihm bevorzugten Kopfbedeckung Meldung erstattet, kann man aber mit einer Persönlichkeit von stärkerem Traditionsgefühl rechnen, so wird nicht gezögert, die elegantere hohe österreichische Kappe aus dem Schrank zu nehmen. Ein Kompromiß, ein Verbeugen nach beiden Seiten. Man mag über Geßlerhüte denken, wie man will, sich vor ihnen nicht zu beugen, ist jedenfalls ein Zeichen von innerer Festigkeit. Man mag über den hitzigen Zürcher Käppistreit lächeln, aber der Sinn für Tradition, für die Bewahrung der eigenen Art hat noch keinem Volk geschadet, im Gegenteil. Die Schweizer wissen dies und wir Österreicher sollten mit der Zeit auch schon darauf gekommen sein.

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