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Die Folgen von Hattin

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Als wir die ersten Bände der Übersetzung von Runcimans Kreuzzugsgeschichte rezensierten, da sprachen wir den Wunsch aus, bald auch den dritten Band in Händen zu haben. Dieser Wunsch ist nun erfüllt; und wer die ersten Bände hat, wird auch den dritten erwerben wollen. — Es ist freilich eine traurige, ja eine niederdrückende Geschichte, welche hier erzählt wird. Nach der vernichtenden Niederlage an den Berggipfeln von Hattin konnte ßich das Königreich Jerusalem nie mehr erholen. Auch der weltkluge, vorurteilslose Kaiser Friedrich II. konnte nur eine buchstäblich prekäre Befreiung der Heiligen Stätten erreichen; der begeisterte Kreuzfahrer, der heilige Ludwig, erreichte gar nichts. Umsonst hatten also die Kreuzfahrer jene riesenhaften, jene uneinnehmbaren Burgen aufgetürmt, die das Heilige Land gegen die Ungläubigen sichern sollten. Umsonst war auch jene Beständigkeit, jene unerschrockene Beharrlichkeit, welche die christliche Ritterschaft nach Hattin zeigte — jene Beharrlichkeit, die uns sonst gerade heute so beispielhaft scheinen will... Umsonst, sage ich, war die hundert Jahre fortdauernde Verteidigung der kleineren und kleineren Gebiete des Königreichs Jerusalem; umsonst wurden, nach dem Verlust der Heiligen Stadt, nachfolgende Könige in der festen Hafenstadt Tyrus gekrönt; umsonst hat man, nach dem Verlust auch der letzten Plätze des Königreichs, noch weitere Könige von Jerusalem auf Zyprus gekrönt. Umsonst führten noch spätere Nachkommen den ehrwürdigen Königstitel von Jerusalem — doch dieser Titel erinnert schon an die eine, die schuldhafte Ursache des Zusammenbruchs: an die Uneinigkeit der Christen. Könige von Jerusalem schreiben sich die Nachkommen der rechten Erben — die Savoyer; aber so schreiben sich auch die Nachkommen der Eindringlinge, der Anjous — und gleich dreierlei Nachkommen: die Könige von Spanien, die Könige beider Sizilien und die Lothringer von Österreich ...

Doch nicht nur den Verlust von Übersee berichtet Runciman in diesem Band. Er erzählt auch die zwei anderen Tragödien des 13. Jahrhunderts: den Fall der bisher „gottbehüteten“ Kaiserstadt Konstantinopel und den Mongolensturm. Dabei macht er es deutlich, wie der mongolische Siegeszug zunächst ein tödlicher Schlag für den Islam war; wie beide Zweige des Islams, der sunnitische und der schiitische, aufs Haupt geschlagen wurden. Der Kalifenstamm der Abbasiden wurde hingeschlachtet, seine Hauptstadt Bagdad mit dem Reichtum einer Welt wurde geplündert; und ebenso wurde die uneinnehmbare Feste der Assasinen genommen, der Imam der Ismaili gemordet... Nahe schien die Revanche der östlichen Christenheit an den Muslims. Und doch: die westlichen Zweige des Dschingisidenhauses haben schließlich den Islam angenommen, die nestorianische und jakobitische Christenheit ist zu Trümmern von Trümmern zusammengeschmolzen. Und gegen die orthodoxen Reiche trat das Haus Osmans auf den Plan. All das hat Runciman deutlich beschrieben.

Beim Erscheinen der ersten Bände haben wir uns schon über die vortreffliche Ausstattung des Werkes ausgesprochen und wollen uns darüber diesmal nicht weiter verbreiten. Eher wollen wir ein paar Worte des Vorbehalts anbringen. Erstens: Die entmutigende Geschichte vom Verlöschen der Kreuzzugsvision gibt dem Autor mehr als genug Gelegenheit, einen gewissen aufgeklärt-skeptischen Ton hören zu lassen, an dem wir uns schon zu Anfang gestoßen haben. Wir sind keineswegs bereit, den Herzenswunsch unserer Ahnen als eine widerlegte Illusion zu 6ehen ... Zweitens stößt es der, an sich vortrefflichen, Übersetzung zu, daß sie am falschen Ort dem Original treu bleibt; treu in einer solchen Weise, als ob dem Übersetzer altgewohnte Bezeichnungen der deutschen Geschichtsschreibung fremd wären. Wenn ein Römischer König „König der Römer“ heißt, ist das ebenso absonderlich, wie wenn die Tempelritter unter dem Banner von Notre Dame kämpfen: sie haben vielmehr unter Unserer Lieben Frau Banner gefochten. Auch heißt das Haupt des Deutschen Ordens auf Deutsch seit 700 lahren Hochmeister und nicht „Großmeister“. Johann Sracimir war erstens nicht „Fürst“, sondern Car in Vidin, und zweitens ist „Srachimir“ die englische Transkription seines Namens. Es ist eine ähnliche sprachliche Ungeschicklichkeit, wenn die katalanische „Große Kompanie“ nicht so — in Gänsefüßchen! —, sondern einfach als „eine Kompanie“ bezeichnet wird: die Byzantiner hätten wahrhaftig aufgeatmet, hätten sie es damals wirklich nur mit einer Kompanie katalanischer Söldner zu tun gehabt! — Endlich möchten wir die Anlage der Stammbäume kritisieren, die alle auf einem meterlangen Faltbogen abgedruckt sind, so daß man keinen ohne wahre Turnübungen lesen kann. — Aber das sind alles Kleinigkeiten, die uns die Freude am abschließenden Band des großen Werkes nicht verderben können. Dem Geschichtsfreund deutscher Sprache ist mit dieser Ausgabe ein ganz wesentlicher Dienst erwiesen worden.

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