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Sommerfrische

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Bekanntlich haben auch Wörter ihre Geschichte: sie verändern mit der Zeit ihre Bedeutung und sie verbreiten sich, oft lange Zeit an eine kleine Volksgemeinschaft auf knappem Raum gebunden, allmählich über das ganze Gebiet einer Sprache. So ist auch das Wort „Sommerfrische“ erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts allgemein gebräuchlich geworden, als die Menschen immer mehr dem Drange folgten, im Sommer auf dem Lande und in frischer Höhenluft Erholtmg und Stärkung zu suchen.

Als „Tiroler Dialektwort“ bezeichnet „Sommerfrische“ der Berliner Friedrich Nicolai in dem „Versuch eines österreichischen Idiotikons oder Verzeichnis österreichischer Provinzialwörter“, einer Beilage zum fünften Bande seiner „Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781“. Es dürfte aber damals dieses Wort auch nur auf das deutsche Gebiet Südtirols, vor allem auf Bozen und die angrenzenden Teile des Etschtales beschränkt gewesen sein. Die in der Niederung herrschende Hitze veranlaßte schon mehr als hundert Jahre früher die Bewohner Bozens, die heiße Jahreszeit auf dem nahen Mittelgebirge zuzubringen; aber auch bösartige Fieber, deren Brutstätte die Auen und Sümpfe der Etsch waren, nötigten sie dazu, bis die schon zur Zeit Maria Theresias geplante, aber erst hundert Jahre später durchgeführte Regulierung der Etsch die Seuchengefahr bannte. Auch die Pest wütete im 17. Jahrhundert in Bozen, und vielleicht hat sie den ersten Anlaß zur Besiedlung der Höhen gegeben. Schon damals bezogen die Bozner ihre Sommersitze auf dem Ritten, in Klöben-stein und Oberbozen und jenseits des Eisack in Kastelruth und Völs, in Deutsch- und Welschnofen. Auch die Bewohner anderer, südlicher gelegener Orte des Etschtales, die von Neumarkt und Salurn, folgten ihrem Beispiele.

Das Wort „Sommerfrische“ begegnet uns aber schon um das Jahr Sechzehnhundert. Da bezeichnet Mark Sittich von Wolkensrein die Gegend Unterfennberg bei Margreid als eine „feine Sumberfrisch“. Etwa hundert Jahre später erhielten in einer die Pfarre Bozen betreffenden Urkunde die ihr zugehörigen Geistlichen die Erlaubnis, „wegen der großen Sommerhiz zwey Monate lang zur Erhaltung ihrer Gesundheit an selbstbeliebigen Orthen die Sommerfrisch oder refrigeria zu genuessen“, und eine Bozner Chronik aus dem Jahre 1763 berichtet, daß damals 43 Bozener Haushaltungen auf dem Ritten bestanden „und diese Sommerfrisch durchaus lustig zugebracht haben“.

Noch älter ist die Bezeichnung „Frische“ oder, wie meistens gesagt wurde, die „Frisch“. Kaiser Maximilian I. hatte einen Bozner, den Zöllner am Eisack, Hans Ried, mit der Herstellung der Handschrift betraut, die unter dem Namen „Ambraser Heldenbuch“ bekannt ist. Hans Ried kam damit nicht vom Flecke, zog die Arbeit viele Jahre lang hin und erbat sich, sobald die heiße Jahreszeit gekommen war, die Erlaubnis, seine Arbeit ruhen zu lassen, bis er im Jahre 1511 die Aufforderung erhielt, sich nach Innsbruck zu begeben, da er „sich jährlich in die Frische gezogen habe“.

Wie in der oben erwähnten Bozener Urkunde so ist auch in der Bozener Chronik des Paters Ferdinand Troyer um das Jahr 1650 dem Worte „Frische“ das lateinische refrigeria beigesellt. Man hat in diesem Worte eine Anlehnung an das Italienische erblickt und die Worte „fresco“ und „fres-cura“ als Vorbilder der „Frische“ bezeichnet. Aber nichts nötigt dazu, denn es kann sich die Bedeutungsentwicklung gleichzeitig und ohne gegenseitige Abhängigkeit in den aneinandergrenzenden Sprachgebieten vollzogen haben; auch die Bewohner Trients und die Umwohner des Gardasees flüchteten sich aus der Sommerglut auf ihre Berge. Das ursprünglich vielleicht allein übliche Wort „Frische“ wird erst allmählich durch die „Sommerfrische“ der städtischen Bevölkerung zurückgedrängt worden sein.

Daneben findet sich auch noch im gleichen Sinne gebraucht das Wort „Frist“, das noch im 19. Jahrhundert von den Innsbruckern verwendet worden ist. Wir finden es bei Hermann von Gilm in dem Gedichtzyklus „Sommerfrische in Natters“:

„Die Mutter sagt, ich wäre krank,

Müss in die Somrrierfristj

Da hab' ich ihr im stillen Dank

Die liebe Hand geküßt.“ Vermutlich haben die Innsbrucker auch die Bezeichnung „Sommerfrische“ aus Südtirol übernommen, da sie ja auch wie die Bozener sich im Sommer auf dem Mittelgebirge niederließen.

Den Wienern aber war das Wort in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts noch rjicht geläufig. Ferdinand Raimund schreibt aus Innsbruck im Juli 1829 seiner „lieben, teuren, guten Toni“ über Bozen: „Man sagt, die Hitze sey größer als in Italien' selbst, indem weder der Morgen noch der Abend Linderung bringt, und die nobleren Einwohner alle auf die nahen Berge flüchten, wo sich ganze Dörfer von Landhäusern befinden, welche sie die ,Sommerfrisch' heißen.

Wir verweilten einen Tag', besuchten die Bergkolonie und führen am anderen Morgen zum Wormser Joch.“ Raimund hatte also die ihm nicht geläufige Bezeichnung eines Landaufenthaltes in der Urheimat dieses Wort kennengelernt.

Die allmähliche Verbreitung dieses Wortes um die Mitte des 19. Jahrhunderts ist auf die Reiseschriftsteller zurückzuführen. August L e w a 1 d stimmt in dem Werk „Tyrol, vom Glockner zum Ortler und vom Garda- zum Bodensee“ ein Loblied auf die Bozener Sommerfrischen än:

„Die Botzener ziehen zu Pferde die steilen Berge hinan, die nach Oberbotzen und dem Ritten führen. Hier oben herrscht nun die angenehmste Geselligkeit . . . Ich kenne Tyroler, die in anderen Provinzen des Kaiserstaates angestellt sind, und die Reise in ihr Vaterland machen, um hier die Sommerfrische z halten.“

Hieronymus Lorm lädt 1849 Berthold Auerbach ein, mit seinem Kinde nach Mähren zu kommen, „wo wir mit ihm Waldesluft und Sommerfrische teilen wollen.“ Adalbert Stifter kennt aber um diese Zeit das Wort noch nicht. In den „Zwei Schwestern“ sagt der hoch über dem Garda-see hausende Hieronymus: „Ich bin ganz allein mit der Magd auf der Sommerkühle heroben.“ Aber wenige'Jahre später begegnen wir dem Worte bei Viktor von Scheffel. Sein „Ekkehard“ tut bei dem Abschied von dem Waldkirchlein „einen langen, langen Blick auf die Stätte glücklicher Sommerfrische.“ Vermutlich hat Scheffel die „Sommerfrische“ in ihrer Urheimat kennengelernt. Auf der Rückkehr aus Italien hielt er sich im Sommer 1853 in Meran und seiner Umgebung auf und wohnte auf dem Schlosse Lebenberg, wo der Münchner Dichter und Maler Josef Friedrich Lentner 1852 gestorben war, und vielleicht hatte er dessen „Sommerfrisch-Phantasien“ gelesen, die ein Bild der Bozener Anwesen auf dem Ritten entwerfen. Übrigens konnte auch Lentner bei seinen Lesern die Kenntnis des Wortes nicht voraussetzen:

,.Du weißt vielleicht nicht, was dieses Wörtlein sagen will, aber sey Du nur erst hier oben am Ritten, in der erquicklichen Kühle, so wird es Dir einleuchten, daß für ,uns Leute an der Etsch der ganze Hort der lieblichen deutschen Sprache nicht viele lieblicher klingende Worte enthält. Hier weht jener herzerfrischende Odem des Berggeistes, den man bei uns eine ,g'sunde Luft' nennt.“

Bald nach Scheffels „Ekkehard“ stellte sich das Wort auch bei Gottfried Keller ein. Wir lesen in seinem Gedicht „Ein Festzug in Zürich“ (1856):

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