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St Stephan als Symbol

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Die Mystiker des Mittelalters hatten das „himmlische Jerusalem“ als eine kristallene Stadt geschaut, mit leuchtenden Wänden aus Edelsteinen, von göttlichem Licht durchschienen. Diese Visionen, welche die Mystiker mit dürren Worten in die Sprache der Erde zu verdolmetschen suchten, wollten dier gotischen Architekten mit den Mitteln der Er e vor die Augen der Menschen zau- beįrn. Tatsächlich gelang es ihnen, durch lischen Jerusalem zu geben. So erwuchs innerhalb der Mauern des „irdischen Jerusalem“ die Pracht des „himmlischen Jerusalem“.

Gegen diese Konzeption hatte sich der Protest der Bettelorden erhoben. Sie lehnten es ab, aus der Kirche eine Schau zu machen. Für sie ist die Kirche nichts anderes als ein Haus neben anderen Häusern, eine schlichte Gebetshalle neben den Markthallen.

alterlichen Kathedrale. Die große Kraft und Kunst des Österreichers, immer wieder Synthesen zu finden, hat sich an diesem Bauwerk wieder bewiesen: es gelang ihm, den Stil der Könige und der Bettler, die Kunst der mächtigsten Herren und der mindesten Brüder, zu einer Einheit werden zu lassen und in der Stadt des irdischen Königs von Jerusalem (die Habsburger trugen diesen Titel) dem himmlischen Jerusalem des Königs der Könige ein Abbild von einmaligem Glanz erstehen zu lassen.

In dieses Abbild einer himmlischen Stadt sind vor sieben Jahren die Greuel der Verwüstung eingebrochen. Das Schicksal, das ihr Namenspatron erlitt, ist auch ihres geworden. Wie der heilige Stephanus, der Diener der Kirche, von den Geschossen der Feinde zermalmt wurde, so wurde diese Kirche, welche Gott diente, von den Geschossen des Krieges zerstört. Aber wie das Martyrium des hl. Stephanus der Kirche nur Glanz verlieh, so soll nun auch durch das Martyrium dieses Gotteshauses der Kirche neuer Glanz erstehen: soll doch der Wiederaufbau ein Symbol ęein für die Einheit und Kraft der Christenheit.

Schon einmal errichteten die Völker Europas gemeinsam in Wien ein Gotteshaus: 1713 hatte das Oberhaupt der Casa d’Austria, Karl VI., als seine Länder von der Geißel der Pest heimgesucht wurden, eine Kirche zu bauen gelobt, wenn diese Schrecken von der Menschheit hinweggenommen würden. In Erfüllung dieses Gelübdes war der schönste Barodebau Wiens entstanden, die Kirche zu St. Karl. Franzosen und Italiener, Spanier und Niederländer, Österreicher und Ungarn, Tschechen und Kroaten hatten zu diesem Bau beigetragen und dadurch ein europäisches Gesamtkunstwerk geschaffen.

So will auch St. Stephan ein Gesamtkunstwerk der Welt sein, wiedererrichtet durch die Hilfe aller Völker. Ein Symbol der Einheit am Rande der christlichen Welt.

Aber dieser Wiederaufbau soll kein Bollwerk schaffen, keine Bastion, die drohend ins Land des Feindes schaut, sondern ein Zeichen der christlichen Liebe und Verbundenheit, das zu den Feinden hinüberwirkt. Und wie die Wunden des hl. Stephanus eine Station am Bekehrungswege des Saulus, dieses wütenden Hassers der Kirche Christi, waren, so möge der geschundene Leib dieser Kirche des hl. Stephans und die Liebe, die seine Wunden heilt, auf. die Hasser der Kirche wirken und sie zu ihrem Damaskus geleiten.

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