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Es begann mit Will Eisner. In zwischen ist eine lebendige Graphic-Novel-Szene entstanden, die geschichte und Kulturgeschichte erzählt und sich auch der Literatur verschrieben hat.

Mit den Graphic Novels sind die Comics dem Jugendalter entwachsen. Erzählt haben die bunten Bildgeschichten immer schon, meistens sogar das Blaue vom Himmel. Comics dienen der Zerstreuung, der leichten Unterhaltung, sie machen uns eine Welt vor, die mit unserer nichts zu tun hat und die wir deshalb entspannend finden dürfen. Es herrschen andere Gesetze und fremde, wilde Gebräuche, wir sollen lachen und staunen, zum Grübeln kommen wir nie.

Kasperliaden

Alles, was in den frühen Jahren der Comicliteratur dargestellt worden ist, ist bei Licht besehen, seien wir ehrlich, einigermaßen kindisch. Superman und Batman sind erwachsene Helden aus dem Geist des Infantilismus. Sie kämpfen gegen das Böse, bleiben siegreich, sie kennen keinen Zweifel. So stellen sich Kinder echte Erwachsene vor. Sie verfügen über kein Seelenleben, sie sind Akteure, die immer wissen, wo es lang geht. Comics stehen zu Recht unter Trivialitätsverdacht. Ob man sich im Wilden Westen befindet oder unter vermenschlichten Tieren in Entenhausen, es gibt Grundmuster, nach denen die Geschichten ablaufen. Comics, das stand nie infrage, sind die Kasperliaden der Unterhaltungsliteratur. Damit haben wir uns lange Zeit eingerichtet. Wer Comics las, wurde nicht ganz ernst genommen, denn er weigerte sich, der Gegenwart in ihre finstere Fratze zu sehen.

Doch gab es Ausreißer. Wenn die Gallier den Kampf gegen die Römer aufnahmen, stand das bildungsbürgerliche historische Wissen auf dem Prüfstand. Gleichzeitig bekam man ein subtiles, ironisches Porträt der Gegenwart mitgeliefert. Und wenn Lucky Luke die Daltons zur Strecke brachte, las man nicht nur die Geschichte eines Superhelden, es fand gleichzeitig ein Spiel mit Erzählmustern statt.

Aber es sollte noch ganz anders kommen. Mit dem Amerikaner Will Eisner (1917-2005) trat ein Zeichner in Erscheinung, der für seine Arbeit einen ernsthaften Kunstanspruch erhob. Er ließ sich vom Film inspirieren, arbeitete mit ungewöhnlichen Perspektiven - und er hatte etwas zu erzählen, was ihm unter den Nägeln brannte. Als er 1978 sein Buch "Ein Vertrag mit Gott" veröffentlichte, bezeichnete er es selbst als "Graphic Novel". Er setzte auf komplexe Erzählstrukturen und Bilder erhielten einen Eigenwert. Sie waren nicht länger nur dazu da, ein lesefaules Publikum bei Laune zu halten, sie führten eine zusätzliche Dimension, oft einen doppelten Boden, ein. Mit dem Band "Das Komplott" schuf er wahrscheinlich sein spätes Meisterwerk. Darin beschäftigte er sich mit den verhängnisvollen "Protokollen der Weisen von Zion", gefälschten Dokumenten, die eine jüdische Verschwörung nachweisen sollten. Eisner decouvrierte sie als Lügenkonstrukt.

1986 begann Art Spiegelman die Geschichte seines Vaters, eines Auschwitz-Überlebenden, als Graphic Novel zu veröffentlichen. Das war die Nagelprobe: Wenn es gelingen sollte, das persönliche Drama, in dem die Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts aufgehoben ist, ins Bild zu setzen, ohne je peinlich zu werden, waren die Graphic Novels als eigenständige Kunstform etabliert. In "Maus" gelang es Spiegelman, eine derart beklemmende Atmosphäre zu schaffen, dass die Befürchtung, er könne als Verharmloser am Werk sein, rasch entkräftet war. Das war auch der Erzählform zu verdanken: Er ließ den Vater erzählen, der Sohn fungierte als Fragensteller und Dokumentarist. Damit entging Spiegelman dem Missverständnis, dass man sich in Vergangenheit mühelos einfühlen könne.

Lebendige Szene

Art Spiegelman und Will Eisner waren die Pioniere. Inzwischen ist eine überaus lebendige Graphic-Novel-Szene entstanden, die auf den deutschen Sprachraum übergegriffen hat. Reinhard Kleist gehört zu den aufstrebenden Graphic-Novel- Künstlern aus Deutschland. Wenn er durch Kuba reist, führt er nicht eine Kamera mit sich, sondern er zeichnet, was immer ihm unterkommt. Jetzt hat er eine Biografie Fidel Castros erarbeitet. Er bewundert den Revolutionsführer, und er begegnet ihm mit Skepsis. Das braucht er nicht wortreich auszuführen, das zeigen die Porträts. Wenn er den großen Redner festhält im Blick von unten, sodass der Mann umso mächtiger und einschüchternder wirkt, fasst er einen Demagogen. Wir sehen, wie einer poltert und dröhnt und all seinen Worten mit geballter Faust Nachdruck verleiht. Die Worte sind dürftig, verschwinden hinter all dieser körperlichen Präsenz: "Vaterland oder Tod. Wir werden siegen." Solche Sätze sind die Schwundstufe politischer Argumentation. Reinhard Kleist widerstrebt es, Zeitgeschichte als Folge von Ereignissen herunterzuerzählen.

Er bricht seine Darstellung auf durch den Blick eines Journalisten, der 1958 nach Kuba reist, um sich ein Bild über die Revolutionäre zu machen. Er wird bald zum Parteigänger Castros. So holt Kleist alle wichtigen Stationen der Entwicklung Kubas bis heute ins Bild, beobachtet aber kritisch, wie sich die Ideale einer freien Gesellschaft in ihr Gegenteil verkehrten.

In die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts geht Isabel Kreitz zurück. Der Fall des Serienmörders Haarmann beschäftigt sie. Die Düsternis einer Döblin'schen Welt, als Giftmörderinnen ihr Unheil trieben, ist ebenso sichtbar wie ein Nachhall der Fotografien aus der Depressionszeit, als Deutschland drauf und dran war, in der sozialen Misere zu stranden. Kreitz geht es weniger um das Psychogramm eines Mörders, sondern um das Porträt einer Gesellschaft. Peer Meter recherchierte in den Archiven und zeichnet für den Verlauf der Handlung verantwortlich, Kreitz vertiefte sich in ihre Präzisionsarbeit, um dem Schrecken Gestalt zu verleihen.

Effektvolle Mittel

Graphic Novels agieren effektsicher. Sie zeigen nicht nur, dass wir in einer unheilen Welt gefangen sind, sie benützen dazu drastische Mittel, die wir aus der Literatur kennen: Sie übertreiben, sie stürzen sich auf Details, die die triste Stimmung verschärfen, sie wählen Wirklichkeitsausschnitte, die auf eine Tonlage einschwören.

Man muss sich nur umschauen im Band, der eine Literaturgeschichte der Beat-Generation in Bilder umsetzt. Jack Kerouac ist eine tragische Figur, von Drogen zerfressen, vom Alkohol geplagt, unstet, ein unruhiger Geist. Wie geht der Grafiker Ed Piskor damit um? Wir sehen einen finsteren jungen Mann, wie er sich an seiner Zigarette ziehend mehrere Speed-Kapseln in die offene Handfläche schüttet. Das passt zu einem, der sagt: "Weil die einzigen Leute, die für mich zählen, die Verrückten sind - die verrückt sind nach Leben, verrückt nach Reden, verrückt nach Erlösung, die alles auf einmal wollen und alles sofort, die nie gähnen oder Belangloses sagen, sondern brennen, brennen, brennen wie fantastische römische Kerzen und wie Feuerräder am Sternenhimmel explodieren, und in der Mitte verpufft der blaue Lichtpunkt, und alle rufen: Ahhh!" Pathetisch das Ganze. So könnte ein Held des Aufstands gegen die Bürgerlichkeit aussehen. Piskor folgt den Stationen eines späteren Stars der amerikanischen Subkultur, aber es fällt schwer, ihm Sympathien entgegenzubringen. Die Zeichnungen machen nämlich einen gebrochenen Charakter voller Widersprüche sichtbar.

Geschichte und Kulturgeschichte sind die großen Themen der Graphic Novels. Arne Bellstorf verbindet die Geschichte des kulturellen Umbruchs, der in Hamburg 1960 mit der Rock-and-Roll-Bewegung beginnt, mit der privaten Liebesgeschichte Astrid Kirchherrs, die sich in den damaligen Beatles-Bassisten Stuart Sutcliffe verliebt.

Farbig berauschend

Von Anfang an haben sich Graphic Novels der wichtigen Literatur verschrieben. Kein Wunder, holen sie sich doch ihre Anleihen für Form und Anlage der Erzählung von dort. Will Eisner wandelte gar "Moby Dick" in eine Graphic Novel um.

Der Amerikaner Tim Hamilton gibt sich etwas bescheidener, er sucht sich Ray Bradburys "Fahrenheit 451" aus und kopiert weder den Roman noch die berühmte Verfilmung von François Truffaut. Mehr als die Vorgänger konzentriert er sich auf den inneren Kampf des Feuerwehrmanns, der mit Genuss Bücher verbrennt, um allmählich am Zweifel über sein Tun zu zerbrechen.

Der Roman argumentiert wortreich, der Film baut Szenen aus, die den Schrecken einer gleichgeschalteten Gesellschaft zeigen. Hamiltons Version kommt mit knappen Sätzen aus: "Wir müssen nicht alle frei und gleich geboren sein ?, sondern gleich gemacht." Hamilton schwelgt in farbig berauschenden Bildern, wenn er die Schrecken einer Diktatur aufzeichnet. Die Gestalt auf einer Treppe, die im Feuer untergeht, brennt als lebende Fackel wie die Bücher, Symbol für Widerspenstigkeit und Unabhängigkeit. Hamiltons Buch ist ein lautstarker Protest gegen die Einförmigkeit.

Anton Thuswaldner, geb. 1956, Studium der Germanistik und Geschichte in Salzburg, Literaturkritiker für in- und ausländische Medien, Juror für den Aspektepreis des ZDF. Zahlreiche Publikationen, zuletzt "Das jüdische Budapest", mit Fotografien von Monika Lirk und Bruno Bourel; mit einem Essay von Péter Nádas, Jung und Jung 2010.

The Beats

Die Geschichte der Beat-Literatur

Hg. von Harvey Pekar und Paul Buhle

Aus dem Engl. von Thomas Stegers

Walde + Graf 2010 206 S., geb., e 23,60

Baby's in black

The Story of Astrid Kirchherr & Stuart Sutcliffe. Von Arne Bellstorf

Reprodukt 2010 214 S., kart., e 20,60

Fahrenheit 451

Von Ray Bradbury und Tim Hamilton

Aus dem Engl. von Fritz Güttinger

Eichborn 2010. 160 S., geb., e 23,60

Castro

Von Reinhard Kleist. Fachliche und inhaltliche Beratung durch Volker Skierka. Carlsen 2010

287 S., geb., € 20,50

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