Laientheater? Geschichtsfernsehen im ORF

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Im internationalen Vergleich sehr spät hat der "History-Boom" auch das österreichische Fernsehen erfasst. Die Freude der Experten hält sich in engen Grenzen, denn die Geschichte sollte nicht als Selbstbedienungsladen für Filmstoffe missbraucht werden. Ein Gastkommentar.

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Im internationalen Vergleich sehr spät hat der "History-Boom" auch das österreichische Fernsehen erfasst. Die Freude der Experten hält sich in engen Grenzen, denn die Geschichte sollte nicht als Selbstbedienungsladen für Filmstoffe missbraucht werden. Ein Gastkommentar.

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In unserer bildfixierten und lesefaulen Welt ist das Fernsehen das ideale Medium zur breitenwirksamen Vermittlung von Geschichte. Österreich I und II von Hugo Portisch haben es bewiesen. Die aktuelle Geschichtewelle hat allerdings mit Geschichtsbewusstsein und Bildungsfernsehen nichts zu tun. Die von Jahrestagen und Jubiläen gesteuerte Sendungsflut entspringt dem unterhaltungskommerziellen Zwang, das 24-Stunden-Fernsehen auf mehreren Kanälen zu befüllen.

Unter verschwörerischen Labels wie Terra X oder Rätsel der Geschichte, als Saga oder doch bloß als banale Schatzsuche preist man uns die inflationären "Pauschalreisen in die Vergangenheit" an. Wirklich wissenschaftlich wird es für viele ohnedies erst dann, wenn der "CSI-Effekt" greift, wenn also mit gerichtsmedizinischen Methoden und Gentests historische Grabschändung betrieben wird oder das Liebkind aller Wissenschaftsredaktionen, der Neandertaler, rehabilitiert werden soll. Geschichte ist mittlerweile ein Quotenbringer. Ganz aber hat sie den allwöchentlichen ORF-Blockbuster, die verklärende Naturdokumentation, noch nicht eingeholt. Das Beliebtheitsgefälle zeigt schon ein Vergleich der Sendeplätze von Universum und Universum History: Prime-Time gegen Late-Night!

Habsburg-Recycling

Seit die endlose Geisterbahnfahrt durch die abstoßenden Kapitel unserer jüngeren Vergangenheit an Schwung zu verlieren scheint und das ZDF selbst des "Führers" Hunde und Friseure abgearbeitet hat, verlässt die televisionäre Geschichte immer öfter ihre zeithistorische Isolationshaft und wendet sich früheren Epochen zu.

In Österreich läuft dies auf Habsburg-Recycling hinaus, das ohne die von anderen fernsehtauglichen Dynastien wie den Borgias oder Tudors ausgehende Faszination des Bösen auskommen muss und sich so häufig in ranzigen Klischees verliert. Auch die angeblichen "Fernsehevents", die rund um Maria Theresias 300. Geburtstag erbarmungslos auf das Publikum niederprasseln, beweisen, wie rasch heutiges Geschichtsfernsehen an Grenzen stößt.

"Histotainment" nennt man das vermittels Personalisierung und Dramatisierung emotionalisierende Geschichts-TV. Es ist journalistische Aufbereitung und nicht Wissenschaft. Das müsste grundsätzlich kein Nachteil sein. In der Praxis freilich führt die zwanghafte Suche nach dem berüchtigten "Gegenwartsbezug" fast immer zu einem anachronistischen Blick und verzerrenden Projektionen auf die Vergangenheit, oft mit ressentimentgeladenem Unterton.

Georg Rihas Bildteppich Maria Theresia - Vermächtnis einer Herrscherin (9.5.2017, ORF III) ist von epischer Schönheit. Was die prominenten Erzählerstimmen Peter Simonischek und Andrea Eckert dem Zuseher ohne Chronologie und Zusammenhang zuplaudern, bleibt Nebensache, meidet aber immerhin das übliche Vergangenheitsbashing. Letzteres wäre in einem Werbefilm für die finanzierende Tourismuswirtschaft auch geschäftsschädigend.

Professorale Interviewhäppchen

Akademische Fachvertreter sind in unseren Breiten leider selten in der Lage, ihr Wissen öffentlichkeitswirksam aufzubereiten. Ihnen fehlt auch das Emotionalisierungspotential der Zeitzeugen, so dass sich die Rolle des Experten darauf beschränkt, in Interviewhäppchen professoral die journalistisch vorgefertigte Botschaft zu beglaubigen. In lebendigeren Formaten geht der Historiker über Treppen, steht mit gespielter Begeisterung in historischen Gebäuden herum oder fährt sogar mit dem Auto durch die Geschichte. Deutungshoheit hat der Fachmann im Fernsehen aber keine mehr.

Gefährlich wird es, wenn Sendungsmacher sogar auf Fachberatung hinter den Kulissen verzichten. Nur so lässt es sich erklären, dass in Maria Theresia -Mutter und Majestät (2.5., ORF 2) das innenpolitische Reformwerk der Kaiserin-Königin unberücksichtigt bleibt und die Monarchin auf ein seltsam altbackenes Rollenbild als Frau und Familienmensch reduziert wird. Über den Kostümklamauk Maria Theresia -Eine Kaiserin gegen Preußens Friedrich (5.5., ORF 2), eine wiederaufgewärmte Fernsehkonserve, breitet man überhaupt besser den Mantel des Schweigens.

Seit sich Ausstellungs- und Fernsehkritik zugunsten einer servilen Wiederverlautbarung der Presseaussendungen aus den heimischen Printmedien verabschiedet haben und für Fehlleistungen keine Sanktionen zu befürchten sind, scheinen eben auch im Bereich der kulturindustriellen Vergangenheitsbewirtschaftung die Qualitätsanforderungen dramatisch gesunken zu sein.

Gegen filmische Totalfiktionalisierung von Geschichte ist, sofern gut gemacht, prinzipiell nichts einzuwenden. Auch ein exzellenter historischer Roman kann mehr vermitteln als ein schlechtes Sachbuch. Die Wirkmächtigkeit von Historienfilmen - von ihrer Instrumentalisierung zu Propagandazwecken durch Nationalsozialismus und Kommunismus bis hin zu den weltweit einflussreichen US-Fernsehserien Roots und Holocaust - ist bekannt.

Wer nicht über die Mittel für ernstzunehmende Ausstattungsfilme verfügt, sollte sich aber tunlichst auf das subtile Kammerspiel beschränken. Auch der hochgejubelte ORF-Dreiteiler Maximilian (2017) von Andreas Prochaska und Martin Ambrosch, die sich schon 2014 an einer allzu kühnen "Bearbeitung" des Mordes von Sarajewo 1914 versucht hatten, wollte mehr als er konnte. Der laute Stolz der Kulturkapitalisten auf gewaltige Drehbudgets, tausende Komparsen und aufwendige Kostüme soll Kritiker kleinhalten und zeigt doch bloß, dass die Mittel unzweckmäßig eingesetzt werden.

Sogar biedere Fernsehdokumentationen spielen sich heute als "Doku-Dramen" auf und schwelgen in darstellender "Historienmalerei". Für das vorfilmische Zeitalter setzen Produzenten immer massiver die einst verpönten Spielszenen als Lückenfüller ein, die trotz exorbitanter Kosten fast ausnahmslos das peinliche Flair einer Laienbühne verströmen, je nach sozialem Umfeld in billigen Faschingsprinzenkostümen oder schmutzigen Lumpen.

Dass sich die sozialkritische Froschperspektive nicht so gut verkauft wie Herz und Schmerz gekrönter Häupter, hat sich aber mittlerweile auch bei politisch engagierten Film-und Fernsehverantwortlichen herumgesprochen. Dieser Marketingeinsicht verdankten wir 2014 die ärgerliche Reduktion des Wiener Kongresses 1814/15 auf Negligés und nackte Frauenbrüste und das entbehrliche Zwangsouting des Prinzen Eugen als homosexueller Kriegsverbrecher.

Historisch grundierte Fantasy-Schinken

Lohnender und kostengünstiger als der meist unfreiwillig komische "Nachdreh" (der Begriff "reenactment" suggeriert in Wahrheit nicht vorhandene kostümkundliche Expertise) wäre es, sich wieder vermehrt aus dem traditionellen Arsenal des Geschichtsfernsehens (zeitgenössische Bild-und Textdokumente samt Musik!) zu bedienen, um ein wirkliches Epochengefühl zu erzeugen. Natürlich sollte den Möglichkeiten der Computeranimation der gebührende Platz eingeräumt werden, damit etwa stark veränderte Originalschauplätze zu neuem Leben erwachen können.

Der Trend geht leider in eine andere Richtung. Die Geschichte ist zwar eine ideale Stofflieferantin, sie hält -noch dazu gemeinfrei - spektakuläre Vorlagen für spannende Film-und TV-Drehbücher bereit. Sie schreibt aber kein verbindliches Skript und bleibt für Filmschaffende bloße Inspirationsquelle für historisch grundierte Fantasy-Schinken. Dabei erleichtert ihnen die nach eigenem Bekenntnis geringe historische Vorbildung das Umdichten des Ausgangsstoffes. Die Helden der "Küniglberger Schule" des Geschichtsfernsehens sind ohnedies nicht die historischen Persönlichkeiten, an denen man sich vergreift, sondern die ewig gleichen Schauspieler. Der Darsteller als Maß aller Dinge usurpiert den Dargestellten, interpretiert dessen Geschichte und Gefühlswelt auch außerhalb des fiktionalen Spiels und gibt - nicht als Schauspieler, sondern als Kronprinz Rudolf, Maria Theresia usw. - Interviews. Manche könnten sogar als Sprachrohr mehrerer Persönlichkeiten auftreten, Tobias Moretti zum Beispiel als Andreas Hofer, Erzherzog Johann und Friedrich III.

Robert Dornhelm arbeitet aktuell an einem "topbesetzten ORF-Event-Zweiteiler" über Maria Theresia, der im Winter ausgestrahlt werden soll. Dass es "Unterhaltung mit geschichtlichem Tiefgang vom Feinsten" wird, wie uns der ORF weismachen will, ist praktisch ausgeschlossen.

Der Autor ist Historiker

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