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Hermen von Kleeborn: Geist und Herz "übersetzen"

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Lyrikerin, Übersetzerin - und eine der "Stillen", auf denen die wahre Kraft unseres Landes ruht.

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Lyrikerin, Übersetzerin - und eine der "Stillen", auf denen die wahre Kraft unseres Landes ruht.

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Nicht weit vom Wiener Rathaus entfernt, liegt seit vielen Jahren eine Frau auf ihrem Schmerzenslager. Sie empfängt eine Jugend aus Österreich, aus der ganzen Welt. Immer sind Gäste in ihrem Haus. Ein ausgedehnter Briefwechsel muß die persönliche Begegnung ersetzen, seit es dieser Frau unmöglich geworden ist, selbst zu reisen. Freunde dieser Frau (waren) sind: Paul Claudel, Giovanni Papini, T. S. Eliot, Julien Green, Michel de Saint-Pierre, Heinrich Böll.

Ein europäischer Kosmos wölbt sich über dieser Frau: ein Himmel voller Schmerzen, voller Sterne.

Hermen von Kleeborn, die österreichische Dichterin und Übersetzerin, stammt aus Familien des alten Österreich. In ihr ist die Menschenbildung des alten Reiches, und die Bildung der neuen, im Entstehen begriffenen Welt. Die Einführung zu ihrem Band „Gedichte“ hat Felix Braun geschrieben. Zarte Einfühlung in sehr fremde und sehr nahe Wesen vermittelt diese Dichtung.

Politik des Geistes, des Herzens „übersetzen“ können, Übertragung, ein Hinübertragen, von einem Leben, in das andere: das ist die Kunst des großen Übersetzens; eine Kunst des Wiedergebärens. Im „Muttermut“ des alten Österreich war diese Kunst zu Hause. Hermen von Kleeborn ist eine begnadete

„Übersetzerin“. Wir freuen uns mit ihr: soeben hat sie den internationalen Übersetzerpreis „Prix de l'Ile St. Louis“, der alljährlich in Paris für die beste Übersetzung aus dem Französischen verliehen wird, erhalten. Voriges Jahr ging dieser Preis nach Schweden. Heuer hat ihn erstmals eine Österreicherin erhalten: Hermen von Kleeborn.

Vor dem Kriege arbeitete sie im Paulus-Werk des Pater Österreicher, der jetzt in Amerika „The Bridge“, die Brücke einer christlich-jüdischen Verständigungsarbeit, herausgibt. Im Kriege arbeitete sie in Wien an der Übersetzung von Werken Balzacs. Ihre große Zeit begann 1945: durch ihre freundschaftlichen Beziehungen in Frankreich, England und Italien gelang es Hermen von Kleeborn, viele ausländische Autoren ersten Ranges in den deutschen Sprachraum zu vermitteln. An der Spitze: mehr als vierzig französische Autoren. Als Fremdsprachenlektorin, erst des Amandus-Verlages, dann (seit 12 Jahren) des „Herold“-Verlages, betreut sie die große Péguy-Ausgabe, von der bisher vier Bände vorliegen, drei weitere sind in Vorbereitung.

Hermen von Kleeborn hat unter anderem übersetzt: Arthur Rimbauds Dichtungen, den Roman „Gott braucht die Menschen“ von Henri Queffelec (nach dem der bekannte Film gedreht wurde), das große Christusgedicht der damals zehnjährigen bretonischen Dichterin Minou Drouet „Der Mondfischer“. Ferner: den Textteil des Bildbandes über Charles de Foucauld, das Werk über die heilige Messe von Jean Sainssaulieu, das Buch über das christliche Leiden „Die Ketten fallen ab“ von Pierre Martel.

Diese große Übersetzerin ist eine Meisterin des großen Gesprächs. Junge, sehr junge Menschen, Priester und Laien, Christen und Nichtchristen haben den Weg zu dieser Frau gesucht und gefunden, die aus einer hellen Schmerzerfahrung lebt und schafft: eine von jenen „Stillen im Lande“, auf denen die wahre Kraft, die Substanz unseres Landes ruht.

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