"Mädchen, traut euch doch!"

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Mädchen in der HTL? Noch immer herrscht Kopfschütteln bei der Vorstellung, daß Schülerinnen in technischen Fächern und Schulen erfolgreich sind.

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Mädchen in der HTL? Noch immer herrscht Kopfschütteln bei der Vorstellung, daß Schülerinnen in technischen Fächern und Schulen erfolgreich sind.

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Für Sabrina Eder beginnt in diesen Tagen das fünfte Ausbildungsjahr an der HTL Salzburg in der Fachrichtung "Maschinenbau". "Wir sind drei Schwestern. Ich war schon immer die, die alles zerlegt hat." Die praktische Ausbildung bereitete weder Überraschungen noch Probleme: "Ich war es gewohnt, das Gleiche zu machen wie die Buben." Die Eltern, der Vater ist Elektroingenieur, hätten ihre technischen Interessen immer unterstützt. "Feilen, drehen, fräsen - ,Da macht man sich ja die Hände schmutzig!' sagen viele." Susanne Plainer hat genau das Spaß gemacht. "Bis auf die Onkel, die Techniker waren, haben alle gesagt: "Du traust dich was!"

"Man kann beobachten, wie sich die Buben entwickeln. In den ersten Jahren waren sie noch sehr kindisch. Jetzt merkt man, daß sie langsam erwachsen werden." Im Gespräch mit der künftigen Maschinenbau-Ingenieurin Sabrina Eder bestätigt sich einmal mehr, daß Mädchen früher reifer werden als Burschen. Sabrina und Martina sind die einzigen Mädchen in ihrer Klasse. Probleme hätten sie damit nie gehabt: "Natürlich gibt es Burschen, die meinen, ein Mädchen gehört nicht an die HTL. Aber man beweist ihnen des Gegenteil - oder man läßt ihnen ihren Glauben." Sie habe zwar auch Lehrer erlebt, die gelegentlich "blöde Bemerkungen loslassen", damit umzugehen gehört für Sabrina aber zum Job. "Insgesamt achten die Lehrer sehr darauf, daß sie keine Unterschiede machen, daß sie die Mädchen gleich behandeln wie die Buben."

Sabrina Eder, lange Zeit Klassenbeste, ist eine selbstbewußte junge Frau, die einer heranwachsenden neuen Frauengeneration angehört, die souverän über allen Fragen von Gleichbehandlung oder Diskriminierung zu stehen scheint: "Persönlichkeit und persönliche Leistung zählen, nicht die Zugehörigkeit zum einen oder zum anderen Geschlecht."

Natürlich erfordere die Mitgliedschaft in einem männlich dominierten Klassenverband an einer männlich dominierten Schule Durchsetzungsvermögen, Selbstbewußtsein und auch eine gewisse Robustheit in Sachen Umgangsformen. "Aber alles was man in der Schule erlebt, ist gut für die Berufswelt. Da kann einen dann später nicht mehr so schnell etwas schocken."

Angst vor Diskriminierung beim Einstieg in das Berufsleben hat Sabrina nicht: "Wenn man einen Chef hat, der überzeugt ist, daß eine Frau nicht in die Technik gehört, hat es keinen Sinn, ausgerechnet in dieser Firma arbeiten zu wollen. Sonst aber zählt die Leistung. Da hat kein Klischee etwas zu suchen! Durchsetzungsvermögen hat mit Persönlichkeit zu tun, und nicht mit Mann- oder Frau-Sein."

Eine Meinung, die Sabrina in ihrer bisherigen Praxiserfahrung bestätigt sieht: "In einer Autowerkstatt waren sie zunächst erstaunt, daß eine Praktikantin kommt. Aber man wird überall ohne Probleme aufgenommen, wenn man zeigt, man kann was und lernt gerne was."

Die körperliche Arbeit macht Sabrina Spaß. Immerhin sei man ja Technikerin, um sich mit Technik behelfen zu können, sollte es an Körperkraft einmal fehlen. Auch Körperkraft läßt Sabrina nicht als Unterscheidungsmerkmal gelten: "Es gibt starke Mädchen und schwache Buben - und umgekehrt!"

Bis zur dritten Klasse stünde in der praktischen Ausbildung ein Tag "Werkstätte" auf dem Stundenplan. Ab der vierten Klasse heißt das dann "Labor". Im "Chemie-Labor" hätten sie etwa Lack hergestellt. Eine der "Zutaten": "Abwasser, das wir in Versuchen davor selbst gereinigt haben." Im "Windkanal-Labor" hätten sie Turbinenmessungen vorgenommen. "Damit man die Theorie auf die Praxis anwenden lernt." Sabrina erinnert sich an die Schweißwerkstatt im zweiten Jahr: "Wir mußten zunächst eine Blechplatte auseinander schneiden und wieder zusammen schweißen. Dann haben wir aus Blechplatten einen Würfel geschweißt, der einen bestimmten Druck aushalten mußte." Solche Basisfertigkeiten sind wichtig: "Wenn man selber nicht weiß, wie eine Schweißnaht aussieht, kann man auch nicht einschätzen, ob bei einer Konstruktion an einer bestimmten Stelle schweißen überhaupt möglich ist."

Die vergangenen Sommerferien waren ebenfalls der Berufspraxis gewidmet. Sabrina arbeitete in einer großen Grazer Forschungsfirma: "Da sind lauter Spezialisten. Da kann man gut arbeiten. Ich habe in zwei Monaten Praktikum mehr gelernt, als in drei Jahren EDV." Zum Zeitpunkt des Gespräches kamen zwei Themen für Sabrinas Matura-Projekt in Frage: entweder ein Computerprogramm, das automatisch Meßwerte ausarbeite und fertige Diagramme liefere oder ein Programm zur Motorkonstruktion. Laienhaft umschrieben: Wenn beispielsweise nur der Durchmesser eines Zylinders geändert werden solle, solle der Computer den ganzen Motor darauf abstimmen und gleich zeichnen können.

"Solche Projekte gehören zur Matura", erklärt Sabrina. "Früher gab es eine Projektwoche. Jetzt erstreckt sich diese Arbeit über das ganze Jahr. Man sucht sich den Auftrag und die Firma selber. Bei der Matura wird das Ganze präsentiert." Sabrina möchte nach der Matura gerne studieren. "Eher nicht Maschinenbau. Vielleicht Astronomie oder Raumfahrttechnik, vielleicht auch Medizin mit Blickrichtung technische Medizin - das kann ich noch nicht sagen."

Die Meinung, daß Mädchen sich mit naturwissenschaftlichen Fächern oder im technischen Bereich schwerer täten als Burschen, teilt die künftige Maschinenbau-Ingenieurin nicht. "Ich zum Beispiel habe eher mit den Sprachen ein Problem. Ich bin überzeugt davon, daß das viel mit Erziehung hat." Wenn ein Mädchen immer nur zu hören bekäme, der Werkzeugkasten sei für den Bruder, sie solle mit der Puppe spielen, würde es kaum technisches oder handwerkliches Interesse entwickeln. "Das halte ich schon für ein Problem: Daß in vielen Familien technisches Interesse bei Mädchen noch immer unterdrückt oder gleich gar nicht ernst genommen wird." Darum halte sie auch ministerielle Initiativen wie "Mädchen in die Technik" (MiT) für wichtig: "Es ist gut, die Mädchen, aber auch die Eltern darüber zu informieren, daß es für ein Mädchen sinnvoll ist, in die Technik zu gehen, wenn das Interesse da ist. Jeder ist dort gut, wo sein Interesse liegt!"

1.600 junge Menschen besuchten im vergangenen Schuljahr die HTL Salzburg. 140 (neun Prozent) davon sind Mädchen, berichtet Marie-Isabel Niedermüller, die an der HTL "Deutsch" und "Rhetorik" unterrichtet. Unter 200 Lehrern sind 26 Frauen, davon sind vier Technikerinnen. Die Abteilungen "Textildesign" und "Bautechnik" besuchten 68 beziehungsweise 48 Mädchen, die Abteilung "Maschinenbau" sechs, die Abteilung Elektrotechnik drei.

Sprachlich seien Mädchen etwas besser als Burschen, "gewandter, aber scheuer", erzählt Niedermüller und bestätigt Sabrinas Eindrücke: "Sonst sind wenig Unterschiede feststellbar. Zwei Mädchen unter 30 Burschen müssen sich natürlich erst durchsetzen. Die Mädchen müssen an einer HTL wesentlich robuster sein." Auch Niedermüller kann den gerne zitierten Geschlechtsunterschied im naturwissenschaftlich-technischen Verständnis nicht entdecken: "Vom Notenbild her sind die Mädchen ein wenig besser, weil sie fleißiger sind. Auffallend ist aber, daß Mädchen, die in der ersten Klasse schlecht abschneiden, sofort das Handtuch werfen und die Schule verlassen."

Niedermüller bringt ein - im frauen-spezifischen Kontext aufschlußreiches - Detail zur Sprache: Rund 12O erwachsene, meist bereits im Beruf stehende Personen strebten den HTL-Abschluß über die Abendschule an. Darunter seien nur drei Frauen. "Frauen kommen nicht in die Abendschule, weil sie niemanden haben, der ihnen daheim die Arbeit macht! Und die Männer sagen selbst, sie brauchen ihre Frau, die ihnen quasi den Rücken freihält, damit ER die Schule schafft."

Bei der Informatikerin Susanne Plainer und ihrem Gatten Michael Plainer lag der Fall genau umgekehrt: Michael Plainer hatte zwar eine Fachschule für Maschinenbau absolviert, arbeitete aber als Fahrlehrer, als er - in seiner letzten Fahrschülerin - seine spätere Gattin kennenlernte. "Sie sagte: ,Jammere nicht, wenn dir deine Arbeit nicht paßt, tu' etwas dagegen.' So habe ich habe ich mich mit bis zu elf Jahre jüngeren Mitschülern noch einmal auf die Schulbank gesetzt und den HTL-Abschluß gemacht." Was ohne die Unterstützung seiner Frau nicht möglich gewesen wäre.

Susanne Plainer "wollte schon immer Programmiererin werden", hat vor acht Jahren die HTL, Abteilung Elektronik, absolviert und arbeitet heute als Informatikerin. Wieder ist die zentrale Aussage: "Es hängt vom Typ ab! Wer sich nicht auf die Füße stellen kann, hat gegen das Rudel Burschen keine Chance." In ihrer Klasse hätte ein gutes Klima geherrscht, von seiten der Lehrer habe sie weder Bevorzugung noch Benachteiligung erfahren. Und wie schon ihre junge Kollegin Sabrina über die Burschen gesagt hat: "Sie waren auf eine liebe Art kindisch, nicht boshaft."

Auch Ingenieurin Plainer wurde in ihren Berufsplänen von den Eltern "immer unterstützt". Der Einstieg ins Berufsleben ging reibungslos vor sich. An ihrer ersten Arbeitsstätte, im Raiffeisen-Rechenzentrum, seien schon vor acht Jahren neben 30 Männern fünf Frauen angestellt gewesen. "Wenn jeder den anderen akzeptiert, dann funktioniert die Zusammenarbeit." Das Wichtigste: "Wenn man sich zu einer Arbeit berufen fühlt, soll man sie machen."

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