Werbung
Werbung
Werbung

Sommerfreuden eines Kärntner Dichters. von egyd gstättner

Jahrelang hat mich der Klagenfurter Fremdenverkehrsstadtrat traktiert, dass ich ihm den Text für seine neue Tourismusbroschüre formuliere, und stets habe ich mich standhaft geweigert (dabei habe ich Schubladen voller Wörtherseehymnen in meinem Schreibtisch. Aber ich lasse mich nicht als Werbetexter für Kommunalpolitiker missbrauchen) - bis ihm ein Germanist zugeflüstert haben muss, im gewaltigen Ruvre Robert Musils befände sich irgendwo auch das Verb spazierenschwimmen, wenn auch leider ohne Kontext, und Musil hat offenbar postum die Abdruckgenehmigung für sein solitäres Verb in diesem Prospekt erteilt.

Spazierenschwimmen kann man im Wörthersee tatsächlich, von Loretto nach Maiernigg wie früher Gustav Mahler oder eben im städtischen Strandbad von Brücke zu Brücke und Boje zu Boje wie ich, der ich eine regelrechte Spazierschwimmsucht entwickelt habe. Fünfzig bis sechzig Kilometer schaffe ich pro Saison. Dann bekomme ich Kreuzschmerzen und muss es bleiben lassen.

Genaugenommen muss ein Kärntner Dichter Kärnten verlassen, will er auch außerhalb wahr- und auf Dauer ernst genommen werden. Nur ist er dann eben kein Kärntner Dichter mehr und wird nie und nimmer die Melancholie empfinden und beschreiben können, wenn am 30. September schwere schwarze Wolken am Himmel aufziehen und das Strandbad für eine Ewigkeit geschlossen, nachgerade verbarrikadiert wird; nie die Euphorie und das kindliche Frohlocken, wenn es am Muttertag endlich, endlich wieder geöffnet wird. Dichten im Sommer ist Blödsinn: Was man in acht Monaten nicht dichtet, dichtet man in zwölf auch nicht. Jeden Tag, an dem ich nicht im oder wenigstens - und sei es nur für die Dauer einer Zigarette - am Wasser bin, ist ein verlorener, jedenfalls seelisch defizitärer Tag. Es ist mir mittlerweile völlig unvorstellbar, jemals in einer Stadt zu leben, die nicht an einem See liegt und von der aus kein Tagesausflug ans Meer zu unternehmen ist. Bevor ich das in Kauf nehme, verschiebe ich meinen literarischen Weltruhm lieber freiwillig auf die Nachwelt. Mich bringt kein Landeshauptmann von hier weg, mit welchen Unappetitlichkeiten und Drohgebärden auch immer. Bevor es soweit kommt, gehe ich lieber ins Wasser. Momentan hat es ohnehin 25°.

Dem Wasser entstiegen liege ich auf der sogenannten Mittleren Brücke des Strandbads, lese Sommer für Sommer drei, vier Wälzer großer Prosa (letztes Jahr etwa Zeno Cosini von Italo Svevo oder Sabbaths Theater von Philip Roth; heuer Elementarteilchen von Michel Houellebeqc oder die schönen langen Sätze von Javier Marías) und betrachte beim Umblättern mit interesselosem Wohlgefallen (Italo Calvino) die prächtigen Mädchen mit ihren glatten Häuten und knappen Bikinis, die über den Steg flanieren und stolzieren oder sich ganz draußen am Plateau in ihren azurblau-weißgestreiften Klappliegestühlen räkeln und relaxed die Modezeitschrift Joung Miss studieren, als könnten ihre Bewegungen überhaupt noch eleganter, ihre Körper noch delikater werden. (Wo kommen die bloß alle her? Wo sind die nur das ganze Jahr über?). Die schönste, anmutigste, stolzeste Frau ist der See selbst: Domina und Madonna, Heilige und Hetäre, femme fatale und Psychotherapeutin in einem: Ich weiß das besser als jeder, der nur ein paar Tage oder Wochen im Jahr hierher zum Relaxen, Wellnessen, Beachen oder Flirten kommt. Ich umgarne sie ja tatsächlich tagtäglich mit dem Fahrrad oder per pedes: Acht Monate lang lässt mich meine Geliebte warten, zappeln, schmachten, lockt mich, weist mich ab, zeigt mir die kalte Schulter, macht mir Hoffnungen, schöne Augen, lacht mich aus. Und wenn sie mich endlich lässt und ich sie besteige, in sie eindringe, bin ich nie der einzige! Im Gegenteil ist ihr Ufer fast zur Gänze im Besitz millionen- und milliardenschwerer Freier. Seit Gustav Mahler kann sich hier kein Künstler mehr eine Villa leisten. Gegen die Reichen und Schönen haben die Schöngeister und Geistreichen erst im Herbst wieder eine Chance.

Das Wasser meiner Geliebten ist übrigens eher grün als blau, und sie ist eo ipso völlig unpolitisch. Den starken Mann des kleinen Mannes habe ich hier auf der Mittelbrücke noch kein einziges Mal gesehen. Den überhand nehmenden Eventismus am See hätte ich zu meiner Sommerherrlichkeit gar nicht notwendig, weder eine Starnacht, noch einen Ironmentriathlon, noch eine Beachvolleyballweltmeisterschaft. Ich gehöre nicht zu den Tausenden, die sich stundenlang anstellen oder gar die ganze Nacht unter freiem Himmel vor einem im Nu herbeigezauberten (und ebenso rasch wieder abgetragenen) Strandbadstadion campieren, um anderentags Einlass zu finden, die akrobatischen Darbietungen knackiger Volleyballerinnen aus Brasilien, Tahiti und Haiti mit der sogenannten Welle zu bedenken, dem Stadionsprecher im Fünftausenderchor folgsam die Parole That`s the way, aha-aha, I like it! nachzuplappern und mich als Partikel der Tribünenmasse einmal pro Stunde von einem Feuerwehschlauch abspritzen zu lassen (all das subsumiert man unter südländischer Begeisterung), aber es stört mich auch nicht, und wenn es den Tourismus belebt: Gut.

Was die Seebühne am rechten Strandbadrand betrifft, wo gerade eine Musicaltradition ins Leben gerufen wird, kommt man schwer umhin, von einer seit Jahrzehnten verabsäumten und endlich verwirklichten Einrichtung zu sprechen und Jörg Haider als ihren eigentlichen Initiator zu nennen (nur darf man darüber nie vergessen, dass die restliche Kulturpolitik im Land das ganze Jahr über ausschließlich aus Chaos und Kaltstellung, Ächtung und Ausräucherung besteht). Intendant Dietmar Pflegerl hat vor der Bühne das Zitat des Evita-Autors Tim Rice plakatieren lassen: DIE EINZIGE BOTSCHAFT, DIE UNS AM HERZEN LAG, LAUTET, DASS EXTREMISTEN EINE GEFAHR FÜR DIE DEMOKRATIE DARSTELLEN, DIE UMSO GRÖSSER WIRD, JE ATTRAKTIVER SIE SIND. Viele Besucher übersehen diese politische Botschaft allerdings geflissentlich und lassen sich einfach arglos von "der großen, starken Frauengestalt Evita Perons" hinreißen. Tja, politische Bildung ist über ein Musical schwer zu bewerkstelligen.

Genauso diffus und widersprüchlich ist das Verhältnis zwischen Intendant und Landeshauptmann: Unverhohlene Aversion und doch recht einträchtige Vernunftehe wechseln beinahe täglich, je nachdem, wie es den jeweils eigenen Interessen gerade dient. Leicht entsteht da der Eindruck: Wer immer mit dem vorlauten Wahlkärntner kooperiert, macht sich auf Dauer zu seinem Hofnarren und Hanswurst. Nicht im mindesten opportun zu sein, kann sich gerade ein Künstler in dem Land nur leisten, der auch außerhalb des Landes wahr- und ernstgenommen, das heißt: bezahlt wird.

Die See allein ist auch noch über die rissige, von Gezeter und Gezänk durchwachsene Justamentidylle erhaben. Was auch immer kommt und vergeht, er ist und bleibt das Wahrzeichen: Nicht von ungefähr ist in Klagenfurt alles nach dem Wörthersee benannt, auch wenn es weit von seinem Ufer entfernt liegt: Das Fußballstadion Wörthersee etwa, der Flughafen Wörtheresee oder der Expresszug nach Dortmund. Vielleicht hätte ich mir längst einen Künstlernamen (oder wie es heißt: Den Namen der Gattin) zulegen und mich Egyd Wörthersee nennen sollen (klingt doch wohl wesentlich mondäner als C. L. Attersee zum Beispiel! Attersee! Lächerlich!) - , aber wenn postum dann doch noch eine Universität, ein Literaturhaus oder wenigstens eine Straße nach mir benannt wird und meine Nachwelt durch die Wörtherseestraße spaziert, kommt ja keiner auf die Idee, dass das ich bin.

Wenn es soweit ist (Josef Winkler - auch ein Strandbader), wäre eine Seebestattung à la König Artus mit Floß, Fackelpfeilen, Feuerwerk und Blumenschmuck sicher angemessen und noch romantischer als die Schiffsprozession in schwarzer Nacht zu Maria Himmelfahrt. Sit tibi aqua levis! Aber wahrscheinlich schon aus Umweltschutzgründen verboten.

"Seit Gustav Mahler kann sich hier kein Künstler mehr eine Villa leisten. Gegen die Reichen und Schönen haben die Schöngeister und Geistreichen erst im Herbst wieder eine Chance."

Egyd Gstättner

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung