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Autarkie in der Kunst
Die Beethoven-Konzerte der Wiener Philharmoniker haben in der Londoner Presse ein merkwürdiges Echo ausgelöst. Merkwürdig deshalb, weil es in scharfem Widerspruch steht zu dem Widerhall, welchen die Darbietungen des Wiener Orchesters beim englischen Publikum gefunden haben, merkwürdig auch durch die bei einer demokratischen Presse so seltenen Einmütigkeit. Freilich ist nur die übereinstimmende negative Tendenz der Londoner Pressestimmen herauszuhören. Darüber, was zu kritisieren sei, scheint keine Übereinstimmung zu herrschen. Die „Times“ erklären, es wäre Verschwendung, die Philharmoniker quer durch Europa nach London zu bringen, um sie Beethoven spielen zu lassen, dessen Werke auch auf dem Repertoire der großen britischen Orchester stünden. Auch zwei weitere Konzerte mit österreichischer Musik enthielten nichts, „was dem naivsten Besucher von populären Konzerten auch nur ein Wimpernzucken entlocken könnte“. „Daily Mail“ fragt, ob man von dem Wiener Orchester nie moderne Musik hören würde, und schließlich bemängelte man, daß die Philharmoniker mit dem sonst in England gern gesehenen und in Edinburgh bejubelten Dr. Furtwängler anstatt mit ihrem ständigen Dirigenten vor dem Londoner Publikum erschienen sind. Wozu nur festzustellen wäre, daß Wilhelm Furtwängler gegenwärtig der ständige Dirigent des Orchesters ist. — Das Londoner Publikum freilich hat anders reagiert: Wochen vor der ersten Veranstaltung waren sämtliche Konzerte ausverkauft, und wer Gelegenheit hatte, die Übertragung des ersten Konzerts aus der Albert-Hall im Rundfunk zu hören, konnte sich von einem minutenlangen, stürmischen Applaus selbst überzeugen. E er Herausgeber der „Times“ bekommt scharfe Zuschriften aus dem Leserkreis; eine lautet: „Ich bin sicher, es gibt viele…, die die Ansicht teilen, daß ihr Korrespondent sich auf dem Holzwege befindet. Keine Musik wird mehr genossen als Beethovens Werke, wie ein Blick in den Konzertsaal zeigte. Die Schnelligkeit, mit der die Sitze für die Konzerte verkauft wurden, zeigt, wie unrichtig die Bemerkung des Kritikers ist, daß es verschwenderisch sei, das Orchester, nur um Beethoven zu spielen, von Wien nach London zu bringen, und daß die Bemerkung, das Programm könne niemand interessieren, falsch sei.“
Dieser Kritik der Kritik ist kaum etwas hinzuzufügen. Höchstens das eine: während der vergangenen Spielzeit "hatten wir in Wien zahlreiche ausländische Solisten, Dirigenten und Orchester zu Gast, darunter auch englische. Ihre Leistungen waren denen unserer einheimischen Künstler nicht immer ebenbürtig. Doch sie wurden als Gäste mit Sympathie empfangen und fanden eine loyale Beurteilung. Sollte es in anderen Ländern andere Sitten geben? Ist etwa das Bessere der Feind des Guten? Und hat sich der Materialismus jetzt auch auf das Gebiet der Kunst erstreckt, wo man die einheimische Produktion durch Schutzzölle verteidigen zu müssen glaubt? Autarkie auch in der Kunst? Wir wollen es nicht wahrhaben. Und auch das faire englische Publikum gibt uns recht.
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