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BISCHOF D. GERHARD MAY / PROTESTANT IN ÖSTERREICH

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Protestantismus in Österreich: Schwere, oft schmerzliche Schicksale bilden seine Wege in vierhundert Jahren. Das festzustellen, geziemt gerade heute österreichischen Katholiken, die in diesen Februar-und Märztagen 1963 der Bürgerkriegssituation vor 30 Jahren und des „Anschlusses“ von 1938 gedenken. Wenn damals ein so bedeutender Teil des österreichischen Protestantismus im „deutschen“ Lager stand, dann war das nicht zuletzt eine Folge einer dreihundertjährigen Verfolgung, einer Verdrängung in den Kryptoprotestantismus in den Alpenländern, der Austreibung, wie sie Schönherrs „Glaube und Heimat“ erinnert. Österreichs Protestanten haben oft allzu lange in einem politischen Ghetto gelebt, das sie sich nicht selbst geschaffen haben ... Ernst und dankbar gedenken wir heute des Mannes, dem ein hohes Verdienst um die Herausführung aus diesem Ghetto zufällt. D. Gerhard May, der zweite Bischof der evangelischen Kirche in Österreich, ist am 13. Februar fünfundsechzig Jahre alt geworden. Allein diese Tatsache sollte bereits zu denken geben: Sein unmittelbarer Vorgänger, Dr. Hans Eder, war der erste evangelische Bischof in Österreich .. .

Gerhard May kommt selbst aus jenem Grenzraum her, in dem Konfession und Politik, Deutschtum, völkische Bewegung und Protestantismus seit langer Zeit vielfach verbunden waren: aus dem südstei-tischen Raum. Sein Vater war im Jahre 1900 von Graz als Seelsorger an die evangelische Gemeinde in Cilli berufen worden. Gerhard May besuchte in Cilli die Volksschule und das Gymnasium, studierte dann Theologie und Philosophie in Wien, Halle an der Saale und Basel. Der junge May wollte die akademische Laufbahn einschlagen. Die Erkrankung seines Vaters rief ihn in die Heimatgemeinde zurück, wo er als Vikar an dessen Seite trat und 1925 von der Gemeinde zu seinem Nachfolger gewählt wurde.

Der Pfarrer D. Gerhard May erwarb sich bald in der evangelischen Kirche in Jugoslawien Namen und Ansehen als Mitglied der Synode und in verschiedenen Führungsämtern. Als Mann der evangelischen Diaspora kam er in engen Kontakt mit dem Gustav-Adolf-Werk, aber auch bereits mit der Ökumenischen Bewegung, die auf evangelischer Seite zwischen erstem und zweitem Weltkrieg sich bedeutungsvoll zu entwickeln begann, mit starken Impulsen aus dem skandinavischen und angelsächsischen Raum. D. May nahm als Vertreter seiner Kirche an der Weltkirchenkonferenz in Oxford 1937 teil und war als geachteter Vortragender in Schweden, Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei sehr willkommen. Arbeit und Sorge in und um die engere Heimat, Seelsorge und geistige und theologische Mitarbeit in der evangelischen Weltkirchenbewegung bestimmen seinen Lebensweg. Der engeren und weiteren Heimat gilt sein Buch „Die Volksdeutsche Sendung der Kirche“, 1934, für das er 1936 den Ehrendoktor der Universität Heidelberg erhält, nicht jedoch die Hochschätzung des Nationalsozialismus.

Der Zusammenbruch der deutschen Fronten, 1945, bedeutet für den deutschsprachigen Protestantismus in Ost- und Ostmitteleuropa, aber auch für die evangelische Kirche in Österreich eine Katastrophe. Nicht nur eine politische Katastrophe, sondern in vielen Formen eine Kette von persönlichen Tragödien. Da gelingt es nun D. Gerhard May, der in der Kriegszeit bereits mit Kardinal Dr. Innitzer in gutnachbarliche Beziehungen gekommen war, die evangelische Kirche in Österreich zu reorganisieren, in einem vielfältigen Aufbauwerk. Die Eingliederung der Flüchtlinge, die Gründung von rund 50 neuen Gemeinden, der Bau von 88 neuen Kirchen spiegelt nach außen hin diese neue Zeit des Protestantismus in Österreich. Wichtiger noch für uns alle ist dies: Den am 26. Jänner 1949 einstimmig auf Lebensdauer zum Bischof der evangelischen Kirche A. B. in Österreich wiedergewählten D. May, der im September 1944 als Bischof nach Wien gekommen war, fällt das bedeutende Verdienst zu, den österreichischen Protestantismus politisch in Österreich beheimatet zu haben. Das neue Protestantengesetz von 1961, in jahrelangen Verhandlungen mit der Regierung erarbeitet, sichert auch rechtlich die staatspolitische Stellung der evangelischen Kirche.

Es war ein Herzenswunsch Doktor Friedrich Funders bei der Gründung der „Furche“ gewesen, daß über die Gräben, Gräber und Schatten der Vergangenheit hinweg österreichische Katholiken ein neues Verhältnis zu ihren protestantischen Brüdern fänden: Dr. Funder begegnete in Bischof D. May einem Partner, der ihm von der anderen Seite her entgegenkam. Das ist Vergangenheit, die nicht vergessen werden soll. Die Zukunft Österreichs wird nicht zuletzt auch davon abhängen, daß Katholiken und Protestanten sich in Österreich auf jenem positiven Weg weiter begegnen, den Gerhard May mitgeschaffen hat. In dieser Perspektive danken wir ihm heute und wünschen ihm ein reiches, gesegnetes Wirken in seiner Gemeinde, in unserem Staate, in der ökumenischen Bewegung seiner Konfession.

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