6755853-1967_45_08.jpg
Digital In Arbeit

Der beschwerliche Weg

Werbung
Werbung
Werbung

Die Gemeinde und der Mitmensch) sind ohne Zweifel für den Christen entscheidende Markierungen auf seinem Weg zu Gott. Denn Christ wird der Getaufte erst dann, wenn er sich von der Gemeinde der Glaubensgenossen und vom Mitmenschen anrufen und in Anspruch nehmen läßt. Wollte der Getaufte in. seinem Leben ohne brüderliche Gemeinde und ohne den Mitmenschen auskommen, würde er die christliche Botschaft verraten. Die Gemeinde ist nämlich der Raum, in dem der Getaufte als Bruder unter Brüdern existiert; die Mitmenschlichkeit, die Haltung, in der er sich täglich zu bewähren hat.

Es scheint, daß viele Getaufte, freilich nicht nur durch eigene Schuld, sondern auf Grund einer falschen Erziehung und eines einseitigen Unterrichtes, ohne den Mitmenschen und ohne die Gemeinde der Glaubensgenossen zu Gott kommen wollen. Dabei gibt es für den Christen keinen Weg, der unmittelbar zu Gott führt. Wollte er unmittelbar zu Gott gehen, so würde er für ein solches Unternehmen kaum eine christliche Legitimation erhalten. Nach der Bibel besteht kein Zweifel darüber, daß ein Versagen in der Mitmenschlichkeit durch nichts wettgemacht werden kann, auch nicht durch die Teilnahme am Kult.

Flucht in den Kult

Nicht selten ist bei den Katholiken der Kult eine Flucht in die Unmittelbarkeit zu Gott. Man möchte, ohne den beschwerlichen Weg über die brüderliche Gemeinde und über den Mitmenschen gehen zu müssen, zu Gott vordringen. Es ist vielleicht das größte Mißverständnis der Getauften unserer Tage, daß sie meinen, zur wirklichen Glaubens- und Heilserfahrung auch ohne die Brudergemeinde und ohne Miltmenschlichkeit im Alltag kommen zu können. Zum Sinnganzen des christlichen Glaubens gehören jedoch nicht nur Gott, der Einzel-mensch und der Glaubenssatz, sondern ebenso die Gemeinde der Glaubenden, die mitmenschliche Bewährung im Gemeindeleben und die Brüderlichkeit zum Mitmenschen.

Der Atomphysiker Karl Friedrich von Weizäcker sprach beim Evangelischen Kirchentag in Hannover die Überzeugung aus, daß die Christen den Weltfrieden nicht verwirklichen können, solange sie ihn nicht denken gelernt haben. Nicht nur den Frieden müssen die Christen

heute denken lernen, sondern auch die Bruderliebe und die Mitmenschlichkeit. Die Anthropologie gibt darüber Aufschluß, daß der Mensch ein Wesen der Kommunikation ist. Die ganze Tragweite dieser Aussage

muß auch in der Kirche erkannt und ins Leben umgesetzt werden.

Im Bruder Gott begegnen

Weil der Mensch auf Kommunikatdon angelegt ist, konnte es die Kommunikation des Logos mit den Menschen in der Inkarnation geben.

Diese Kommunikation ist auch der Grund, daß es Kirche geben muß, belehrt uns die Gegenwartstheologie. Von der Kommunikation des Menschen her werden auch die biblischen Bilder vom eschatolo-

gischen Reich Gottes, wie „Hoch-zeitsrnahl“, „neues Jerusalem“, „neuen Erde“, verständlich.

Diese Bilder besagen, daß jede Beziehung zu Gott das Verhältnis des Menschen zum Mitmenschen einschließt. Zum christlichen Glau-bensleben gehört also die Bruderliebe als die innere Dimension des Gemeindelebens. Die Bruderliebe bewirkt eine Veredlung und Überhöhung der menschlichen Kommunikation. Unsere Pfarrgemeinden jedoch sind leider meistens zu Gottesdienstgemeinden zusammengeschrumpft.

Die Verwirklichung der Bruderliebe in der Gemeinde geschieht durch amtliche und freie Dienste, die karitativ und durch zeitgemäße Formen des Gemeinschaftslebens sozial wirksam werden. Daher ist es notwendig, Organe und Einrichtungen zu schaffen, die im Dienst des

Bruders stehen. Leider sind wir in Österreich mit diesen Einrichtungen erst am Anfang.

Einsatz der charismatischen Dienste

Inländische und ausländische Beobachter des birchiichen Lebens in Österreich vertreten die Ansicht, daß das Anliegen „Gemeindebildung von der Bruderliebe her“ in den Pfarrgemeinden noch nicht angekommen ist. Die meisten von uns halten den Aufbau brüderlicher Gemeinden für bibeltheologische Utopie. Man muß froh sein, so kann man oft hören, daß ein Teil der Getauften überhaupt noch zum Gottesdienst kommt. Wenn man da noch die Leute für Dienste, wie Altendienst, Sozialdienst, karitative Dienste, Glaubensdienst, Jugenddienste und andere Pfarrdienste, reklamieren wollte, bestünde die Gefahr, daß viele sich überhaupt nicht mehr in der Kirche zeigen.

Der Abschied von der traditionellen und herkömmlichen Gottesdienstgemeinde fällt sowohl den Seelsorgern als auch den Gläubigen schwer. Man weiß, daß eine Umstellung des „Betriebes“ den Durch-schnittsgläubigen, der im allgemeinen konservativ eingestellt ist, verärgert.

Der Glaube an die Wirksamkeit der Gnadengabe des Heiligen Geistes in den Getauften und in der Gemeinde, die als Bruderschaft, als IJebesigemeinschaft gestiftet ist, erfüllt die Amtspriester nicht mehr, geschweige denn die Gläubigen. Theoretisch wird zwar geglaubt, daß dem Christen in der Taufe die Liebe eingegossen ist, die gnadenhafte Disposition für die Bruderschaft. Eine praktische und konkrete Verwirklichung dieser Disposition in der Gemeinde wird bezweifelt. Man will Seelen retten oder seine Seele retten lassen — übrigens die bequemste Form Pastoral zu betreiben oder sich als Christ auszuweisen. Dabei umgeht man die eigentliche Aufgabe, nämlich den Auftrag, brüderliche Gemeinden als Zeichen der Liebe Gottes in der Welt von heute aufzubauen.

Die ersten christlichen Gemeinden liefern den Beweis dafür, daß dort, wo die Liebe als Gabe des Heiligen Geistes wenigstens in einem Teil der Gemeindemitglieder lebendig ist, auch genug Geistesgaben und Dienstfähigkeiten blühen. Bruderliebe und Brüderlichkeit waren die missionarische Kraft der ersten Kirche. Wenn diese beiden Gnadengaben der christlichen Exi-stez wicht mehr das Gemeindeleben bestimmen, bleiben eine noch so imponierende Rechtgläubigkeit und eine noch so schöne Liturgiefeier ohne Frucht. Vielfach übersehen die Strategen der Pastoral und des Laienapostolates, daß das Zentraflproblem der innerkirchlichen Erneuerung die geistliche und die karitative Dynamik der Pfarr-gemeinden sind.

Gerade in unserer Zeit steht und fällt die Glaubwürdigkeit der Kirche mit dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Glaubensdienstes für die Mitglieder der Pfarrgemeinden und eines Bruderdienstes für die Alten. Kranken und Einsamen in der Gesellschaft von heute. Die amtlichen Dienste in der Kirche sind auf die Dauer nicht in der Lage, die charismatischen Dienste zu ersetzen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung