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Der Mythos des Halbgiganten

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Seit er tot ist, lebt er, wie nur Helden leben: wie Friedrich Barbarossa im Kyffhäuser lebt, wie Karl der Große im Untersberg lebt. Er lebt im Mythos. Er lebt im Herzen derer, die einmal sein herbes, verschlossenes Gesicht gesehen und seine Stimme gehört haben. Was tut's, daß wir dieses Gesicht nur auf der Leinwand des Kinos, seine Stimme nur aus dem Lautsprecher hörten? Das 20. Jahrhundert hat andere Formen und Möglichkeiten des Erlebens, andere Vorstellungen von Helden und Heldenverehrung als die vorausgegangenen. Was tut's? Einsamkeit und Sehnsucht des Menschen sind geblieben; und das Bedürfnis, sich mit einer großen, begnadeten Gestalt zu identifizieren. Die Jugend hat James Dean gesehen — und sie hat sich in ihm erkannt. Was sie empfand — er sprach es aus. Was sie erträumte — er spielte es vor.

Es gibt keinen Mythos ohne Wiederkehr. Friedrich Barbarossa wird wiederkehren, Karl der Große wird wiederkehren. Sie sind nicht tot, heißt es. Sie halten sich nur verborgen. Auch James Dean wird, so will's die Sage, wiederkehren. Millionen glauben es. Und Tausende verdienen daran.

James Dean hat sich nicht in ein Gebirge zurückgezogen. Die Mythen unserer Zeit sind nicht romantisch. Er soll in einem Irrenhaus leben. Nach einer anderen Version hält er sich in einem Sanatorium versteckt — bis seine Zeit wiederkehrt. Er soll durch den Unfall nur entstellt worden sein — daß er tot ist, scheint vielen seiner Anhänger einfach unmöglich. „Versteck dich nicht, Jimmy, Liebling“, schreiben sie an ihn, do Warner Brothers, „uns ist es gleich, wie du aussiehst.“ — Spiritisten behaupten, er sei ihnen erschienen. Sie gaben eine Broschüre heraus, betitelt: „Jimmy Dean wird wiederkehren.“

Das alles ist der Ausdruck einer „Verehrung", die so stark ist, daß sie ins Ekstatische und Irrationale umschlägt.

Sie wird entsprechend ausgenützt.

Ein James-Dean-Film wird hergestellt, in den bisher nicht gezeigte Aufnahmen, die für „East of Eden“ und „Giants “ gedreht wurden, eingeschnitten werden.

Findige Leute haben den Porsche Spyder, mit dem Dean verunglückte, gekauft. Für 35 Cents darf er besichtigt werden. Wer weitere 35 Cents zahlt, darf sich einmal auf den Sitz hinterm Lenkrad setzen, auf dem Dean saß. In sechs Monaten taten es 770.000. Die Nähe des Todes und des Mysteriums hat eine starke Anziehung.

Rund 8000 Briefe werden jeden Monat an den toten Dean gerichtet.

Mit Aluminiumstückchen, die angeblich von Deans Wagen stammen, wird eine Art Reliquienhandel betrieben.

In New York werden wöchentlich an die 70.000 Kopfkissenbezüge verkauft, auf die das Bildnis James Deans gedruckt ist.

Die Warner Brothers lassen 54 ausgewählte junge Burschen, die Dean „am ähnlichsten sehen“, auf ihre Kosten zu Schauspielern ausbilden. (Auch dies gleichsam ein mythisches Element: die „Zeugung“ von „Erben“ nach dem Tode.)

2.

Uns interessiert hier nur eine Frage: Wie kam es zu dem Phänomen James Dean? Wie konnte ein junger, hochbegabter Schauspieler eine derartige Bewegung — im Sinne von innerer Erschütterung und äußerem Trubel — hervorrufen? Wie entstand diese mythische Verehrung?

Die Antwort, daß alles nur Reklamerummel sei, scheint uns zu oberflächlich. Hier liegt, glauben wir. mehr zugrunde. Aber was?

Wir glauben, daß sich das James-Dean-Fieber auf zwei Ursachen zurückführen läßt. Die eine ist der Starkult, die Stellung, die der Filmstar heute in unserem Weltbild und in unserer Gesellschaftsordnung einnimmt und die sich äußerlich schon in den Stargagen ausdrückt. Die andere liegt in der Persönlichkeit Deans selbst beschlossen.

Diese beiden Ursachen sollen im folgenden analysiert werden.

3.

Star wird ein Schauspieler, der immer nur einen Typ verkörpert.

Um die Verehrung, die ein Star genießt, richtig zu verstehen, müssen wir kurz eine Parallele zwischen dem Star und dem Sportler ziehen.

Der Sportler ist ein Mensch, der imstande ist, auf der Skipiste, der Radrennbahn, dem Fußballfeld oder im Boxring Höchstleistungen zu vollbringen und andere zu übertreffen. Dort „gibt er sein Bestes“. Der Sportplatz, das Stadion, die Arena bieten ihm die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen, die latent in ihm ruhenden und ausgebildeten Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Sie sind sein eigentlicher Lebensraum.

Der Lebensraum des Stars ist der Film. Dort zeigt er, was er kann und was er ist. Die besonderen Qualitäten des Stars, die der Film offenbar macht, sind nur indirekt schauspielerischer Natur. (Wer nicht über ein Mindestmaß schauspielerischen Vermögens verfügt, wird auch im Film auf die Dauer unangenehm auffallen. Effektive darstellerische Nieten gehen schließlich auch dem dümmsten Besucher auf die Nerven.)

Die Qualitäten, um derentwillen der Star verehrt wird, liegen im Typus begründet, den er verkörpert. Der Typ kann gewandter, sicherer, erfolgreicher, witziger, stärker, seelenvoller (Schell) sein, aber auch zynischer, brutaler, hemmungsloser als der Durchschnittsbürger. Auf jeden Fall ist er eine „verdichtete“ Persönlichkeit mit einigen ausgeprägten, hervorstechenden Eigenschaften.

Es ist also nicht unbedingt richtig, wenn man sagt, der Star spiele „immer nur sich selbst“. Er spielt vielmehr sein Ueber-Ich, seine (im alltäglichen Leben) unausgeschöpften Möglichkeiten. Der Film gibt dem Star die Möglich

keit, sich selbst zu realisieren. Er ist die gesteigerte Lebensform eines zu Außerordentlichem berufenen Menschen.

Das Publikum identifiziert den Star nur teilweise mit der Rolle, die er jeweils spielt; doch will es ihn immer in bestimmten Rollen sehen. Es will ihn in den Rollen sehen, die seiner (des Publikums) Meinung nach mit dem „inneren Wesen“ des Stars übereinstimmen — Rollen also, in denen er dieses Wesen zeigen kann. In denen er lächeln, Herzen brechen, Fechten, Reiten, Schießen, Feinde niederschlagen kann - wie es ihm entspricht. Der Film ist also, recht bedacht, die Welt, die erfunden werden mußte, weil es auf einmal Helden gab, denen die Welt, in der wir leben, zu klein geworden war, um das potentiell in ihnen schlummernde Heldentum zu verwirklichen.

Erst wenn wir im Star die Persönlichkeit sehen, die die in ihr angelegten Eigenschaften nur im Film — oder vor allem im Film — realisieren kann, werden wir die Starverehrung verstehen.

Auch dem Wunsch, selbst zum Film zu kommen und Star zu werden, liegt die Sehnsucht zugrunde, in sich schlummernde Fähigkeiten ent

decken zu lassen und durch die Berührung mit dem Film ein Mensch höherer Ordnung zu werden.

4.

Ernest Hemingway, der alte, schlaue Fuchs im Ruderleibchen — wieder einmal zu einem aktuellen Thema interviewt —, sagte über James Dean: „Der Junge spielt mitten im Raum, er steigt von der Leinwand herunter zu den Zuschauern.“

Das erklärt schon viel von der faszinierenden Wirkung Deans. Es gab keinen Abstand zwischen ihm und dem Zuschauer. Er kam uns nicht nur räumlich, er war uns auch menschlich nahe. Es war leichter, sich mit ihm zu identifizieren als mit Clark Gable, Gary Cooper, James Stewart. Ihre oft starke und unbeugsame Haltung (man denke an High Noon) nachzuvollziehen, war nicht ohne weiteres möglich. Heldentum hat immer etwas Unnahbares. James Dean war kein Held. Er war einer von uns.

In den drei Filmen, in denen er mitwirkte, verkörperte er immer den gleichen Typ: den des beiseite geschobenen Außenseiters, der mißtrauisch und verschlossen ist, sich meist in einem Winkel hält und beobachtet. Er ist scheu, einsam, unsicher, hat Minderwertigkeitskomplexe und sehnt sich nach Liebe. Zugleich träumt er. davon, einmal alle anderen zu übertreffen, ihnen zu zeigen, was in ihm steckt. Nichts ist ihm so zuwider wie Mitleid (wie sehr rief er aber beim Zuschauer spontan Mitgefühl und Anteilnahme hervor!). Er will Achtung,

Anerkennung, Ruhm. Aber er will sie nicht geschenkt. Er will sie sich selbst erringen.

Am deutlichsten wurde das im Film „Giganten“. Die Giganten — das sind die anderen. Er träumt bloß davon, einer zu sein. Plötzlich, durch Zufall ebenso wie durch eigene Zähigkeit, wird er doch einer — den anderen zum Trotz. Aber er ist dem Gigant-Sein nicht gewachsen. Durch eigene Schuld zerbricht er alles wieder. Im entscheidenden Augenblick hat er eine Anwandlung von Schwäche, versagt — und ist erledigt. Er ist ein Halbgigant — halb Gigant und halb arme Haut, wie all die anderen, die da in ihren Lederwesten stecken und sich unverstanden fühlen.

James Dean ist neben Charlie Chaplin eine der wenigen echten Typen, die der Film hervorgebracht hat. Was aber bei Chaplin bewußte Leistung war, war bei Dean unbewußt da — auch wenn er ein eminenter Schauspieler war. Unsere Zeit hat sich in ihm wiedererkannt. Dean, der im Leben lange Zeit einsam und kontaktlos war (wie es in Dean-Biographien zu lesen ist), hat plötzlich die meisten Anhänger und Bewunderer: alle, die selber mit ihrem Leben nicht ganz fertig werden.

James Dean hat ihr Menschsein bloßgelegt, ihre Träume, ihre geheimen Wünsche und ihre Schwächen. Plötzlich braucht man sich dieser Wünsche und Schwächen nicht mehr zu schämen: Dean, der berühmte Dean, hatte sie auch!

Inbegriff alles Tagträumens: die Fahrt Deans im supermodernen, geschmückten Straßenkreuzer durch die jubelnde Menge — nie, glaube ich, ist im Film ein allgemeines Wunschbild direkter und primitiver in die Wirklichkeit übersetzt worden als hier. Und dann die beifallklatschenden Gäste im Festsaal, als Dean im Frack erscheint! Aber er weiß mit all dem nichts anzufangen. Es schmeichelt ihm, aber er bleibt einsam. In sinnloser Größe prangen die

Initialen seines Namens an der Stirnwand des Saąles. . .. jrfi

Die Traumerfüllung steht in unmittelbarer Verbindung zu seinem Versagen: er hat Angst, er hat zuviel getrunken, er verdirbt alles. Schon verfliegt alle Herrlichkeit wie ein grausiger Spuk

Die Eddie Constantines, die sich singend und schießend über die Leinwand bringen, sind nicht lebensfähig. So etwas gibt es in Wirklichkeit nicht. Die Menschen, die Dean verkörperte, dagegen waren von beklemmender Wirklichkeit — „Menschen wie du und ich“. Nur für Augenblicke wuchsen sie über uns hinaus, um wieder zurückzusinken in die Nacht. Aber die kleine Möglichkeit, die sich ihnen bot, aufzusteigen und über die anderen hinauszuwachsen, schien und scheint all denen, die sich mit Dean identifizieren — oft bis in Kleidung, Haarschnitt, Gehaben —, eine echte, erreichbare Möglichkeit, selbst ein bedeutender Mensch zu werden. (Während die Typen, die Eddie Constantine und Gary Cooper verkörpern, immer außerhalb ihrer Reichweite bleiben ( werden.)

5.

Nicht nur in seinem Leben, auch in seinem Sterben verkörperte Dean noch den Typ, den er nicht nur im Film spielte, sondern — Star aller Stars — wirklich 'war.

In einer Zeit der Technifizierung und Vereinsamung wird oft die Maschine zum besten Kameraden, zum Partner, auf den man sich verlassen kann. Man bekommt ein fast sinnliches Spannungsgefühl zu ihr. (Von Francoise Sagan, die unlängst mit ihrem Sportwagen verunglückte, wird berichtet, daß sie ihn immer bloß- füßig fahre — um „ihn besser spüren zu können“.)

Zugleich gibt der Sportwagen (oder die Rennmaschine) ein bisher unerreichtes Lebensgefühl, ein Empfinden von Freiheit, Leichtigkeit, Rausch, Macht, Wunscherfüllung — wie es nur große Geschwindigkeiten im Menschen hervorrufen.

James Deans große Leidenschaft war der Motorsport. Stundenlang raste er mit seinen „Lieblingsspielzeugen", Motorrädern und Sportwagen, durch die Gegend.

Mit 160 Stundenkilometern stieß er dann gegen ein anderes Auto. Er war sofort tot.

James Dean, was für ein seltsames Leben ührst du hier auf der Welt, seit du tot bist!

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