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Die fünfte Kolonne

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Spanien, Anfang Oktober 1936. Zwei Monate 6chon dauert der Bürgerkrieg. Von Süden, Südwesten, Westen und Nordwesten läßt General Franco seine Truppen gegen Madrid marschieren: insgesamt vier Kolonnen. Der Fall der Hauptstadt scheint unmittelbar bevorzustehen. In diesen Tagen tritt der Mitkämpfer Francos, General Emilio Mola, vor das Mikrophon. Er spricht von den Operationen der vier Kolonnen gegen Madrid. Den Angriff auf das Regierungsviertel werde jedoch eine fünfte Kolonne eröffnen; eine Kolonne, die bereits in Madrid sei.

Ein politisches Schlagwort war geprägt. Es ist bis in unsere Tage herauf nicht aus dem Verkehr gezogen. Es steht weiter für subversive Tätigkeit, für das Einschleusen von Agenten, ja von ganzen kampffähigen Verbänden hinter die Linien des Gegners. Lüge und Täuschung ist 6ein Inhalt. Verwirrung und Panik seine Begleiterscheinungen.

Insbesondere wurde die Tätigkeit von ..fünften' Kolonnen“ mit der Expansionspolitik des nationalsozialistischen Deutschland in Verbindung gebracht.

Hitler selbst bestätigte diese Vorstellungen der westlichen Demokratien von der Gefährlichkeit einer deutschen ..fünften Kolonne“ in einem seiner bekannten Tischgespräche, die Hermann Rauschning aufgezeichnet hat. Dem Gauleiter , von Danzig, Forster, gegenüber bekannte der deutsche Diktator:

„Wenn ich Krieg führe, Vorster, dann werde ich eines Tages mitten im Frieden etwa Truppen in Paris auftreten lassen. Sie werden französische Uniformen anhaben. Sie werden am hellen Tag durch die Straflen marschieren. Niemand wird sie anhalten. Alles ist bis auf das kleinste vorbereitet. Sie marschieren zum Generalsgebäude, sie besetzen die Ministerien, das Parlament. Binnen wenigen Minuten ist Frankreich, ist Polen, ist Österreich, ist die Tschechoslowakei seiner führenden Männer beraubt. . . Die Verwirrung wird beispiellos. Aber ich stehe längst auch mit Männern in Verbindung, die eine neue Regierung bilden. Eine Regierung, wie sie mir paßt. . . Heute glauben sie das nicht, meine Herren. Aber ich werde es durchführen; Zug um Zug . . . Uns hemmt keine Maginotlinie. Unsere Strategie ist. Forster, den Feind von innen zu vernichten, ihn durch sich selbst besiegen zu lassen. (H. Rauschning, „Gespräche mit Hitler“. London 1959. S. 17-lF) ““““

Also sprach Adolf Hitler. Und die Welt glaubte ihm bald. Mußte ihm glauben. Die Methoden, mit denen Österreich bezwungen und die Tschechoslowakei aufgelöst und besetzt wurde, entsprachen in allen Details jenem Rezept. Mit der Macht Adolf Hitlers aber wuchs der Ruf der „fünften Kolonne“ des nationalsozialistischen Reiches.

Was war nun an diesem Wort Realität, was Mythos?

, In dem vorliegenden Buch bemüht sich der bekannte holländische Historiker und Direktor des Reichsinstituts für Kriegsdokumentation um eine Antwort auf diese mehr als einmal schon gestellte Frage. Die vielfach von der Furcht diktierten Äußerungen werden in allen deutschen Feldzügen der Wirklichkeit gegenübergestellt. Louis de Jong — Holländer und Mann der Resistance — steht außer Verdacht, beschwichtigen und beschönigen zu wollen. Um so wertvoller ist sein Urteil, daß es vielleicht der größte Erfolg ohne Zweifel der tatsächlich vorhandenen „fünften Kolonne“ von deutschen Spionen und Saboteuren war. die Furcht vor ihr immer wieder bis zur heillosen Verwirrung gesteigert zu sehen. „General Panik“ aber arbeitete dann stets um so besser für Hitler.

Den unter immer gleichen Begleitumständen stattgefundenen Ausbrüchen von Massenhysterie stellt de Jong in einem zweiten Kapitel die tatsächliche Aktivität der „fünften Kolonne“ im Dienste Hitlers entgegen — soweit der Krieg im Dunklen überhaupt aktenkundig erfaßt werden konnte. In einem dritten Kapitel schließlich macht der Verfasser einen raschen Exkurs zurück bis in die Tage der Französischen Revolution und untersucht in einer brillanten Studie den Nährboden in der Massenpsyche, aus dem Schreckgespenster von einer allgegenwärtigen übermächtigen „fünften Kolonne“ emporstiegen — mochte man sich dieses Wortes auch noch nicht bedienen.

Die Lehren von de Jongs Untersuchung jenseits der Aufklärung über eine bestimmte Epoche, die der Vergangenheit angehört? Wachsamkeit und Nüchternheit sind noch immer die besten Ratgeber: Selbst im Angesicht einer großen Gefahr. Gerade in ihr. Wer bei dem Hufgeklapper eines einzelnen Gaules schreckgebannt schon die ganze trojanische Kavallerie in Attacke wähnt, wird zermalmt werden. Um mit .unserem, von dem Rezensenten wenig geschätzten, Landsmann Adolf Hitler zu schließen: So oder so.

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