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DR. SCHOBERN JU / EHRENOSTERREICHER AUS FORMOSA

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„Alle Doktoranden mußten damals mit ,Heil Hitler!' grüßen, ich machte nur eine tiefe Verbeugung“, erinnert sich der bevollmächtigte Minister und Leiter der nationalchinesischen Delegation bei der Internationalen Atomenergiekommission, Universitätsprofessor Dr. Schobern Jü, an seine Promotion zum Doctor iuris im eben nationalsozialistisch gewordenen Wien des Sommers 1938.

Nach fast drei Jahrzehnten ist Minister Schobern Jü nun wieder nach Wien zurückgekehrt, in jene Stadt, in deren Polizeikorps der chinesische Polizeioffizier Jü von 1930 bis 1934 zusammen mit neun anderen Kameraden — von denen nur vier den chinesischen Bürgerkrieg überlebt hatten — Dienst versehen hat. „Ich machte Wachzimmerdienst, Verkehrsdienst, Streifendienst — kurz, ich erhielt die Ausbildung, die jeder österreichische Sicherheitswachmann damals mitmachte.“ Der Ruf der Wiener Sicherheitswache, der sogar Chinas Innenminister bewog, zehn seiner besten Offiziere zur Erweiterung ihrer Ausbildung nach Österreich zu senden, ist nicht zuletzt Wiens damaligen Polizeipräsidenten Doktor Johann Schober zu danken gewesen, dessen Namen der junge chinesische Polizeioffizier aus Verehrung angenommen hat.

Zwei Jahre Polizeischule, zwei Jahre Polizeiakademie — dann reisten neun der chinesischen Offiziere wieder in die Heimat zurück. Schobern Jü blieb in Wien, inskribierte an der juridischen Fakultät der Universität und promovierte schließlich —

mit erwähnter demonstrativer Verbeugung — zum Doktor der Rechte.

Am Aufbau der chinesischen Polizei maßgeblich beteiligt, wird Dr. Schobern Jü knapp nach Kriegsende Polizeivizepräsident von Schanghai, bald darauf Präsident. Sechs Millionen Einwohner — darunter tausende Flüchtlinge, unter ihnen viele Österreicher — zählte damals die Stadt, eine Polizeimacht von 30.000 Mann stand Dr. Schobern Jü zur Verfügung. „Ich wurde damals Ehrenmitglied der österreichischen Vereinigung in Schanghai“, erzählte der Minister, Ehrenösterreicher als Dank für die Hilfe, die er den verzweifelten Flüchtlingen angedeihen ließ. Im Mai 1964 erinnerte sich auch das offizielle Österreich seiner und ehrte ihn durch eine hohe Auszeichnung.

Dreieinhalb Jahre, bis zum Rückzug, blieb Dr. Schobern Jü auf seinem Posten. 1949, auf Formosa, wurde er, nach kurzer Tätigkeit als Staatssekretär für Justizwesen, Rechtsanwalt und Professor an verschiedenen Hochschulen des Landes.

Die nächsten Jahre führten Dr. Schobern Jü immer wieder nach Europa, so 1962 als „visiting professor"nach Deutschland und — Dr. Schobern Jü ist inzwischen auch Generalsekretär des österreichisch-chinesischen Kulturverbandes geworden — nach Wien. „Da hatte ich gleich Gelegenheit, die Polizisten von heute im Dienst zu beobachten. Polizeipräsident Holaubek stellte mir nämlich das Gästezimmer der Roßauerkaserne zur Verfügung.“ Seit 4. August ist Doktor Schobern Jü als bevollmächtigter Minister seines Landes in Wien. Ein chinesischer Minister namens Schober — seltsamer Brückenschlag zwischen zwei Ländern, die so wenig und zugleich so viel gemeinsam haben, ein Brückenschlag, der sich nicht nur in der Tätigkeit zahlreicher Österreicher auf Formosa oder in der prompten Anerkennung der zweiten österreichischen Republik durch Nationalchina zeigt, sondern ein Brückenschlag, der tiefer geht. Denn Minister Schobern Jü meint — und hat da vielleicht gar nicht so unrecht —: „Ich wüßte kein anderes Land, in dem ich — außer in meiner Heimat natürlich — leben wollte und könnte.“

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