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Die erste Fronleichnamsprozession

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Am Donnerstag, den 31. Mai fand von der Rochuskirche aus die Fronleichnamsprozession statt. Ich lud den Ortskommandanten, den ich ja um die Erlaubnis ersuchen mußte, hiezu ein. Zu meinem Erstaunen sagte er bereitwilligst sein Kommen zu. Ich ließ ihn durch ein Ehrenkomitee am Kirchentor empfangen und ins Chorzimmer führen, wo man das auf die Hauptstraße gehende Fenster mit einem Teppich ausgelegt hatte. Von dort verfolgte er interessiert den Auszug des Allerheiligsten und die Prozession. Ich schritt hinter dem Himmel, neben mir der Polizeichef Oberst Steppan und Oberintendant Wanicky.

Am Sonntag, den 3. Juni, im Morgengrauen, war das 5. österreichische Freiheitsbataillon hier im Bezirk eingetroffen, das ich im Palais Stoneborough in der Kundmanngasse einquartieren ließ. Das Palais befand sich in einem furchtbaren Zustand, da während des Krieges dort ein Wehrmachtslazarett untergebracht war und eine weitere Beschädigung gar nicht mehr möglich gewesen wäre. Trotzdem hat mir deshalb später Mr. Stoneborough schwere Vorwürfe gemacht. Mir war aber keine andere Wahl möglich gewesen, wollte ich die wenigen Klassenzimmer in den zu Flüchtlingslagern umgewandelten Schulen des

Bezirkes nicht auch dem notwendigen Unterricht entziehen, war doch damals sogar das Rudolfsspital, die Bundeserziehungsanstalt, das Sacre coeur und so weiter noch von den Russen besetzt. Im Laufe des Vormittags besuchte ich die angekommene Truppe, ließ sie antreten, hielt dann eine Ansprache, in der ich allen, die nicht in ihre Heimat zurückkehren wollten, die Übernahme in das neue Polizeikorps in Aussicht stellte. Mit dem Bataillonskommandanten Spitz und dessen Stellvertreter Wiesinger fuhr ich dann ins Staatsamt für Inneres in der Herrengasse, wo ich sie dem Staatssekretär Honner vorstellte.

Großes Interesse hatte der Ortskommandant dafür, daß Theater und Kinos raschestens ihre Tätigkeit wiederaufnehmen. Das Bürgertheater hatte, wie ich schon berichtet habe, am 1. Mai sein Debüt gefeiert.

Auch für die Druckereien interessierte sich die Kommandantur lebhaft. Nur einer einzigen war der Betrieb gestattet, und zwar der „Elbemühl“. Alle anderen mußten gesperrt werden und wurden streng überwacht. Sämtliche Plakate mußten vor Drucklegung dem Kommandanten zur Zensur vorgelegt werden, zu welchem Zwecke ich sie von meinem Dolmetsch Wasicek übersetzen ließ. Die Plakate waren in der ersten Zeit, wo es noch keine Zeitung gab, die einzige Möglichkeit,die Bevölkerung über die Ereignisse, die von der Kommandantur angeordneten Maßnahmen über Lebensmittelbezug, Verdunkelung, Ausgehzeiten, Wohnungs- und Möbelangelegenheiten, Legitimationskarten, Gesundheitswesen, Fuhrwerkswesen und so weiter in Kenntnis zu setzen. A^f Grund eines Plakates konnte ich vielen Landstraßern ihre in der Teppichaufbewahrungsanstalt in der Ungargasse befindlichen Teppiche retten. Die Kommandantur hatte das dortige umfangreiche Lager entdeckt und begann mit dem Abtransport. Es gelang mir, unter Hinweis, daß es sich zum größten Teil um politisch einwandfreie Eigentümer handle, beim Kommandanten eine vierundzwanzigstündige Frist durchzusetzen. Ich mußte daher sofort Plakate drucken lassen und das Aviso auch in das im Rathaus von dem damaligen Redakteur der Rathauskorrespondenz, Riemer, herausgegebene Amtsblatt einrücken lassen. Eine weitere Fristerstreckung von 24 Stunden gelang, so daß die Teppiche zum größten Teil gerettet wurden. Die in Schlangen angestellten Landstraßer brachten mir, als ich vorbeiging, spontan eine Ovation dar.

Mitte Juni begann sich der Behördenapparat in der Bezirksvorstehung allmählich wieder einzuspielen. Die Beamten hatten sich zum Großteil wieder eingefunden, so Obermagistratsrat Dr. Kerschbaumer, der die Kanzleigeschäfte übernahm, Frau Dr. Kapinus die rechtlichen Agenden, Dr. Ganglbauer das Wohnungsamt, Amtsrat Schlerka das Marktamt und so weiter. Ich hielt engen Kontakt mit Stadtrat Slavik vom Wohnungsamt in der Bartensteingasse und Stadtrat Fritsch wegen der Großmarkthalle, zu Bürgermeister Körner, selbst Landstraßer, zu Polizeipräsident Pammer, Generaldirektor Dr. Kaan von den Bundesbahnen. Sie besuchten mich wöchentlich, ein jeder hatte irgendwelche Anliegen. Selbst aus anderen Bezirken kam man, und meinte Sekretäre hatten alle Hände voll zu tun, den Ansturm wenigstens teilweise von mir abzuhalten. Noch heute treffe ich manchmal jemanden, der mir sagt, daß er zu mir nicht vordringen konnte!

Am 15. April erschien „Die österreichische Zeitung — Frontzeitung für das österreichische Volk“ mit dem Aufruf Marschall Tolbuchins, des Befehlshabers der 3. ukrainischen Front. Das „Neue Österreich“, das Organ der demokratischen Einigung, kam am 23. April heraus. Ab 29. April ertönte wieder das vertraute Pausenzeichen von Radio Wien.

Viel später erschienen andere Blätter: Am 1. August „Das kleine Volksblatt“, am 27. August der „Wiener Kurier“, herausgegeben von den amerikanischen Streitkräften, und am 19. September die „Weltpresse“, herausgegeben vom britischen Weltnachrichtendienst.

Das Burgtheater eröffnete im Ronacher am 5. Mai mit einer Nachmittagsvorstellung, dem „Mädel aus der Vorstadt“, die Staatsoper in der Volksoper am 3. Mai um 15 Uhr. Es folgten das Theater in der Josefstadt mit dem „Hofrat Geiger“ und das Raimundtheater mit dem „Drei-mäderlhaus“.

Der Eisenbahnverkehr nach Wiener Neustadt, St. Pölten und Tulln wurde am 5. Mai wiederaufgenommen. Ab 24. Mai gab es auch wieder die „Rettungsgesellschaft“, bis dahin hatte ich einen Fiaker im Bezirk mit dieser Aufgabe betraut gehabt. Die größte Erleichterung brachte die am 25. Mai angeordnete Aufhebung der Verdunkelungsvorschriften, als deren Folge dann der Bevölkerung das Ausgehen von 4 bis 22 Uhr gestattet wurde. Am 13. Juni übernahm die Polizeidirektion Wien den Polizeidienst in den Bezirken. Als erstes größeres gesellschaftliches Ereignis ist der Festempfang in der Hofburg zu Ehren von Moskauer Künstlern zu verzeichnen, bei dem einzelne Besucher allerdings unangenehm überrascht wurden, da sie beim Verlassen des Festes die Garderobe nicht mehr vorfanden...

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