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Einaudi

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Es ist ein Kompliment für die Vorurteilslosigkeit der italienischen Volksvertretung und eines der Paradoxa, an denen unsere Zeit nicht arm ist, daß in das höchste Amt der jungen italienischen Republik ein erklärter Monarchist gewählt wurde, der noch vor zwei Jahren, anläßlich des Referendums über die Beibehaltung der Monarchie in Italien, auf das bestimmteste in seinen Publikationen gegen die Umgestaltung Italiens in eine Republik eingetreten ist.

Der jetzt 74jährige Piemontese Luigi Einaudi stammt aus bescheidener Famili er ist Sohn eines Steuereinhebers —, ging zu den Padres in Savona zur Schule und erwarb in Turin das Doktorat der Rechte. Seine Vorliebe galt Fragen der Finanzwissenschaft und Nationalökonomie, seine Berufspläne richteten sich auf Journalismus und Lehrberuf. Seine künftige Karriere wurde durch den Entschluß bestimmt, in die Redaktion der Turiner „Stampa’ einzutreten, er opferte dafür zwei Angebote, Universitätslehrkanzeln zu übernehmen. Gleichzeitig nahm er eine Stelle an einer Turiner Mittelschule an, die er später mit der Lehrkanzel für Nationalökonomie in Turin vertauschte. Das Ordinariat für Finanzwissenschaft an der Turiner Universität behielt er durch 43 Jahre, während er von den Lehrkanzeln am Politechnikum und der katholischen Universität Mailand während der faschistischen Herrschaft auf Grund seiner kompromißlosen Ablehnung des Faschismus entfernt wurde.

Die späterhin bedeutende Tageszeitung „Stampa” saß noch in vier kleinen Zimmern, als Einaudi in ihren Stab eintrat. Eine Zeitung hatte damals noch nicht die Physiognomie des großen Unternehmens, der Redakteur hatte nicht seine Nerven am Telephon zu verbrauchen. Ein ordentliches Blatt hatte sechs Redakteure, die sich paarweise den Turnus gaben, um Telegramme und Mitteilungen der „Agenzia Stefani” auszubauen.

Einaudi war durch einige Jahre Redakteur, ernst und einsilbig, ein methodischer Arbeiter mit brillantem Gedächtnis für Daten, Ereignisse, Zahlen und Bilanzresultate. Durch zehn weitere Jahre blieb er Mitarbeiter des Blattes und ging dann 1902 zum „Corriere della Sera” als Spezialist für Fragen der Politik und Finanz über. Unter Benedetto Croces Manifest steht auch seine Unterschrift. 1919 wurde er Senator (Mitglied des Oberhauses) und behielt diese Stellung bis zum Beginn der letzten Phase des Faschismus. In der ersten Zeit war er einer der aktivsten Senatoren, aber seit 1924 hüllte er sich in Schweigen und ging nur mehr zu den Sitzungen, um gegen die Regierungsvorlagen seine schwarze Kugel zu werfen. Einaudi ist ein zäher Mann. Als nach dem Fall des Faschismus zum erstenmal wieder seine Unterschrift im „Corriere” zu lesen war, überschrieb tr diesen ersten Artikel nach zwanzig Jahren Schweigen: „Here dice- bamus” — „Wir sagten gestern”.

Eine lange Reihe von Veröffentlichungen,Studien, Abhandlungen, die nach und nach auch den Ruf Einaudis als hervorragenden Fachmann ins Ausland trugen, erschienen mit seiner Unterschrift. Aber so wie Rossini seine Kunst, Salate zu bereiten, hoch über seine Kompositionen schätzte, und wie sich Mascagni viel lieber als tüchtiger Spieler der „Scopa”, einer Art Tarock, rühmte und von seiner „Cavalleria” wenig Aufhebens machte, ebenso ging Einaudis geheimer Ehrgeiz dahin, ein Stück Erde selbst zu bebauen.

Durch eiserne Sparsamkeit und ein spartanisches Leben erwarb er sich nach und nach einen Besitz von 300 Morgen, der nun eine praktische Lektion in Wirtschaftskunde darstellt. Diesem Besitz in Dogliani widmete er auch ein ganzes Buch, eine „wirtschaftlichagrarische Monographie”. Er ist über die Auszeichnungen, die er sich als Landwirt erwarb, fast stolzer als über seine politischen Erfolge, und bis zu seinem Eintritt in das Kabinett Degasperi verbrachte er jährlich mehrere Monate dort, die er Studien und manueller Arbeit widmete. Einaudj ist auch Bücherliebhaber, hat sich nach und nach eine Bibliothek von 20.000 Bänden angesammelt, mit Werken über Finanz, Wirtschaft, Geschichte, darunter vielen Erstausgaben.

Nach dem italienischen Waffenstillstand am 8. September 1943 flüchtete Einaudi trotz seines Fußleidens zu Fuß in die Schweiz. Er ließ sich in Basel nieder, schrieb, hielt Vorträge und nahm mit anderen Geflüchteten Verbindung auf. Nach der Eroberung Roms durch die Alliierten sollte er Botschafter in Washington werden, wurde aber dann zum Govematore der Banca d’Itaüa ernannt.

Italien machte seit 1945 nicht durchwegs gute Erfahrungen mit Politikern, die, nur ulm der Politik willen und mit keinen sonstigen Fachkenntnissen belastet, regieren wollten. Nennis Devise „Politique d’abord — zuerst die Politik!” neigte dazu, zu dogmatischen Don-Quijoterien auszuarten. Es erhob sich daher immer mehr die Forderung ,-Tecnici al governo! — Fachleute in die Regierung”. So erfolgte Einaudis Berufung als Minister upd nun als Präsident.

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