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Entzauberung der „Papisten“

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Seit 1850, als die katholische Kirche in England ihre Freiheit wiedergewann, hat sie dem englischen öffentlichen Leben mehrere große Persönlichkeiten geschenkt. Es genügt, wenn wir die Namen der Kardinale Newman und Wiseman, des Historikers Lord Acton, der Schriftsteller G. K. Chesterton, Hilaire Belloc, Evelyn Waugh, Graham Greene und des Staatsmannes Lord Hailsham erwähnen.

Nachdem sich die Kirche schon einen bedeutenden Anhang unter der Elite herangezogen hat, muß sie heute darauf aus sein, ihren Einfluß auch auf den Durchschnittsengländer zu erstrecken. Was einer Gründung wie dem Challoner Club, benannt nach dem großen englischen Bischof Challoner im letzten Jahrhundert, eine besondere Bedeutung verleiht, ist gerade die Tatsache, daß man dort beobachten kann, wie sich Männer und Frauen katholischen Glaubens in typisch englischer Art und Weise benehmen und unterhalten. Der nichtkatholische Engländer, der sich gelegentlich als Gast in den Klub begibt — da der Klub in der Stadtmitte Londons, in dem eleganten Chelsea gelegen ist, kann so etwas ganz leicht Vorkommen —, muß den Eindruck bekommen, daß „die verfluchten Papisten" letzten Endes doch ganz gewöhnliche Menschen sind, „wie wir auch".

Warum ist es so wichtig, daß die nichtkatholischen Engländer diesen — im großen und ganzen selbstverständlichen — Eindruck gewinnen? Einmal, weil in England, wie übrigens auf der ganzen Welt, viele Nichtgläubige vermuten, daß die Katholiken Tag und Nacht in ständigem Gebet zwischen Himmel und Erde schweben und daher den Realitäten wie den Freuden des alltäglichen Daseins ewig fremd sind.

In England gibt es überdies noch solche, die noch immer den Verdacht hegen, daß die Katholiken im Grunde unenglisch sind, die englische Lebensweise verpönen und, wenn sie unter sich sind, nicht Besseres zu tun haben, als sich gegen dip Königin und das Vaterland zu verschwören.

Es muß deshalb eine erfreuliche Erfahrung für beide Gruppen sein, wenn sie im Challoner Club entdecken, daß die „Papisten“ Englands zwischen zwei Kirchenbesuchen zuweilen auch essen find1 trinken, Sport betteiben (im Rahmen des Challoner Clubs' kann Inan auch Rugby spielen und Motor fahren) und ins Theater gehen, Karten spielen, ja sogar auch singen und tanzen. Diese Tätigkeiten machen ihnen offenbar mehr Spaß, als etwa den Sturz des britischen Weltreiches oder die Unterwerfung Englands unter den Vatikan vorzubereiten.

Gewiß ist damit nicht gemeint, daß der Challoner Club nur ein Schaufenster „katholischen Lebens englischer Art“ wäre. Im Gegenteil, der Klub entstand aus dem Bedürfnis der jüngeren Katholiken, einen angenehmen Treffpunkt zu haben, wo sie in echt englischer Umgebung mit ihren Glaubensgenossen beider Geschlechter Zusammenkommen können. In England, wo die Katholiken nur 10 Prozent der Bevölkerung betragen, ist es wesentlich, daß die jungen Leute, die katholisch heiraten wollen, eine entsprechende Möglichkeit haben, um zwanglos in feiner Umgebung zusammen zu kommen und ihren Bekanntenkreis zu erweitern.

Dieser Umstand erklärt auch den schnellen Erfolg des Challoner Clubs, einer typischen Nachkriegserscheinung. Der Klub ist ęrst acht Jahre alt, zählt jedoch bereits über 3700 Mitglieder, die jährlich zwei Guineas Beitrag zahlen. Die Zahl der Mitglieder, die nötig ist, den Klub finanziell fest zu begründen, wird mit 5000 angegeben, eine Ziffer, die, wie die Lage heute aussieht, bald erreicht sein wird.

Als ich Herrn Obersten T r i g g s, den ausgezeichneten Sekretär des Klubs, fragte, ob die vorhandenen Räumlichkeiten — zwei nebeneinanderstehende vierstöckige Wohnhäuser, 59 und 61 Pont Street — für eine noch größere Mitgliedschaft ausreichen würden, meinte der „Colonel“, daß man durch die allmähliche Verlegung der Tanzveranstaltungen aus dem Klub viel Platz gewinnen würde.

Nicht etwa, daß man aufhörte zu tanzen! Im Gegenteil, wiederholt werden in einem hübschen Saal nebenan, bei der Marienkirche, vom Challoner Club Tanzvergnügen veranstaltet, wo sich die tanzlustigen Mitglieder nach Herzenslust amüsieren können, ohne dabei die gewöhnlichen Klubfunktionen in den Hauptgebäuden zu stören.

Einige Mitglieder des Challoner Clubs haben schon seit langem Sonntagabends einen Tanzverein im Keller einer anderen Kirche in der

Nähe von Picadilly Circus veranstaltet. Dieses Unternehmen — „4 B’s“, abgekürzt von „F o u r Bachelors“, d. h. vier Junggesellen — wird zwar von Mitgliedern des Challoner Clubs geleitet und besucht, hat jedoch offiziell mit dem Klub nichts zu tun. Einer der „vier Junggesellen“, von denen der Name stammt, ein Journalist, ist nicht einmal ein regelmäßiges Mitglied im Challoner Club, da er Protestant ist — ein Protestant, der aber gesellschaftlich eine katholische Atmosphäre bevorzugt.

Unter einer alten Kirche in der Warwick Street — einer der ältesten katholischen Kirchen in London, die während der Verfolgungen der portugiesischen Gesandtschaft als Kapelle diente — im Keller, wo Freitag die „Legio Mariae“ ihre Sitzungen abhält, wird am Sonntagabend getanzt. Ja, das katholische Leben in England wird „modern“ und „angelsächsisch“.

Zwar dient der Challoner Club hauptsächlich englischen Katholiken als Treffpunkt, aber es werden dort auch Glaubensgenossen von anderen Ländern aufgenommen. Manchmal sieht man natürlich auch deutsche Besucher, obwohl im allgemeinen die deutschen Katholiken, die in London leben, ihre eigenen Vereine — für Frauen St. Lioba in Cricklewood und für Männer St. Bonifazius im Eastend — bevorzugen.

Allerdings, „katholisch“ heißt „alle umfassen“, und der Challoner Club trägt durch die verschiedenen Vorträge, Diskussionen, Unterhaltungsabende, Ausflüge und andere Veranstaltungen von internationalem Interesse dazu bei, die sich bereits im Rückzug befindlichen Isolationstendenzen im englischen öffentlichen Leben endgültig zu beseitigen.

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