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In der Stadt der tausend Versuchungen

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Hongkong ist schon seit langem ein wichtiger Mittelpunkt der Missionstätigkeit in Sjidchina. Die Bedeutung der Stadt ist seit der kommunistischen Machtergreifung auf dem chinesischen Festlande nur noch gestiegen, da heute das britische Hongkong und das portugiesische Macao zu kühnen Bollwerken des Christentums in dem vom neuen Heidentum überfluteten Ost- asien geworden sind.

In Hongkong haben sich bereits 700.000 Flüchtlinge aus dem roten China niedergelassen. Viele sind in Notlagern, manche sogar in nagelneuen Mustersiedlungen, wie in den in Terrassen angelegten „Wesley Village" am Abhang eines Hügels in der Nähe der Stadtmitte, untergebracht worden. Sehr viele jedoch leben immer noch in armseligen Holzhütten ohne Wasserleitung und Kanalisation. Da sich laut offizieller Schätzung monatlich noch immer ungefähr 10.000 weitere Flüchtlinge in die Kolonie einschleichen, wird ihre Gesamtzahl bei einer Bevölkerung, die nicht ganz drei Millionen beträgt, bald die Million erreichen.

Unter solchen LImständen kann die Kirche ihre Tätigkeit nicht auf die Seelsorge allein beschränken, sondern muß die Zivilbehörden bei der Betreuung der Flüchtlinge energisch unterstützen. Die Arbeit der M a r y k n o 11 -Patres und -Schwestern wird in dieser Hinsicht ganz besonders gerühmt, da sie den Flüchtlingen wie auch den zahlreichen Typhonbeschädigten immer liebevoll und erfolgreich beistehen.

Die katholische Caritas in Hongkong erstreckt sich jedoch auch auf diejenigen, die zwar nicht von arger Not heimgesucht, aber immerhin des moralischen Haltes eines katholischen Gemeinschaftslebens bedürfen.

Der St. Nicholas Club wurde zu dem Zweck gegründet, um den in Hongkong stationierten katholischen Mitgliedern der britischen Armee, Marine und Polizei ein Heim in der Fremde zu bieten, erstreckt aber seine Gastfreundschaft auf sämtliche in Hongkong lebende Katholiken aller Rassen und beider Geschlechter. Während die katholischen Soldaten, Matrosen und Polizisten dem Klub ohne weiteres beitreten können, wird von anderen das Gutachten eines Geistlichen und die Empfehlung von zwei Klubmitgliedern gefordert. Der Mitgliedsbeitrag beträgt jährlich 36 Hongkong-Dollar, das heißt ungefähr sechs US-Dollar.

Obwohl bei der Leitung des Klubs die Feldgeistlichen noch immer eine führende Rolle spielen, sind die meisten regelmäßigen Besucher Zivilisten, und man bekommt den Eindruck, daß unter ihnen die Chinesen eine knappe Mehrheit haben, während die beiden Geschlechter ungefähr gleich zahlreich vertreten sind.

Der Klub befindet sich in der Mitte der Innenstadt, in der „City o f Victoria“, dem Hafen gegenüber, im ersten Stockwerk des K i n g’s Building. Die Räumlichkeiten in dieser Gegend sind sehr teuer. Wie mir aber die britische Sekretärin des Klubs erklärte:

„Wenn wir nicht in diesem Bezirk bleiben können, dann hat es keinen Sinn, daß der Klub weiter besteht."

Im ersten Stock rechts findet man die katholische Zentralstelle mit einer Buchhandlung, Lesestube und einer Kapelle. In der Kapelle wird jeden Nachmittag um 17.30 Uhr die heilige Messe gelesen; vorher ist Beichtgelegenheit. Da die anderen katholischen Kirchen Hongkongs von der Stadtmitte ziemlich weit entfernt liegen, gibt es immer viele, die an diesen Nachmittagsmessen teilnehmen. Um den Raum in der Kapelle zu vergrößern, wird zur Zeit der Messe und der Andacht ein Flügel der Lesestube durch die Entfernung eines Geländers in einen Teil der Kapelle verwandelt.

Während in der katholischen Zentrale jeder Katholik willkommen ist, ist der St. Nicholas Club, links von der Treppe, nur auf die Mitglieder des Klubs und deren Gäste beschränkt.

Der Klub besteht aus einem großen Saal und einem langen Balkon mit Aussicht auf das Meer. Die eine Hälfte des Saales wird als Speisesaal, die andere als Diele, Lese- und Schreibzimmer verwendet. Eine Ecke des letzteren ist abgetrennt und dient der Sekretärin als Büro.

Der Klub ist immer belebt, hauptsächlich aber zur Mittagsstunde. Die Mitglieder, können dann für den Gegenwert von 50 US-Cents — ein reichliches Trinkgeld mit inbegriffen — einen guten und ausreichenden Lunch bekommen, der aus Suppe, Fleisch mit Nudeln, Reis oder Salat, Pudding oder Obst und Kaffee oder Tee besteht. Das Menü ist einfach, erlaubt jedoch die Wahl des Hauptganges unter vier verschiedenen Platten, und die Speisen sind so zubereitet, daß sie sowohl dem westlichen wie auch dem Östlichen Gaumen munden. Am Freitag wird das Fleisch natürlich durch verschiedene Fischgerichte ersetzt. Wer dort frische Garnelen und mit Eiern zubereitete Nudeln speist, kann Sich fast nicht mehr- der-'-Eirthakungr der '-HheitagSabstirtenz rühmen.

Diese Möglichkeit, dort Mittag zu essen, ist ein besonderer Segen für die zahlreichen jungen Büroangestellten, die in den großen Geschäftshäusern, Banken oder Aemtern in der Nähe tätig sind und dadurch für einen angemessenen Preis eine richtige Mahlzeit in angenehmer Umgebung genießen können.

Wenn die lebhafte Mittagszeit vorüber ist und die Angestellten beiderlei Geschlechts an ihre Arbeitsstätten zurückgekehrt sind, wird der Klub von den typischen „Nachmittagsgästen“ mit Beschlag belegt. Es sind die Leute, die Zeit haben, sich nach Herzenslust zum Gespräch, Getränk, Schlummer oder Zeitungslesen — es steht eine große Menge von verschiedenen englischen und amerikanischen Zeitschriften zur Verfügung — in der Diele oder auf dem Balkon niederzulassen und die Stunden auf angenehme Weise zu verbringen.

Damit soll aber nicht behauptet werden, daß am Nachmittag jeder Besucher des Klubs müßig ist! Man sieht europäische Lehrerinnen, die ihren eifrigen chinesischen Schülerinnen Sprachunterricht . oder Kurzschriftsturiden geben; gelegentlich wird Klavier und Tischtennis gespielt. Manchmal gibt es am Nachmittag oder am Abend eine Tombola, vielleicht um der wohlbekannten chinesischen Leidenschaft für Glücksspiele entgegenzukommen und zu gleicher Zeit auch das Einkommen der ewig leeren Klubkasse zu steigern.

Obwohl der Klub keine Klimaanlage besitzt, halten die riesigen elektrischen Ventilatoren an der Decke die Luft auch während der südasiatischen Hitze angenehm kühl. Allerdings soll der Klub bald in neue Räumlichkeiten übersiedeln, in das höchste Stockwerk eines Wolkenkratzers, der in derselben Gegend bald fertig werden soll. Außer der obersten Etage wird dort auch der moderne Dachgarten zum Klub gehören.

Es ist erfreulich, daß in der „Stadt der tausend Versuchungen“ der katholischen Jugend ein Klub wie der „St. Nicholas" eine zwanglose und gemütliche Gastfreundschaft bietet, wo man den Besuchern die Möglichkeit zur Ausübung ihrer Religion zur Verfügung stellt, sie ihnen aber nicht aufzuzwingen versucht.

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