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Fehlplanung

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In der gegenwärtigen Ausstellung erfährt man zunächst folgendes:

Von den sieben Wiener Bahnhöfen sollen nur zwei stillgelegt werden (Nordwest- und Aspangbahnhof), das heißt es bleibt alles beim alten.

Diebeiden „Fernreisegruppenbahnhöfe“ West und Süd-Ost werden auch dem Nahverkehr dienen, das heißt sie verdienen ihre Bezeichnung nicht!

Der geplante Süd-Ost-Bahnhof ist nicht e i n Bahnhof, sondern eine Kombination zweier im rechten Winkel versetzter Kopfbahnhöfe. Die seit 1840 bestehenden Geleise werden nach rückwärts verlängert, bis sie auf dem Ghegaplatz ein gemeinsames Empfangsgebäude erreichen, zahlreiche Funktionen bleiben getrennt. Die in zwei Richtungen ausstrahlenden Geleise über Baden und Pottendorf vereinigen sich schon in Wiener Neustadt: wozu also zwei Bahnhöfe, ist völlig unbegreiflich!

Der Höhenunterschied zwischen den beiden Gleisanlagen — rund 6 m — bleibt erhalten.

An eine Stadtbahn ist nicht gedacht. Für die unbemittelten Reisenden ist wie bisher die Straßenbahn vorgesehen, für die bemittelten Reisenden ist durch Standplätze für 360 Taxi besser gesorgt als bisher.

Soweit die Wettbewerbsbedingungen, die Sie, sehr geehrter Herr Minister, zweifellos durchdacht und genehmigt haben und an welche alle teilnehmenden Architekten gebunden waren. Sie haben also die Architekten an die Schienen von 1840 gefesselt wie weiland Zeus den Promethaus an den Felsen. Für eigene Ideen blieb daher bei diesem .Ideenwettbewerb* nicht sehr viel Spielraum: die Ausstellung zeigt etwa dreißig in den Grundzügen gleiche, nur In der Durchführung verschiedene Entwürfe für die in der Welt einmalige Erfindung des Doppelkopfbahnhofes. Man sieht es den Entwürfen an, wieviel sauren Schweiß sie gekostet haben, denn es ist einfach unmöglich, die Ströme der in zwei Bahnhöfen von verschiedenem Niveau ankommenden und abfahrenden Reisenden so klar und übersichtlich zu ordnen wie in einem Einzelbahnhof; jeder Fremde muß zwischen den zwei Kopfbahnsteigen die Qual der Wahl empfinden. Der heute weite Leerraum des Ghegaplatzes wird jedenfalls eng verbaut, die Bahnhoffront rückt eng an die Gürtelstraße, alle Vorplatzlösungen verkrampfen in dieser Enge. Die Fassaden können nicht zur Geltung kommen.

Am Wettbewerb nahmen 42 Architekten teil. An der Ausschreibung wurde wohl ein Jahr gearbeitet, den Architekten aber wurde nur vier Monate Zeit gelassen, der Vorjury etwa eine Woche, die eigentlichen Juroren schließlich hatten gar nur vier Tage Zeit, sich in die schwierigen Probleme und in die vielen Lösungsmöglichkeiten zu „vertiefen“.

Die Architektenschaft schweigt zu allen diesen Dingen und hat auch schon im Falle Westbahnhof und m zahlreichen anderen Fällen geschwiegen, weil mangels an privaten Aufträgen keiner gegen den allmächtigen Bauherrn Obrigkeit auftreten kann, es sei denn, er hätte einen Auslandsvertrag in der Tasche. Die Hochschulen werden mundtot gemacht, indem man die Professoren in die Jury bittet und ihre Dienste entsprechend honoriert. Später braucht man sich an ihr Gutachten nicht zu halten, sondern kann innerhalb des Ressorts die verschiedenen Entwürfe kombinieren. Für die Laienwelt wird eine Ausstellung gemacht — Demokratie muß sein —, und der kleine Mann staunt vor den präditigen Fassaden aus Stahl und Glas, hinter denen die Schienen von 1840 versteckt werden. Nur wenigen geht ein Licht auf: daß nämlich eine vernünftige Verk,ehrslösung im großen (Maßstab 1 :200.000) tausendmal wichtiger ist als der schönste Architekturplan für Details (Maßstab 1 : 200).

Die misera plebs nimmt die ganze Frage gar nicht richtig auf. Sie merkt nicht einmal beim Anfahren mit dreimaligem Umsteigen, beim Stoßen, Drängen, Verirren, Kofferschleppen über Stiegen, Warten, Anstellen, Einsteigen in den falschen Zug, bei körperlicher Erschöpfung, Nervenpein, Uberfahrenwerden, daß nicht der Ingenieur, sondern der Politiker den Bahnhof gebaut hat. Darauf kommt dann erst die übernächste Generation, so wie wir heute die Verbindungsbahn als eine Fehlplanung erkennen.

Der Vorgang der Planung wird durch solche Vorkommnisse in Mißkredit gebracht. Wir brauchen eine Planung, die das Leben der Bevölkerung unseres Heimatlandes als ein Ganzes sieht, als einen Organismus, dessen Krankheiten nur langsam und gründlich an ihren Wurzeln geheilt werden können.

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