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Heckenschützen freundlichst eingeladen

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Mit einem Gefühl der Erleichterung hat man vernommen, daß Generalfeldmarschall von Manstein endgültig aus der Haft entlassen wurde. Der seinerzeitige Prozeß verstieß gleichermaßen gegen alterprobte Grundsätze englischer Rechtsfindung wie gegen die Bestimmungen der UNO-Charta für Menschenrechte.

Vom rein geschichtlichen Standpunkt aber war das Merkwürdige an dem Verfahren, daß es mit der eigentlichen Problematik dieses Soldatenlebens überhaupt nichts zu tun hatte. Denn der alte Herr mit dem streng zurückgekämmten weißen Haar und dem vogelhaften Gesicht trägt an einer Verantwortung antiker Tragik. Als Oberbefehlshaber der Donfront war die bei Stalingrad eingeschlossene VI. Armee wohl seine „größte, nicht aber seine einzige Sorge“.

Daß er die Männer, die sich im „Roten Traktorenwerk“, der Waldschlucht von Gun-rack oder in der offenen Steppe noch einmal festgeklammert hatten, zum letzten Ausharren aufforderte, war verständlich. Daß er sie nicht in letzter Agonie selbst entscheiden ließ, daß er ihnen Hoffnung vortäuschte, wo es keine mehr gab, und Offiziere, die seine Lagekarte gesehen und seine Dispositionen erahnen konnten, nicht mehr in den Kessel fliegen ließ, weil sie — wieder seine eigenen Worte — „zuviel gesehen hatten“, gehört auf ein anderes Blatt, und kein irdisches Gericht scheint hier letzte Zuständigkeit zu besitzen.

Und vielleicht war es gerade das Bewußtsein, daß hier ein im tiefsten Wortsinn „schwergeprüfter“ Mann heimkehre, das die Bewohner des schwäbischen Dorfes Almendingen dem Feldmarschall einen so herzlichen Empfang bereiten ließ. Bilder davon gingen durch alle Welt: Männer in der Landestracht, weißgekleidete Mädchen Blumen, Rüh-

rung. Im Hintergrund vermeint man das Anstoßen voller Krügel und den Auszug zum Schützenfest zu vernehmen.

Zu einem Schützenfest eigentümlicher Art scheint die Heimkehr Mansteins in der Tat da und dort ermuntert zu haben. Man stellt eine Scheibe auf, hängt die Photomontage eines Widerstandskämpfers darüber ... und die Herren politischen Heckenschützen sind freundlichst eingeladen!

Ach, man könnte über dies und anderes vielleicht hinweggehen, wenn nicht die peinliche Sucht, sich auf solche Art populär zu machen, nun auch eine hochstehende Wochenzeitschrift, wie die Hamburger „Zeit“, erfaßt hätte. Hier bringt man es tatsächlich fertig, den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Otto John, einen der wenigen Ueberlebenden des 20. Juli (sein Bruder wurde noch knapp vor dem russischen Einmarsch ermordet — aber was kümmert heute noch solche Tragik) neben Manstein abzubilden und einen entsprechenden Kommentar dazuzugeben. Dieser Kommentar soll in den Augen des naiven Beschauers eine Schuld Dr. Johns an der Verurteilung Mansteins konstruieren, mußte er doch nach dem 20. Juli in ständiger Lebensgefahr über Spanien nach Portugal und schließlich nach England flüchten, wo er in der Nachkriegszeit Seiner Majestät Regierung als deutscher Rechtsexperte zur Verfügung stand und als solcher auch anläßlich des Manstein-Verfahrens in Hamburg weilte. Dazu attackiert man dann Dr. Otto John noch wegen der „Aktion Vulkan“ auf der ersten Seite. Für den Außenstehenden ist es da schwer, zu entscheiden, wer sachlich im Rechte ist, die ebenso hämische wie unvornehme Art des Angriffes aber wirkt befremdend. Auf das lebensrettende, keinesfalls freiwillig gewährte englische Exil wird etwa in den Worten, „Ich kann mir vorstellen, Herr John, daß Sie im englischen Recht Bescheid wissen ..Anspielung getan. Goldiger Humor!

All dies ist ein altes Lied! Die Verächtlichmachung höchster Beamter, ihre Brandmarkung als „Erfüllungspolitiker“, die Veranstaltung von Kesseltreiben ... in der Weimarer Republik mit ihrem doppelten' Loyalitätsboden gingen dann irgendwo die Pistolen los, starb irgendwo ein Rathenau, wusch sich irgendwo ein Journalist die Hände in Unschuld ...

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