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MAXIME WEYGAND / NICHT IM INVALIDENDOM

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Die Nachricht vom Tode Maxime W eygands war eine jener Meldungen, die den Zeitungsleser nachdenklich das Blatt senken lassen: Die Überraschung, vom Tode eines Mannes zu lesen, dessen entscheidender Auftritt auf der Weltbühne Jahrzehnte zurückliegt, löst stets eine Flut von Gedanken und Erinnerungen aus.

Zahlreiche Legenden rankten sich um den hochgewachsenen,schweigsamen Offizier, den am 21. Jänner 1867 geborenen Adoptivsohn eines belgischen Notars. Romantische Legenden, die etwa wissen wollten, Weygand sei der natürliche Sohn Erzherzog Maximilians, des späteren mexikanischen Kaisers und einer Saarländerin, widersprachen der Version von seiner Geburt als legitimer Sohn Maximilians und seiner Gemahlin, der nur aus Gründen der Erbfolge seine Herkunft verleugnen mußte...

Am Tag des Kriegsausbruchs 1914 kommandierte Colonel Weygand ein Kavallerieregiment, doch schon im September, in der Zeit der größten Krise an der Marne, berief ihn Foch zum Stabschef der 9. Armee. 1918 war er nach Bildung des Obersten Kriegsrates der Alliierten Chef des Stabes des Generalissimus Foch, der in Compiegne den Deutschen die Waffenstillstandsbedingungen diktierte.

Ein Bündnissystem sollte Europa vor einem neuerlichen Angriff des eben gebändigten Deutschland schützen: Die Jahre nach 1918 sahen Weygand als Re-organisator von Marschall Pil-sudskis polnischer Armee, die eben in einem erbitterten Existenzkampf das Land vor der Sowjetunion zu schützen hatte. Der schweigsame Weygand leitete die polnischen Operationen, die schließlich zur Rettung Polens durch das „Wunder an der Weichsel“ führten. Von 1922 bis 1924 kommandierte Weygand die französischen Truppen in der Levante, dann, nach elf Jahren Dienst als Chef des Generalstabes, trat er 1935 in den Ruhestand.

1939 erfolgte die Reaktivierung, Weygand übernahm wieder das Kommando des Levante-Korps, bis ihm schließlich Paul Reynaud den Oberbefehl über die gesamten Streitkräfte übertrug, über Streitkräfte freilich, die sich bereits in voller Desorganisation befanden. Einst, 1914, hatte Foch der Nation den Rat gegeben: „Wenn Frankreich in Gefahr ist, so ruft Weygand!“ Weygand war zu spät gerufen worden, es blieb ihm nur noch übrig, die Regierung um Waffenstillstand zu drängen.

Der Krieg war zu Ende. Frankreich war besiegt. Der alte Welt-Kriegsheld Petain wurde Ministerpräsident, sein Mitkämpfer Weygand wurde Verteidigungsminister. Verteidigungsminister eines Landes, das nichts mehr zu verteidigen hatte...

Den Deutschen freilich wurde der General ohne Armee trotzdem bald unbequem, nach einem Intermezzo als Gouverneur von Algerien wurde er über Wunsch Hitlers in den Ruhestand versetzt, 1942 von der Gestapo verhaftet und interniert.

Nach dem deutschen Zusammenbruch warf man Weygand vor, sich gegen Ehrenwort von den Deutschen aus der Haft entlassen zu haben. Die Anklage wegen Kollaboration mußte allerdings bald fallengelassen werden: 1948 wurde er voll rehabilitiert.

Jener französische Offizier, der vor den deutschen Truppen im letzten Moment nach England entkommen konnte und von dort aus das Land im Widerstand gegen Vichy und den Nationalsozialismus bestärkte, ist heute Staatspräsident. Jener französische Offizier, der heute Präsident ist, verwehrt seinem toten Kameraden ein Staatsbegräbnis. Ein Entschluß, der nicht nur bei den Veteranen von Douaumont und Verdun, von der Somme und der Marne, Kopfschütteln auslöst ...

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