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MAXWELL DAVENPORT TAYLOR / IN JEDER LAGE MEISTER

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Einen General, der nur selten lacht, einen, von dessen korrekter Strenge Legenden erzählt werden, der vier Fremdsprachen — Französisch, Spanisch, Deutsch und Japanisch — fließend spricht, der die Gefahr niemals gescheut hat: einen solchen General wird man zu jeder Zeit, In jeder Armee der Welt leicht finden. Auch, daß er gerne Tennis spielt oder daß er ein Buch über Militärfragen geschrieben hat, das „The Uncertain Trumpet“ heißt („Und so die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zum Streite rüsten?“), mochte den amerikanischen General Maxwell Davenport Taylor, 58 Jahre alt, Sohn eines Advokaten aus dem Staate Missouri, einst Jahrgangs-vierzehnter, nach jüngsten Erkenntnissen Jahrgangsvierter in West Point, noch nicht für den Posten des höchsten Stabschefs der USA qualifiziert haben. Schon wesentlicher erscheint der Umstand, daß er sich im letzten Jahr als militärischer Berater des Präsidenten auch im Kreise der Kennedy ständig umgebenden jugendlichen „Denker“ Respekt verschaffen konnte.

Das jüngste doppelte Revirement im Bereich der obersten Militärischen Führung diesseits und jenseits des Atlantiks kündigt die nächste Phase in einer Reihe von Aktionen an, die der Kreis von Denkern und Planern in der Umgebung Kennedys Schritt für Schritt durchzusetzen gewillt Ist und die von den europäischen Verbündeten mit wachsendem Unwillen beobachtet wird. Die Ernennung des Armeegenerals und obersten Stabschefs Lymait Lemnitzer zum Oberkommandierenden der NATO-Streitkräfte In Europa an Stelle des scheidenden Luftwaffengenerals Lauris Norstad, aber noch mehr die Ersetzung Lemnitzers durch General Taylor kündigt die Akzentverschiebung deutlich an: Mit den Plänen einer vierten, einer NATO-Atomstreitmacht, die während der letzten Monate der Ära Eisen-hower ventiliert wurden, scheint es für immer vorbei zu sein.

General Norstad war ein Anhänger der noch unter Dulles konzipierten „Abschreckungsstrategie“ gewesen, die zur Zeit des starken Vorsprunges der Vereinigten Staaten in Nuklearwaffen der zweifellos einzig richtige Weg war, um einen Angriff zu verhüten. Als sich die Lage infolge der stürmischen Entwicklung der sowjetischen Raketenrüstung für die Vereinigten Staaten verschlechterte, war es General Taylor, der, erstmals im Jahre 1955, seine Theorie vom begrenzten Krieg entwickelte. Er konnte sich damit nicht durchsetzen und zog sich in das Privatleben zurück. Erst der neue Präsident war für ein solches neues Durchdenken der Strategie zu haben. Von da an bis heute spielte sich alles in logischer Folge ab.

General Taylor und mit ihm etwa der Militärschriftsteller Henry A. KissiHger. ein weiterer Ratgeber Kennedys, sind von der Unglaub-würdigkeit der Drohung mit massiver Vergeltung, diesem Kernstück der Abschreckungsstrategie, fest tiberzeugt. Die Alternative zwischen einem Atomkrieg oder der Duldung eines Angriffs, solange er nicht „lebenswichtige Interessen“ der Vereinigten Staaten verletzt, birgt nach ihrer Ansicht zu viele „Wenn und Aber“ in sich (man erinnere sich an den Titel von Taylors Buch, „The Uncertain Trumpet“). Denn wo und wann werden alle Instanzen über die Schwelle zwischen „lebenswichtig“ und „nicht lebenswichtig“ genau derselben Meinung sein?

Daher die Forderung, die der neue Vorsitzende der vereinigten Stabschefs energisch vertritt: jedem Augriff mit den entsprechenden Mitteln entgegentreten! Für seine Kritiker in Europa bedeutet das freilich die Erhöhung des Risikos. Die atomare Abschreckung fällt beinahe zur Gänze weg. Die Zukunft erscheint In einem realistischeren, aber freilich in einem erschreckenden Licht. Wenn der Atomkrieg nicht die einzige Alternative der kraftlosen, freiwilligen Unterwerfung ist, dann werden Kriege auch in Europa wieder möglich. Dazu meint Taylor: Eine wesentliche Verstärkung der „konventionellen“ Rüstungen würde die Gefahr wieder verringern. Er spricht aus eigener Erfahrung, denn er war überall mit dabei: Ah erster General landete er In der Normandie, während der Blockade war er amerikanischer Kommandant von Berlin, und er war Befehlshaber der S. Armee in Korea. Er ist aber kein Haudegen. Vor dem Krieg war er im Fernen Osten Militärattache, und während des Krieges bewährte er sich auch als Verhandler. Es spricht für Ihn. daß er zwar Gegner, aber keine Feinde hat. Bei einem intimen Ratgeber des Präsidenten will das schon etwas heißen.

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