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Sperrgebiet Joachimsthal

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Ein ausländischer Besucher der Tschechoslowakei wird heute wohl höflich und zuvorkommend wie einst behandelt, drückt er aber den Wunsch aus, ins Grenzgebiet zu fahren, so zuckt man nur bedauernd die Achseln. Völlig unmöglich aber ist es einem Fremden, den einst weltberühmten Kurort St. Joachimsthal zu besuchen, der, nur eine Autostunde von Karlsbad entfernt, im Erzgebirge am Fuße des Keilbergs liegt; keine Stelle hält sich für kompetent, eine solche Genehmigung zu erteilen. Sämtliche der zahlreichen Prospekte, mit denen die erste Republik das Ausland überschüttete, sind verschwunden, aber auch aus den tschechischen Zeitungen und Zeitschriften ist der Name Jachymov, wie Joachimsthal heute heißt, restlos getilgt, so als existiere er nicht mehr. Und doch herrscht in dieser geheimnisvollen Enklave Joachimsthal, mitten im Herzen Europas, ein geschäftigeres und hastigeres Schaffen als je zuvor.

Es ist nicht das erstemal, daß Joachimsthal inmitten des allgemeinen Interesses steht. 1515 hat man bei dem Erzgebirgdorf Konradsgrün — wie Joachimsthal früher hieß — Silber gefunden, und die Grafen Schlick, die den Geschäftssinn ihrer bürgerlichen Vorfahren noch in sich spüren, gründen mit anderen Teilnehmern eine Gewerkschaft, die ein Jahr später bereits 516 Taler verteilen kann; nach fünf Jahren drängen sich in den 400 Häusern dieser „Wunderstadt" bereits 5790 Menschen zusammen, und wieder 13 Jahre später sind es sogar 17.000 Einwohner geworden. Aus 29 Zechen wird der Ertrag von 127.581 Taler gewonnen; die hier von den Herren von Schlick geprägten Münzen, die deren Wappen, auf der einen Seite den böhmischen Löwen, auf der anderen das Bildnis des heiligen Joachim tragen, bekommen als Geldstücke einen so hohen Ruf, daß sie als Joachimsthaler zum Inbegriff guten Silbergeldes werden und schließlich nach Abstreifung des „Joachim“ als Bezeichnung größeren Silbergeldes in den Sprachgebrauch eingehen. Von diesem ursprünglich aus Böhmen stammenden „Taler“ hat auch die amerikanische Münzeinheit den anglisierten Namen Dollar erhalten.

Aber auch die ursprünglich aus dem sächsischen Annaberg bezogene St.-Joachims- thaler Bergordnung tritt ihren Siegeszug durch das östliche Mitteleuropa an und bleibt als „kaiserliche" Bergordnung bis zum Inkrafttreten des allgemeinen Berggesetzes von 1854 in Gültigkeit.

Der Bergsegen versiegt, und auch das Schicksal der Herren von Schlick gleicht in seiner Tragik dem des böhmischen Landes.

Aber knapp drei Jahrhunderte später steht St. Joachimsthal wieder im Mittelpunkt des Weltinteresses. 1896 findet der französische Gelehrte Becquerel in dem 1789 von Klaproth entdeckten Uran die Erscheinung der Radioaktivität. Die Franzosen, vor allem Becquerels Schüler, das Forscherehepaar Marie und Pierre Curie- Sklodowska, wenden sich an den Präsidenten der Wiener Akademie der Wissenschaften, Eduard Sueß, der die kostenlose Überlassung von zwei Waggons Joachimsthaler Pechblende vermittelt. Die Joachimsthaler Halden mit den Abfällen aus der Zeit des Silberbergbaus sind die erste Fundstätte der Joachimsthaler Pechblende oder Uranpechblende, eines komplizierten Uranoxyds und Ausgangspunkts für Uran und Radium (Radiumgehalt zwei Gramm je zehn Tonnen). So ist es nicht unbegründet, wenn Jahrzehnte später der bekannte tschechische

Radiologe und Schüler von Frau Curie, Dr. František Behounek, in einem Werk über die Atomenergie schreibt: „Der Anfang des Atomschreckens lag im kleinen böhmischen Erzgebirgsstädtchen Sankt Joachimsthal." Spätere Funde in Kanada können die Bedeutung Joachimsthal nicht mindern; Uranpechblende bleibt ein rarer Gegenstand, und noch 1921 ist es eine Sensation, als der amerikanische Staatspräsident Harding der zweifachen Nobelpreisträgerin Curie ein Gramm Radium schenkt.

Joachimsthal blüht nun al Weltkurort besonders für Krebskranke auf, Sanatorien werden errichtet, und wieder einmal dringt sein Name in die Welt, auch wenn heftige Konkurrenzkämpfe mit dem nahen sächsischen Bad Oberschlemma geführt werden müssen, das sich auch gern als das größte Radiumbad der Welt bezeichnet.

Mit Beginn des zweiten Weltkriegs ist auch diese Heilwirkung minder wichtig, und man sieht in der Uranpechblende nur noch einen Rohstoff zur Gewinnung der Atomkraft, nachdem 1939 die Professoren Hahn und Straßmann die Uranspaltung entdeckt haben.

Das Kriegsende bringt nicht nur einen Wettlauf um Patente, Forscher und Erfinder, sondern auch einen Kampf um Fabriken und Rohstoffe, und wieder einmal ist Joachimsthal und das Urangebiet des Erzgebirgs von entscheidender Bedeutung, auch wenn bereits 1934 das Forscherehepaar Joliot-Curie das erste künstliche radioaktive Element gefunden (und hiefür ein Jahr später den Nobelpreis für Physik erhalten) haben und 1937 bereits 190 künstliche radioaktive Elemente bekannt sind.

1945, bei Kriegsende, zeigen die Amerikaner merkwürdigerweise kein zu großes Interesse am Erzgebirgsuran. Wohl besetzt man in Deutschland im Laufe des April das ganze Gebiet südlich der Elbe, doch wird es bald wieder geräumt, und auch in Böhmen bleibt man Anfang Mai bei El- bogen, wenige Kilometer westlich von Joachimsthal, stehen und erwartet hier die Russen, die nur langsam kommen, in Karlsbad, dem westlichsten Ort Europas, den sie kämpfend erreichen, ein Denkmal bauen, bald aber allergrößtes Interesse für das erz- gebirgische Urangebiet zeigen. Während nun im Verlauf der Jahre 1945 und 1946 das böhmische Grenzgebiet immer le

, ist in Joachimsthal gerade das Gegenteil der Fall. Auch als Weltkurort war die Zahl von 7000 Einwohnern kaum je überschritten worden, jetzt aber drängt sich eine weit größere Zahl von Menschen in den kleinen Gebirgshäusern und in rasch aufgestellten Baracken zusammen: Kriegsgefangene, Internierte, Deutsche, die in ihrer alten Heimat bleiben wollen oder müssen. Während sonst überall tschechische Verwaltung und tschechisches Militär einzieht, bleibt Joachimsthal ein Sperrgebiet, das von dem russisch besetzten Deutschland aus verwaltet und gelenkt wird. Wird ringsum die Grenze nach Deutschland strengstens bewacht und kontrolliert, so kann man in der Joachimsthaler Enklave kaum noch feststellen, wo einst die deutsch-böhmische Grenze lag.

Schon im Oktober 1945, kaum zwei Monate nach dem Abwurf der ersten Atombombe bei Hiroshima, verlangt der damalige russische Botschafter in Prag und heutige stellvertretende Ministerpräsident Zorin — ein besonderer Spezialist für tschechische Probleme — die Errichtung einer Rüstungsenklave von Joachimsthal, was die damalige Regierung Fierlinger nach gewissen Widerständen auch binnen 24 Stunden genehmigt, ohne diese wichtige Frage dem außenpolitischen Ausschuß des Parlaments vorgelegt zu haben. Als Gegenleistung wird in diesem Geheimvertrag der Tschechoslowakei versprochen, das anfallende medizinische Radium für Heilzwecke der Republik zur Verfügung zu stellen, die in zahlreichen Krankenhäusern seit Jahren spezielle Abteilungen für Radiumbehandlungen eingerichtet hatte. Aber auch dieses Versprechen wurde nicht gehalten, und man mußte sogar an die UNRRA mit der Bitte um kanadisches R

ium herantreten, die dies auch ohne weiter nachzufragen oder nachzuforschen liefert.

Als der tschechische Außenminister Jan Masaryk bei der ersten Generalversammlung der UNO in London pathetisch erklärt: „Das tschechische Radium wird den Menschen Heilung und Gesundheit bringen, nicht sie töten!“, muß wieder Botschafter Zorin in Tätigkeit treten und fragen, ob diese Rede des Außenministers einen Wechsel in der tschechischen Regierungspolitik andeuten solle und ob man etwa von dem Geheimabkommen abrücken will. Natürlich muß Prag hastig verneinen, und seit den Februarereignissen 1948 ist Joachimsthal überhaupt kein Diskussionsthema mehr.

In letzter Zeit tauchen immer und immer wieder Gerüchte über das Sperrgebiet von Joachimsthal in Böhmen und von Johanngeorgenstadt und Aue in Sachsen auf; man erfährt von primitiven und hastigen Abbaumethoden, von Unglücksfällen größter Ausmaße, von Neueinberufungen von Männern für diese Arbeit. Aber es sind immer nur Einzelheiten, die jeder Arbeiter oder Beschäftigte zu sehen und zu hören bekommt, all dies aber zeigt nur zu deutlich das tragische Bild jenes Gebiets, aus dem Dollar wie Atombombe hervorgingen. '

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