Einübung in die Fastenzeit

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Die Furche-Herausgeber

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Darf man jetzt, wo der Fasching eben seinem Höhepunkt zustrebt, schon von der Fastenzeit reden? Ich versuche es. Nicht deshalb, weil in den Kaufhäusern schon die Osterhasen angeboten werden. Sondern weil die nächste FURCHE erst erscheinen wird, wenn Heringsschmaus und/oder Aschenkreuz schon hinter uns liegen.

Jahr für Jahr überlege ich mir zeitgemäße Formen, der Fastenzeit einen Stellenwert zu geben. Überzeugt davon, dass unser Leben samt seiner Maßlosigkeiten wenigstens gelegentlich den Verzicht braucht, um halbwegs in die Balance zu kommen. Um im Luxus dem "Wärmetod der Gefühle“ zu entkommen. Und um die eigene Seelenkammer von Gerümpel aller Art zu säubern.

Gewinn durch Verzicht

Keiner von uns kommt ganz ohne Abschied von Falschem, Liebgewonnenem und allzu Bequemem aus. Alle spüren wir, wie oft unser komplexes Leben an die Grenzen dessen stößt, was unsere Seele noch ertragen kann; was sich an Zwängen und Ängsten mit unserem Wohlstand verschwistert. "Je mehr Du hast, desto mehr hat es Dich“ - seit Jahren begleitet mich dieses Wort eines Mönchsfreundes. Es heißt im Umkehrschluss: Gewinn durch Verzicht.

Also: Was tun? Wo und wie die Ansprüche bewusst herunterschrauben - zumindest für ein paar Wochen? Nichts spricht gegen das klassische "Friss (trink, rauch …) die Hälfte!“. Würden wir uns daran halten, dann könnten - so sagt die Medizin - bis zu 30 Prozent unserer Spitalsbetten eingespart werden. Trotzdem: Mich irritiert der Verdacht einer spirituell entleerten Lifestyle-Askese - samt kommerzialisiertem Fitness- und Körperkult. Mehr denn je gerinnt uns ja sogar das Fasten zur reinen Sorge um uns selbst.

Persönlich glaube ich: Sinnvoll ist Verzicht nur dort, wo daraus Freiheit wächst - und nicht Fremdbestimmung. Religionen, Kirchen haben in beidem eine enorme Erfahrung. Hier Vergeistigung, ja Gottesbegegnung, dort Machtinstrument und Manipulation: "Ein abgemagerter Körper wird das schmale Himmelstor schneller durchschreiten“, mahnte der schlaue Kirchenvater Tertullian.

Ich möchte es heuer anders versuchen. "Schuld“ daran ist Franz Welser-Möst. Vor wenigen Tagen haben wir über sein großes Lebenselixier geredet: über die Stille. Das Mönchtum hat es immer gewusst - und die Musik auch: Großes - auch Heiliges - kann nur dort wachsen, wo dafür Zeit und Raum geschaffen wird. Wo Stille zugelassen und auch ertragen wird. Wo wir uns selbst die Chance geben, ruhig zu werden und auf die Sprache unserer Seele zu hören.

Ein Spalt in die Weite und Tiefe

Bewusst gesetzte Momente der Stille also. Klingt einfach, ist es aber nicht. Denn: Wir tun uns verdammt schwer mit der Stille. Wir "müllen“ uns mit Lärm zu, sagt Welser-Möst, was - psychologisch gesehen - ein klares Fluchtverhalten ist: Flucht vor uns selbst. Vor dem Blick in den eigenen Spiegel. Auch der kleinste Moment von Stille ist also ein Spalt in die Weite - und Tiefe.

Übrigens: Punkt 18 Uhr haben gestern - wie jeden Tag - die Abendglocken geläutet. Ich habe es einmal versucht: Stehenbleiben und Zuhören. Es war schön.

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