Schön langsam. Der Radwandertag in Hadres.

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Der neue Band von Alfred Komarek – 15 Geschichten, die unter einen Titel passen: Anstiftung zum Innehalten. „Schön langsam“ ist eine Liebeserklärung an ein Fahrrad und viele Katzen. Eine Kostprobe.

Einmal im Jahr, zumeist im August, bricht im Weinviertler Dorf Hadres der Radwandertag aus. Tags zuvor schon sind die Funktionäre des Radwandervereines unterwegs, um mit kalkweißen Pfeilen auf dem Asphalt den Streckenverlauf zu markieren. Manchmal geht es erst durch eine Kellergasse hügelan und der Kreis schließt sich nach etwa dreißig Kilometern im ebenen Land, manchmal ist es umgekehrt. Andere Vereine errichten Labestellen, üppige Orte freudig angewandten Phäakentums, Inseln der Ruhe inmitten kollektiver Dynamik. Der sportliche Aspekt dieser Veranstaltung kommt nur sehr diskret zum Tragen, die Bedeutung für den Fremdenverkehr hält sich in Grenzen, aber das damit verbundene Vergnügen ist herzlich und gewaltig. Von Kindern im Vorschulalter bis hin zu Greisen, die nur deshalb so zäh in die Pedale treten, weil sie zu alt sind, um ihre Müdigkeit zu spüren, sind fast alle dabei, die hier wohnen, dazu noch ein paar Gäste von draußen.

Steht die Stunde des Aufbruchs bevor, erhebe ich mich verhalten ächzend aus meiner Ruhestatt unter dem Presshausdach, versuche zu einem halbwegs menschenähnlichen Erscheinungsbild zu kommen und hole mein Fahrrad hervor, das gewöhnlich hinter der Weinpresse steht. Es ist ein Steyr Waffenrad, beste österreichische Wertarbeit und ein schwergewichtiger, schwarzer Dinosaurier, längst schon fremd geworden in der leicht- und vielgängigen neuen Welt der Bikes. Als ich ins Pulkautal gekommen bin, gehörten diese an sich ja unzerstörbaren Vehikel zum Erscheinungsbild der Dörfer, scharten sie sich vor dem Kaufhaus, dem Wirtshaus, der Kirche. Inzwischen nimmt manch greiser Weinbauer ein silbrig glänzendes Sportrad zur Hand, wenn er bedächtig dürstend die Kellergasse ansteuert. Was soll ich davon nur halten? Angesichts dieser gekrümmten Gestalten auf ihren schnittigen Rädern, die mit fahriger Hand in unzähligen Gängen wühlen, ist es mir schon lieber, mich in aufrechter Haltung durch die Welt zu bewegen, keinen Gang wählen zu müssen, weil mir nur einer zur Verfügung steht, und im Falle eines Bremsmanövers das heutzutage vor allem in Politikerkreisen völlig in Vergessenheit geratene Instrument des Rücktritts zu benutzen – dies auch noch in Verbindung mit einer Vorrichtung, die an energischem Zartgefühl kaum zu überbieten ist: Die Bremse für das Vorderrad drückt ein Stück Hartgummi auf das Profil des Reifens. Das ist schon etwas anderes als diese neumodische, zangenartige Umklammerung der Felge oder gar die peinlich wirkungsvolle Direktheit von Scheibenbremsen.

Arm, aber reinlich

Zur Feier des Tages bekommt mein Fahrrad reichlich feinstes Öl, geputzt wird es auch, damit das Urteil des Publikums gnädig ausfällt: Ein g’scheites Fahrrad kann er sich zwar nicht leisten, aber er schaut wenigstens darauf. So mache ich mich denn – arm, aber reinlich – auf den Weg zum Startplatz, bin schon müde, wenn ich endlich dort ankomme und wundere mich ein paar Stunden später jedes Mal aufs Neue darüber, dass ich doch wieder einmal ans Ziel gelangt bin, irgendwie halt. Prestige fördernd ist mein alter, inzwischen auch schon leicht angerosteter Weggefährte jedenfalls nicht. „Sie müssen schon auch einmal mit der Zeit gehen!“, rief mir ein papageienbunter Radler zu, als ich bergan gemächlich neben dem Fahrrad einherschritt, während er mit dem Eifer eines Hamsters im Hamsterrad an mir vorbeistrampelte. „Die Zeit soll gefälligst mit mir gehen“, war meine Antwort. Da sieht man es wieder: ein Hungerleider. Und arrogant auch noch. Seltsamerweise bin ich am Ziel gewöhnlich unter den Ersten, es muss dies irgendwie so ähnlich funktionieren wie in der Geschichte mit dem Hasen und dem Igel.

Diese Langsamkeit der sprunghaft Schnellen und die Schnelligkeit der stetig Langsamen fallen mir schon lange auf. Als ich dereinst einmal mit der Ente nach Italien unterwegs war, zischten mir die Überholenden nur so um die Ohren. Das Wiedersehen ließ nicht lange auf sich warten: auf dem Parkplatz der nächsten Raststätte. Ich frage mich auch, welchen Vorteil es bringen soll, ein paar Minuten oder möglicherweise gar eine Stunde früher anzukommen. Die Schnellen, Eiligen können ohnehin nichts mit gewonnener Zeit anfangen und müssen dann viel Geld ausgeben, um sich davon abzulenken. Die Langsamen indes, die es sich wohnlich eingerichtet haben in ihrer Zeit, sind ja schon unterwegs am Ziel und haben alles, nur keine Eile. Merkwürdig ist es auch, dass jene, die nicht messerscharf verplant auf ihre Termine zueilen, sondern rechtzeitig aufbrechen und sich gemessen bewegen, meist pünktlich eintreffen, während jene, die hinter der Zeit herjagen, immer ein wenig hinter ihr zurückbleiben.

Wovon noch zu erzählen ist

Es ist eben alles nicht so einfach mit den zwei Gesichtern der Zeit, mit dem punktuellen Kairos und dem strömenden Chronos. Und ich lüge mir dabei ja auch häufig selbst in die Taschenuhr. Nicht jeder Tag ist Radwandertag und nicht allzu oft ist es mir gegönnt, wunschlos und ziellos durch die Welt zu mäandrieren oder auch ganz still und ruhig und ohne Bewegung darauf zu warten, dass mir Flügel wachsen. Aber das wird sich ändern, jawohl. Habe ich mich bisher vor mir hergetrieben, um meine Faulheit zu bemänteln, werde ich mich fortan zu ihr bekennen. Habe ich bisher aus Angst vor lähmender Langeweile und dumpfer Verdummung viel zu wenige Pausen zugelassen, werde ich es fortan wagen, mich in meditativen Weiten zu verlieren, auch wenn mir dabei weniger als nichts einfallen sollte oder so manches entfallen. Mein berufliches Fortkommen und das damit verbundene Einkommen werden sich in ein für das Überleben notwendige Mindestmaß fügen müssen. Hinfort, mit dir, Ehrgeiz! Weiche, Eitelkeit! Schweig stille, Habgier! Es könnte natürlich sein, dass nach ausgiebig gelebten Phasen der Faulheit meuchlings so etwas wie frische Tatkraft keimt. Gut möglich auch,dass sich in die wunschlose Leere restlos und nachhaltig verinnerlichten Innehaltens der Keim einer mächtig wuchernden Vision senkt und es schändlich wäre, ihr nicht mit allen Kräften zu dienen. Was tun oder lassen, wenn ein heimtückischer Verleger mit eben jenem Buchprojekt an mich herantritt, von dem ich zeit Lebens geträumt habe? Ja und … es ist natürlich schon denkbar, dass mir eine neue alte Taschenuhr unterkommt, ohne die das Leben nur halb so schön wäre – jedoch, es fehlt an Barem. Manchmal sind die Vorsätze gut, aber der Sündenfall ist besser.

Damit es aber dennoch glaubhaft bleibt, dass Immerstrebend-sich-Bemühen am Ende zur Errettung führen könnte, muss ich jetzt noch von den Katzen erzählen, die mein Leben begleitet haben und hoffentlich bald wieder begleiten werden. Ich bin nämlich aufrichtig bemüht von ihnen zu lernen. Keine war wie die andere, aber alle beherrschten die Kunst der Entspannung, des Innehaltens, bis zum fast schon molluskenartigen Exzess, verbunden mit der Fähigkeit, sich bei Bedarf übergangslos in reaktionsschnelle Muskelbündel zu verwandeln. Außerdem missbilligten sämtliche schnurrigen Mitbewohner und Mitbewohnerinnen zutiefst meine Phasen kreativen Irre-Seins, verbunden mit verkrampfter Anspannung, lächerlicher Konzentration auf Themen, die für eine Katze ohne jede Bedeutung sind, und unzuverlässiger Verabreichung von Futter. Sie haben es gelassen hingenommen, weil sie stets ahnten, spürten, wussten: Er wird schon wieder, der Alte. Genau das sage ich mir auch.

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